cash.ch: Herr Braun, wie geht es Ihnen in diesen Tagen?

Christophe Braun: Es ist sicherlich eine turbulente Phase und unklar, wie es weitergeht. Wichtig scheint mir, die kurzfristige Unsicherheit angemessen einzuordnen und auch wieder davon abzusehen - damit der Blick auf die mittel- bis langfristige Entwicklung wieder frei wird.

Worauf schauen Sie, wenn Sie in unsicheren Phasen wie der momentanen Anlageentscheide treffen?

Bei Anlageentscheiden schauen wir immer ein Set von Faktoren an und wägen diese ab. Ein solcher Faktor ist die Preissetzungsmacht der Unternehmen. Denn die Zölle werden möglicherweise die Kosten nach oben treiben. Im Unterschied zur ersten Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident können die Unternehmen diese Kosten nun nicht mehr selber tragen. Ihre Margen sind dafür zu gering. Wer weiter profitabel sein will, muss die Kosten weitergeben können.

Welche Unternehmen haben Preissetzungsmacht und für welche wird es schwierig?

Schwierig wird es für die Autoindustrie. Hier sind die Margen eng, und der Konkurrenzdruck ist hoch. Hinzu kommen sehr komplexe Lieferketten. Teile, die man heute bekommt, erhält man möglicherweise nicht mehr oder die Lieferung dauert länger, wenn man einen Produktionsstandort verlegt. Schon in der Pandemie haben wir gesehen, wie empfindlich Lieferketten sind. Seither wird wieder regionaler produziert. Nun kommen wir erneut in eine solche Phase, die für die Unternehmen anspruchsvoll ist.

Können Sie Sektoren oder Unternehmen nennen, die es leichter haben?

Ich denke an Unternehmen, die sich auf Premiumprodukte und digitale Dienstleistungen spezialisiert haben. Sie sprechen eine Kundschaft an, die weniger preisempfindlich ist und bei einem Preisanstieg treu bleibt. Virtuelle Dienstleister wie Gaming-Plattformen werden oft als eine Art Grundversorger wahrgenommen. Gaming-Unternehmen wie Sony und Nintendo sind zu einem festen Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden und bieten Unterhaltung und Dienstleistungen an, die von vielen geschätzt werden und auf die man sich verlässt.

Wie sieht es bei forschungsintensiven Branchen aus?

Preissetzungsmacht sieht man vor allem im Pharma- und Gesundheitsbereich. In diesem Sektor sind die Margen weit und stabil. Das zeigt, dass die Unternehmen höhere Kosten weitergeben können, letztlich an die Patienten. Wenn man krank ist, spielt der Preis eine Nebenrolle. Zudem haben Pharmaunternehmen Patente, die sie vor Konkurrenz abschirmen und bei den Preisen Spielraum nach oben geben.

Auch im Technologiesektor sind Forschung und Entwicklung relevant …

… Forschung und Entwicklung halten die Eintrittshürden zum Halbleitermarkt hoch. Zudem haben sich viele Halbleiterunternehmen - sei es TSMC, sei es Broadcom - so stark spezialisiert und an die Bedürfnisse der Kunden angepasst, dass diese Kunden von den Unternehmen abhängig geworden sind. Deshalb ist die Nachfrage ungebrochen hoch, obwohl die Preise gestiegen sind.

Wie wirkt es sich aus, dass der Halbleitermarkt geostrategisch wichtig geworden ist?

Tatsächlich gibt es Industrien wie der Halbleitersektor, die zentral sind für die wirtschaftliche Sicherheit eines Landes. Und diese Branchen werden politisch priorisiert, zum Beispiel wenn es um die Ansiedlung, den Aufbau neuer Standorte oder die Gestaltung von Lieferketten geht. Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass einige Lieferketten hochkomplex sind und nicht beliebig verändert werden können - dies auch dann nicht, wenn der politische Druck hoch ist und Strafzölle eingeführt werden.

Wie erkennt man auch ohne vertiefte Analyse, dass ein Unternehmen Preissetzungsmacht hat?

Eigentlich muss man nur schauen, welche Unternehmen in Phasen mit Inflation und rückläufigem Wachstum höhere Preise durchgesetzt haben. Ich mache Ihnen ein Beispiel: Das Abo für Disney plus ist wieder gestiegen. Trotzdem habe ich es erneut verlängert und denke, dass ich kein Einzelfall bin. Wie gesagt, Streaming-Anbieter sind im 21. Jahrhundert Grundversorger.

Kann es sein, dass Preissetzungsmacht auf Marketing beruht - zum Beispiel wenn ein Unternehmen wie Lindt & Sprüngli es schafft, aus Schokolade ein Luxusprodukt zu machen?

Bei Schokolade funktioniert das sehr gut. Das Glücksgefühl, das man beim Essen sowieso hat, wird mit Luxus kombiniert und damit weiter gesteigert. Etwas Vergleichbares ist auch Nestlé mit Kaffee gelungen. Die Nespresso-Verkaufsstellen sind Boutiquen, keine Läden. Sie vermitteln einem das Gefühl, man sei in einem Juwelierladen. Das Erlebnis erhöht die Zahlungsbereitschaft.

Die ersten Tage im April haben es wieder gezeigt: Der Markt kann rasch drehen und Anleger müssen mit grossen Schwankungen rechnen. Was empfehlen Sie, ausser den Blick auf Unternehmen mit Preissetzungsmacht?

Boring is beautiful. Defensive Werte sind in unsicheren Phasen typischerweise weniger anfällig - seien es Basiskonsumgüter, Versicherungen oder Gesundheitsunternehmen. Solche Unternehmen erwirtschaften relativ stabile Umsätze und Gewinne, und sie bezahlen oft auch attraktive Dividenden. Dazu kommt auch, dass diese Werte gegenüber Wachstumsaktien immer noch zu günstigeren Bewertungen gehandelt werden.

Christophe Braun ist Investment Director bei der Capital Group und verantwortlich für den Aktienbereich. Er verfügt über 14 Jahre Erfahrung in der Investmentbranche. Vor seinem Eintritt bei Capital arbeitete er als Portfoliomanager und Anlageberater bei CBP Quilvest. Davor war er bei TD Direct Investing International tätig. Braun hat einen Master-Abschluss in Finanz- und Industrieökonomie der Royal Holloway University of London und ein Diplom in Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre der Leopold-Franzens-Universität in Österreich.

Reto Zanettin
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