Finanzkennzahlen helfen Anlegern, Unternehmen zu bewerten und miteinander zu vergleichen. Welche Aktie ist am besten bewertet im Vergleich zum Gewinn? Bei welcher Aktie ist das Gewinnwachstum am besten abgebildet?
Mittlerweile gibt es so viele Kennzahlen, dass man vor lauter Ziffern die wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr sieht. cash.ch hat deshalb bei erfahrenen Analystinnen und Analysten nachgefragt, welche Kennzahlen für Profis die wichtigsten sind.
Ist die Aktie günstig oder teuer?
Die wichtigste Kennzahl für viele Investoren ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV, englisch P/E = Price-Earnings-Ratio). Das KGV folgt einem einfachen Prinzip: Der Aktienkurs eines Unternehmens wird ins Verhältnis zum Gewinn pro Aktie gesetzt. Es zeigt also, mit welchen Vielfachen des Gewinns eine Aktie gehandelt wird. Man kann dazu einen Durchschnittskurs oder bestimmte Tageskurse für die Berechnung verwenden.
Eine grobe Faustregel besagt: Bei einem Wert über 20 gilt die Aktie als eher teuer. Das ist allerdings branchenabhängig. Versicherer haben eher tiefe KGV, oft unter 10. Wachstumstitel erreichen kaum KGV-Werte unter 10.
Das Kennzahl gibt aber einen Hinweis auf die Aktienbewertung, wenn man auch die jeweiligen KGVs der kommenden zwei, drei Jahre anschaut. "Dabei muss die Kennzahl aus meiner Sicht unbedingt mit derjenigen der Konkurrenz verglichen werden, da die Kennzahl je nach Branche sehr unterschiedlich sein kann", sagt Sibylle Bischofberger, Senior Analyistin bei Vontobel. Beispielsweise sei der Pharmazulieferer Siegfried im Schweizer Branchenvergleich günstiger bewertet als Bachem, Lonza, PolyPeptide und Dottikon.
Das höchste Kurs-Gewinn-Verhältnis aus dem Swiss Market Index (SMI) weist derzeit der Augenheilkunde-Spezialist Alcon auf mit einem Wert von 113,5, wie in der Tabelle unten zu sehen ist. Damit gilt die Alcon-Aktie als sehr teuer. Im Verhältnis zum Gewinn am niedrigsten bewertet ist der Zementhersteller Holcim mit einem Wert von rund 10. Holcim-Aktien gelten deshalb als günstig.
SMI-Titel mit dem teuersten KGV | Kurs | KGV |
Alcon Inc | 74,38 | 113,5 |
Sika AG | 241,8 | 38 |
Logitech International SA | 59,66 | 33 |
Lonza Group AG | 475,5 | 31 |
Givaudan SA | 2865 | 30,4 |
SMI-Titel mit dem günstigsten KGV | Preis | KGV |
Swiss Re AG | 85,1 | 15,7 |
Zurich Insurance Group AG | 409,4 | 13,8 |
UBS Group AG | 21,94 | 12 |
Swiss Life Holding AG | 540,8 | 11,2 |
Holcim AG | 57,96 | 9,9 |
Das KGV sei jedoch nicht das Mass aller Dinge, meint Bischofberger. Die Kennzahl Price/Earnings-to-Growth (PEG) sei hilfreicher, weil dabei das mögliche Wachstum einbezogen werde. Der englische Begriff PEG ist weitverbreitet, auf deutsch entspricht er dem Begriff "Kurs-Gewinn-Wachstums-Verhältnis". Wer Unternehmen der selben Branche nur anhand des KGVs vergleicht, greift zur günstigsten Aktie. Doch die günstigste Aktie kann unter Umständen schlechtere Wachstumsaussichten haben.
Sowohl beim PEG als auch beim KGV sind tiefere Werte besser als höhere. Das PEG setzt das KGV einer Aktie ins Verhältnis zum erwarteten Gewinnwachstum. Dafür werden in der Regel die nächsten drei bis fünf Jahre berücksichtigt. Dabei gilt ein Wert unter 1 als eher unterbewertet, ein Wert über 1 deutet auf eine Überbewertung hin.
