Investoren haben schon eine Weile vor der Verwundbarkeit Europas durch Donald Trumps Politik gewarnt und die wirtschaftlichen Probleme des Kontinents mit der Aufbruchstimmung in den USA unter dem neuen Präsidenten verglichen.

Doch laut einem Bericht der «Financial Times» ist die Stimmung in Bezug auf Europa weitaus düsterer als zuvor angenommen. Diese Woche auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos warnte ein leitender Angestellter einer US-Grossbank vor einem «Gipfel des Pessimismus». Die Androhung von US-Zöllen gegen Europa verstärken die Sorgen von Führungskräften und Politikern auf dem Wirtschaftstreffen, dass die wirtschaftliche Aufwärtsbewegung in den USA Europa nicht mitziehen wird.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, sagte, es sei «nicht pessimistisch» zu sagen, dass Europa in einer «existenziellen Krise» stecke. Europa müsse realistisch sein, fügte sie hinzu. «Wir bekommen jetzt diesen riesigen Schub, weil ein grosser Akteur in der Weltwirtschaft die Dinge nun anders organisiert und einige der Partner und Akteure mit der neuen Vorgehensweise bedroht.»

Der IWF hat die Wirtschaftsprognosen für die USA in diesem Jahr mit 2,7 Prozent deutlich nach oben korrigiert. Das dürfte weit über dem für die Eurozone prognostizierten Wachstum von 1 Prozent liegen.

«Es herrscht ziemlicher Konsens darüber, dass die Dinge für Amerika sehr gut laufen und es für Europa sehr negativ aussieht», sagte der Leiter eines grossen Staatsfonds. «Die Menschen sind besorgt über die mangelnde Führungsstärke Deutschlands und Frankreichs, den Vormarsch der extremen Rechten, die Regulierung von AI und die Stärke der Europäischen Union. Die Frage ist, ob das Krisengefühl ausreicht, um Europa zu einem Aufschwung zu bewegen. Ich denke eher nicht.»

Auseinanderklaffende Wirtschaftsstimmung und Staatsfinanzen als Knackpunkt

Das Hauptrisiko in den USA besteht darin, dass Trump mit seinem protektionistischen Massnahmen die Inflation erneut anheizt und die Federal Reserve daran hindert, den Zinssenkungszyklus weiter voranzutreiben. Ein «Boom-Bust-Zyklus» könnte längerfristig aufgrund der Deregulierungsbemühungen der Republikaner im Finanzsektor folgen, so der IWF letzte Woche. Aber solche Sorgen werden von den positiven kurzfristigen Aussichten überschattet, sagen die Ökonomen.

«Es gibt einen starken Anstieg der sogenannten ‘animal spirits’. Die Stimmung der Unternehmen und der Verbraucher deuten darauf hin. Ausserdem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Steuern im Jahr 2026 nicht höher sein werden. Das wird sich sehr positiv auf die Gesamtnachfrage auswirken», sagte Mike Medeiros, Makrostratege bei Wellington Management.

Während die stärkere US-Nachfrage Ländern mit einem hohen Exportanteil in die USA zugute kommen wird, sprachen gemäss «Financial Times» die Anleger in Davos von dem Risiko, dass das Wachstum in Europa noch tiefer als die bereits düsteren Prognosen ausfallen könnte.

Die angespannte Lage in den Haushaltsbudgets von Ländern wie Frankreich und Grossbritannien sowie ein weiterer Anstieg der längerfristigen Kreditkosten könnte diese Länder vor Probleme stellen. Ein Auslöser für höhere Anleiherenditen könnten Steuersenkungen in den USA sein.

«Die Frage der Staatsverschuldung ist wirklich wichtig. Man sieht ja, was für einen Effekt sie für Grossbritannien hatte und welche Einschränkungen sie mit sich bringt», sagte Kasim Kutay, Vorstandsvorsitzender von Novo Holdings, der 187 Milliarden Dollar schweren Investmentgesellschaft der Novo Nordisk Foundation.

Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, sagte am WEF, dass die EU und die USA verhandeln sollten, um die Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Bei einem Handelsvolumen von 1,5 Milliarden Euro und massiven transatlantischen Investitionen steht «für beide Seiten viel auf dem Spiel».

Ein gewichtiger globaler Investor sagte, er habe den Eindruck, dass von der Leyen unterschätzt habe, wie schwierig es sein würde, eine Gruppe von Nationen mit sehr unterschiedlichen Ansichten zu bündeln und zu mobilisieren.

Europa als Museum

«Es muss eine viel ehrlichere Diskussion über die EU-Bürokratie, die zwanghafte Regulierung und die unterschiedlichen Ansichten einer grossen Anzahl von Ländern geführt werden», fügte er hinzu.

«Eine Sache, die garantieren wird, dass der Kontinent weiter in den Museumsstatus abrutscht, ist ein doktrinärer, konservativer Ansatz bei der Regulierung [von KI] und keine Offenheit für die Tatsache, dass Europa sich vielleicht mit der technologischen Entwicklung mitentwickeln muss», sagte eine Führungskraft aus dem Technologiebereich.

Carlos Cuerpo, der spanische Wirtschaftsminister, erklärte gegenüber der Financial Times, er sei nach Davos gekommen, um der Ansicht entgegenzutreten, dass Europa im Sterben liege. Dabei verwies er auf die hervorragende Bilanz seines Landes, das im vergangenen Jahr mit einem geschätzten Wachstum von 3,1 Prozent und der Schaffung von Arbeitsplätzen einen neuen Rekord aufgestellt habe.

«Wir kämpfen gegen diese Wahrnehmung an, denn es ist wichtig, dass von der EU eine positive Botschaft ausgeht», sagte er. Er betonte, dass es dringend notwendig sei, «unseren eigenen Fahrplan» weiterzuverfolgen, und bezog sich dabei auf den Wettbewerbsfähigkeitsbericht des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi.

Europäische Beamte hatten jedoch Mühe, diese positive Botschaft an die Führungskräfte im Schweizer Ferienort zu vermitteln. «Die Stimmung hier ist so negativ, wie die europäischen CEOs Europa gegenüberstehen», sagte der US-Bankmanager. «Das steht in krassem Gegensatz zu den USA, wo derzeit nur gute Laune und Euphorie herrscht».

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