Eine hohe Inflation, deswegen hochschiessende Zinsen und rückläufiges Wachstum: Das Börsenjahr 2022 war für Anlegerinnen und Anleger ausgesprochen anspruchsvoll. Nach einem äusserst erfolgreichen 2021 haben das Ende des billigen Geldes und die konjunkturellen Gegenwinde Aktien auch in der Schweiz deutlich korrigieren lassen. Immerhin haben die Märkte bis zu den Zinsentscheiden von letzter Woche während rund zweieinhalb Monaten deutlich angezogen und den Absturz minimiert.   

Der als träge und defensiv betitelte Schweizer Aktienmarkt weist in diesem Jahr gegenüber den Märkten in Europa und den USA mehrheitlich eine Underperformance aus. Der Swiss Market Index (SMI) kommt mit minus 16 Prozent deutlich schlechter weg als der US-Index Dow Jones (-9 Prozent). Sogar der europäische Stoxx 50 (-12 Prozent) steht weniger tief im Minus. Wenigstens den US-Technologie-Index Nasdaq 100 (-32 Prozent) hat der hiesige Leitindex deutlich geschlagen.

In der Gesamtschau waren 2022 drei Dinge auffällig: Zum einen erlebten Wachstumswerte mit den steigenden Zinsen eine Bewertungskorrektur. Die hohen Erwartungen an die zukünftigen Gewinne wurden pulverisiert. Zweitens hat der laufende Konjunktureinbruch zyklische Titel korrigieren lassen. Drittens bot kein Sektor ausser den Rohstoffen insgesamt einen Schutz vor der Inflation. Vielmehr war ein gezieltes "Stock Picking" angesagt, um positive Kursrenditen zu erzielen. 

In der Schweiz stehen im SMI vier Gewinner 16 Verlierern gegenüber. Die Kursrendite reicht von minus 66 Prozent bei der Grossbank Credit Suisse bis plus 10 Prozent bei Zurich Insurance. Der Versicherungskonzern hat die Prämieneinnahmen im Kerngeschäft im laufenden Jahr kräftig gesteigert und sieht sich auf Kurs. Eine Dividendenrendite von 4,5 Prozent und wiederholte Aktienrückkäufe machen die Aktie interessant. Die Bewertung weist jedoch einen hohen Aufschlag gegenüber den wichtigsten Konkurrenten wie Allianz, AXA und Generali aus, was das zukünftige Aufwärtspotenzial mindern könnte.

Tops und Flops im SMI 2022

Tops und Flops im SMI 2022

Tops und Flops im SMI 2022

Quelle: Bloomberg

Die übrigen Gewinneraktien 2022 kommen aus ganz unterschiedlichen Sektoren. Der Pharmakonzern Novartis (+5 Prozent) hat die Wachstumsflaute einigermassen überwunden, was an der Börse goutiert wird. Die UBS (+1 Prozent) profitiert als Banktitel von den steigenden Zinsen und der starken Position in der Vermögensverwaltung. Der Zementhersteller Holcim (+1 Prozent) hat sich dank starken operativen Leistungen und gezielten Verkäufen wie dem Indien-Geschäft in der Anlegergunst gehalten. Die Frage für 2023 ist hier aber, in welchem Masee (oder nicht) der Konjunkturabschwung und die sinkenden Auftragsvolumen schon eingepreist sind. 

Die Krisen-Grossbank Credit Suisse ist nach einem fünften Quartalsverlust in Folge und wegen der Kapitalerhöhung und den Nachrichten zu den Kundengeldabflüssen wenig überraschend die schlechteste Aktie im SMI. Die unsichere Zukunft hindert die Aktie wohl auch von einer nachhaltigen Erholung im nächsten Jahr. Interessanter ist hingegen der kräftige Taucher beim Privatmarktanlagenspezialist Partners Group (-45 Prozent). Sinkende Erträge und steigende Kosten im nächsten Jahr seien schon in der Bewertung reflektiert, meinen Analysten. Grosse Kurssprünge darf man wegen der starken Ausrichtung auf Wachstumsunternehmen aber nicht erwarten.

