Die Schweizer Wirtschaft wird wohl nur mit wenig Schwung ins neue Jahr starten. Nach einem schwachen Jahr 2023 zeichnet sich ein weiteres Jahr mit unterdurchschnittlichem Wachstum ab. Auch für die Weltwirtschaft bleiben die Bedingungen eher schlecht und die geopolitische Lage eher unsicher. Immerhin sollten die Zinsen und damit die Finanzierungskosten für Schweizer Firmen nicht mehr steigen. Vielmehr werden zumindest in den USA oder Europa Zinssenkungen erwartet.  

Eine gesunde Bilanz ist im aktuellen Wirtschaftsumfeld weiterhin ein Pluspunkt, wenn es um Investitionen an der Börse geht. Anlegerinnen und Anleger können diesbezüglich Schwachstellen im eigenen Portfolio mit dem Altman Z-Score aufdecken. Das Modell wurde im Jahr 1967 von dem Finanzprofessor Edward Altman erfunden und lässt Rückschlüsse darauf zu, wie insolvenzgefährdet ein Unternehmen ist. Dies ist für Aktienanleger schlussendlich entscheidend, denn diese erleiden beim Eintreffen eines solchen Ereignisses oft einen Totalverlust. 

Laut diesem Indikator ist Idorsia mit einem Wert von minus 7,7 ein sehr gefährdetes Unternehmen. Das angeschlagene Biotechunternehmen Idorsia hat dank der zuletzt ergriffenen Massnahmen den Verlust in den ersten neun Monaten 2023 eingedämmt, doch klinische Rückschläge und die nicht unerhebliche Verschuldung belasten. Zum Ende des dritten Quartals verfügte das Unternehmen noch über Barmittel in Höhe von 255 Millionen Franken, die Finanzierung von Idorsia bleibt ein Überlebens-Thema. Der Kursverlust von 85 Prozent auf Jahressicht spricht Bände. 

Grosse Vorhersage-Treffsicherheit 

Altmann untersuchte in drei Zeiträumen zwischen 1969 und 1999 insolvenzgefährdete Unternehmen. Mit seinem Z-Score konnte er mit einer Wahrscheinlichkeit von 82 bis 94 Prozent korrekt vorhersagen, ob ein Unternehmen innerhalb eines Jahres Insolvenz anmelden würde oder nicht. Im Allgemeinen verwendet das Modell die Rentabilität, die Verschuldung, die Liquidität, die Solvenz, der Marktwert und weitere Finanzkennzahlen, um die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, ob sich ein Unternehmen in einer finanziellen Schieflage befindet. 

Das Produkt des Modells ist eine Zahl. Wenn ihr Wert über 3 liegt, besteht keine Gefahr für die Firma. Bei einem Wert von unter 1,8 besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Konkurs, zwischen 1,8 und 3 liegt eine Grauzone. In einer 2019 gehaltenen Vorlesung mit dem Titel "50 Years of the Altman Score" stellte Altman aufgrund neuerer Daten fest, dass 0 - und nicht 1,8 - der Wert ist, bei dem sich Anleger wirklich Sorgen um die Finanzkraft eines Unternehmens machen sollten. 

cash.ch hat mit Daten von Bloomberg 28 börsenkotierte Unternehmen ausfindig gemacht, die einen Altman Z-Score von unter 3 aufweisen - Bloomberg verwendet die letzten verfügbaren Finanzzahlen für die Berechnung. Ausgeklammert aus der Analyse sind in der untenstehenden Tabelle Finanzfirmen, komplexe Holdings und Immobilienfirmen, da diese eine spezielle Bilanzstruktur aufweisen und daher das Altman-Modell nicht gut anwendbar ist. Zudem sind in der Analyse nur Firmen mit einem Börsenwert von mindestens 250 Millionen Franken enthalten. 

Unternehmen

Altman Z-Score

  Unternehmen

Altman Z-Score

Idorsia -7,7   OC Oerlikon 2,1
Basilea Pharmaceutica -2,2   Implenia 2,1
AMS Osram -0,6   Arbonia 2,2
Lastminute.com 0,5   SIG Group 2,3
Montana Aerospace 0,6   Lalique 2,4
Avolta 0,9   BKW 2,5
SoftwareOne 1,2   Feintool 2,5
Aryzta 1,3   Sulzer 2,5
Meyer Burger 1,4   dormakaba 2,5
Stadler Rail 1,7   Flughafen Zurich 2,8
DocMorris 1,7   PolyPeptide 2,8
Autoneum 1,8   Clariant 2,9
Mikron 2,1   Holcim 2,9
Rieter 2,1   Vetropack 3

(Quelle: Bloomberg).

Negative Gewinnrücklagen, hohe Schulden und rote Zahlen 

Laut dem Score sind neben Idorsia Basilea Pharmaceuticals und AMS Osram weitere Sorgenkinder, obwohl gerade beim letzteren die getroffenen und abgeschlossenen Kapitalmassnahmen nicht in die Berechnung integriert wurden. Und bei Basilea fallen die negativen Gewinnrücklagen aufgrund der Verluste der Vergangenheit stark ins Gewicht. Denn Unternehmen mit negativen oder niedrigen Gewinnen werden im Modell pauschal als riskant eingestuft. Das Biopharmaunternehmen hat sich im ersten Halbjahr 2023 stark entwickelt und ist auch profitabel.  