Der Swiss Performance Index (SPI) hat seit Jahresbeginn 16 Prozent verloren. Die miserable Kursentwicklung der Credit Suisse wird im 217 Mitglieder umfassenden breiten Schweizer Börsenindex sogar noch durch Zur Rose in den Schatten gestellt. Beinahe 90 Prozent hat der Titel korrigiert, nachdem höhere Zinsen und die Verzögerung beim E-Rezept in Deutschland die Fantasie um zukünftige Gewinne nahezu aufgelöst haben. Ein Hoffnungsschimmer besteht aber: Der deutsche Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach hat Anfang Dezember gesagt, dass das E-Rezept Mitte nächsten Jahres kommen solle. Dies ist keine Garantie, aber zumindest (wieder einmal) ein gutes Zeichen.

Tops und Flops im SPI 2022

Tops und Flops im SPI 2022

Tops und Flops im SPI 2022

Quelle: Bloomberg

Noch schlechter als Zur Rose hat es neben dem sozialen Netzwerk Talenthouse (-97 Prozent) nur die Biotechunternehmen Obseva (-92 Prozent) und Addex (-90 Prozent) erwischt. Nachdem der Zulassungsantrag für einen Hoffnungsträger von Obseva im Juli bei der US-Zulassungsbehörde FDA durchgefallen ist, stürzte die Aktie ab. Auch sonst leiden Unternehmen im Biotech-Bereich, die kaum nennenswerte Produkte mit ausreichendem Geschäftspotenzial an den Markt gebracht haben, dieses Jahr unter verschlechterten Finanzierungsbedingungen. 

Bei den Gewinnern im SPI profitieren Meier Tobler (+116 Prozent) mit der Klimatechnik und Meyer Burger (+47 Prozent) mit Solarmodulen von der durch den Ukraine-Krieg beschleunigten Energiewende. Und der Kurs der stark kapitalisierten und gegen Krisen robusten Westschweizer Retail- und Vermögensverwaltungsbank BCV liegt 26 Prozent über dem Niveau vom 1. Januar. Das Jahreshoch erlebte der Titel im September bei 98,80 Franken. Grosse Kursrenditen dürfen Anlegerinnen und Anleger 2023 wegen der hohen Bewertung hier nicht erwarten.

Durch einen Kursschub in den letzten zweieinhalb Monaten steht Burckhardt Compression. 25 Prozent höher als zum Jahresbeginn. Der rekordhohe Auftragseingang im ersten Halbjahr zeigt, dass das Unternehmen aus Winterthur neue Wege gefunden hat, seine Technologieführerschaft im Bereich Kolbenkompressorsystemen auszuspielen. 

Unter den 30 Titeln im Dow Jones ist Chevron (+44 Prozent) in der Jahresrangliste auf dem ersten Platz. Der als US-Dividendenaristokrat geltende Ölkonzern, auf den auch Börsenlegende Warren Buffett setzt, profitiert von den stark gestiegenen Ölpreisen. Auch im kommenden Jahr dürften die Gewinne weiter sprudeln, da der Ölpreis wohl weiterhin vom inflationären Umfeld unterstützt wird.

Tops und Flops im Dow Jones 2022

Tops und Flops im Dow Jones 2022

Tops und Flops im Dow Jones 2022

Quelle: Bloomberg

Unter den Gewinnern befinden sich mit Caterpillar (+13 Prozent), Coca-Cola (+6 Prozent), IBM (+5 Prozent) und Johnson & Johnson (+3 Prozent) weitere Dividendenaristokraten, die seit mindestens 25 Jahren die Ausschüttungen stetig erhöht haben. Insbesondere die nach den starken Quartalszahlen im Oktober eingeleitete Aufwärtsbewegung bei IBM, das eigentlich als zinssensitiver Technologiewert gilt, ist bemerkenswert.

Dass IBM bei den Techwerten eine Ausnahme von der Regel darstellt, zeigen die Verlierer im bekanntesten Aktienindex der USA: Salesforce (-50 Prozent), Intel (-48 Prozent), Microsoft (-27 Prozent) und Cisco Systems (-25 Prozent) mussten deutlich Federn lassen. Aber auch die Aktionärinnen und Aktionäre des Unterhaltungskonzerns Walt Disney (-42 Prozent) blasen Trübsal. Gemessen am Rekordhoch vom 2021 verlor der Aktienkurs von Disney in der Spitze fast 60 Prozent. Knapp 200 Milliarden Dollar Marktwert gingen den Bach runter. Man kann aber hoffen, dass die Rückkehr des langjährigen Chefs Bob Iger eine Trendwende bringt.

ManuelBoeck
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