Daneben zeigt der Indikator auch für Avolta (vormals Dufry), Aryzta und Meyer Burger ein hohes finanzielles Risiko an. Der Reisedetailhändler Avolta weist ein Verschuldungsgrad von 737 Prozent auf. Die Strategie und den Zusammenschluss mit Autogrill erachten Analysten aber als vielversprechend. Damit erhöhe Avolta die Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten und profitiere gleichzeitig von Kostensynergien und steigenden Passagierzahlen. Und sinkende Zinsen könnten auch für Entlastung sorgen. 

Meyer Burger und andere Anbieter leiden seit Monaten darunter, dass chinesische Solarmodulhersteller den europäischen Markt mit Billigmodulen fluten. Die Politik in Europa tüftelt deshalb an einem Hilfspaket für die heimische Solarindustrie. Die Aktien befinden sich gleichzeitig seit Anfang Juli in einer nicht enden wollenden Talfahrt - von gut 0,6 Franken auf 0,19 Franken heute - oder wieder auf das Niveau vom September 2020. Der Kursverlust summiert sich seit Jahresbeginn auf 65 Prozent.  Viele Marktbeobachter haben vor einem Jahr noch erwartet, dass der Solarmodulbauer bereits im Geschäftsjahr 2023 einen Gewinn erzielen wird. Dies wird nicht geschehen. Vielmehr wird bereits 2025 als Periode herumgereicht, wo das Unternehmen schwarze Zahlen schreiben wird. Und es kann gut sein, dass zu Beginn desselben Jahres eine Kapitalerhöhung notwendig sein wird. 

Noch nicht ausserhalb der Gefahrenzone 

Nicht wirklich gefährdet, aber doch nicht ausserhalb der Gefahrenzone sind Unternehmen wie Autoneum, OC Oerlikon oder Polypeptide. Der Verschuldungsgrad fällt bei Autoneum (188 Prozent) und OC Oerlikon (74 Prozent) deutlich negativ ins Gewicht. Doch insbesondere beim Automobilzulieferer aus Winterthur bleiben die Vorzeichen positiv. Nicht nur hat Autoneum mit Michael Pieper und Peter Spuhler starke Grossaktionäre, auch dürfte die vollzogene Borgers-Übernahme in der nahen Zukunft ein beträchtliches (Kosten-)Synergiepotenzial freilegen. 

Der Pharmaauftragsfertiger Polypeptide ist ein Börsenneuling und auf die Entwicklung und die Herstellung von Peptiden spezialisiert. Mit den Halbjahreszahlen bestätigte der Auftragshersteller Mitte August seine frühere Prognose, dass im Gesamtjahr 2023 wegen der schnellen Expansion des Geschäftes ein Verlust anfallen werde. Ein Umstand, der nach dem schwachen Geschäftsjahr 2022 negativ ins Gewicht fällt. Polypeptide muss an der Börse Vertrauen in einen erfolgreichen Turnaround schaffen, ansonsten geht der Abverkauf an der Börse weiter. Gegenüber dem IPO-Ausgabepreis von 64 Franken hat der Titel 72 Prozent verloren. 

Mit Holcim findet sich auch ein Titel aus dem illustren Swiss Market Index (SMI) in der Liste wieder. Auch hier hat der Verschuldungsgrad von 53 Prozent die Folge, dass der Altman Z-Score bei 2,9 zu liegen kommt. Zuletzt hat sich die Situation jedoch deutlich verbessert und CEO Jenisch kommunizierte klar, dass die Verschuldung weiter zurückgehen soll. Holcim hat im Sommerquartal ein solides Ergebnis erzielt. Die Absatzflaute in Europa und Nordamerika konnte der Konzern mit Preiserhöhungen mehr als wettmachen. Das Ertragsprofil von Holcim dürfte sich dank Übernahmen und der Fokussierung auf wachstumsstärkere Bereiche weiter verbessern, prognostizieren Analysten. 

Modell von Altman als Entscheidungshilfe 

Das Modell von Altman hat trotz der Verwendung verschiedenster Finanzkennzahlen einen grossen Nachteil: Es findet keine Berücksichtigung des Cash Flows statt. Problematisch an diesem Umstand ist, dass ein positiver Cash Flow wesentlichen Einfluss auf das Insolvenzrisiko eines Unternehmens hat. Langfristig negative Cash Flows führen beispielsweise oftmals zu einer Zahlungsunfähigkeit, was einen Insolvenzantragsgrund darstellt.  

Transformationsprozess, Turnaround, hohe Schulden, Verluste und anhaltend negative Schlagzeilen: Der Altman Z-Score kann die Schwachstellen am Schweizer Aktienmarkt aufdecken. Ein tiefer Wert bedeutet aber nicht, dass zwangsläufig eine Insolvenz folgt. Insbesondere in der Schweiz, wo der letzte grössere Fall mit Swissair über zwei Jahrzehnte zurückliegt. Vielmehr finden Unternehmen ja Wege, um sich neu zu erfinden oder neues Kapital aufzunehmen.  

Das Modell sollte daher mit Vorsicht interpretiert werden und bietet Anlegerinnen und Anlegern vielmehr eine Entscheidungshilfe bei Investitionen. Tiefe Werte sprechen tendenziell gegen den Kauf. Das Ergebnis sollte trotzdem hinterfragt und mit der jeweiligen Konkurrenz aus der gleichen Branche verglichen werden, damit sich Anlegerinnen und Anleger eine aussagekräftigere Meinung bilden zu können. 

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