Wer die beiden Versicherer Swiss Life und Zurich Insurance vergleicht, sieht, dass Swiss Life bei beiden Kennzahlen besser abschneidet: Die Aktie ist günstiger (KGV: 11,2 vs. 13,8) und die Wachstumsaussichten besser (PEG: 3,03 vs. 9,15). Allerdings liegt auch der PEG-Wert von Swiss Life deutlich über 1, was für eine Überbewertung spricht. "Da ich hauptsächlich Wachstumstitel anschaue, unterstützen PEG-Werte meine Bewertungsbeurteilung", sagt Bischofberger.
SMI-Titel mit den schlechtesten PEG-Werten | Preis | PEG |
Zurich Insurance Group AG | 409,4 | 9,15 |
Sonova Holding AG | 237,6 | 7,92 |
Swisscom AG | 532,6 | 6,68 |
Geberit AG | 448,7 | 5,27 |
Roche Holding AG | 259,9 | 4,07 |
Swiss Life Holding AG | 540,8 | 3,03 |
SMI-Titel mit den besten PEG-Wert | Preis | PEG |
Alcon Inc | 74,38 | 1,8 |
Novartis AG | 90,84 | 1,24 |
Logitech International SA | 59,66 | 1,21 |
Partners Group Holding AG | 923,6 | 0,9 |
UBS Group AG | 21,94 | 0,86 |
Richemont SA | 123,25 | 0,75 |
Die dritte und für Bischofberger noch wichtigere Kennzahl ist, wie oft das Betriebsergebnis wiederholt werden müsste, um den eigenen Unternehmenswert zu erwirtschaften: EV / EBITDA. EV (Enterprise Value) steht für Unternehmenswert. Dieser wird durch das sogenannte EBITDA geteilt. Gemeint ist damit das Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen.
Titel mit EV/EBITDA-Werten unter 10 gelten als günstig. "Der Wert ist wichtig, weil er auch noch etwas über die Nettoverschuldung aussagt und Abschreibungen sowie Amortisationen noch nicht abgezogen sind."
Am schnellsten erwirtschaftet der Zementkonzern Holcim seinen eigenen Wert, der EV/EBITDA-Wert beträgt 7, wie in der Tabelle unten ersichtlich ist. Bei Givaudan liegt der Wert bei 21,3, damit braucht der Aromen- und Duftstoffhersteller von allen SMI-Titeln am längsten, um den eigenen Unternehmenswert zu erwirtschaften.
SMI-Titel die lange brauchen, um den Unternehmenswert zu erwirtschaften | Preis |
EV/EBITDA |
Givaudan SA | 2865 | 21,3 |
Sika AG | 241,8 | 20,7 |
Lonza Group AG | 475,5 | 19,9 |
Alcon Inc | 74,38 | 19,8 |
Partners Group Holding AG | 923,6 | 19,1 |
Wie rentabel wirtschaftet das Unternehmen?
Zu den wichtigsten Kennzahlen für Stifel-Analyst Pascal Boll gehört ROIC (Rendite auf das investierte Kapital nach Steuern). ROIC ist die Schlüsselkennziffer, die darüber Auskunft gibt, ob ein Unternehmen mit dem eingesetzten Kapital Gewinn erzielt, das heisst ob es Wert schafft oder vernichtet.
"Nestlé ist beispielsweise ein Unternehmen, welches den ROIC über die letzten Jahre stetig gesteigert hat", sagt Boll. Der ROIC-Wert ist für Anleger wichtiger als für Unternehmen, weil er als Hinweis dafür gilt, wie viel Dividende ausgeschüttet wird. Unternehmen mit einem ROIC-Wert von über 15 haben oft einen Markt- und Wettbewerbsvorteil.
Eine hohe Kapitalrentabilität bedeutet allerdings nicht zwingend, dass ein Unternehmen hochprofitabel ist. Hohe Kapitalkosten können die Rendite schmälern. Generell lässt sich jedoch sagen: Ein Unternehmen ist profitabel, wenn der ROIC-Wert grösser als Null ist.
Den grössten Umsatz pro investiertem Franken erzielt im SMI das Logistikunternehmen Kühne+Nagel mit einem Wert von 39,8 (siehe Tabelle unten). Mit einem ROIC-Wert von -8 macht der Versicherer Swiss Life am wenigsten aus den Investitionen.
SMI-Titel mit der höchsten Kapitalrentabilität nach Steuern | Preis | ROIC |
Kuehne + Nagel International AG | 266,7 | 39,8 |
Partners Group Holding AG | 923,6 | 27,5 |
Geberit AG | 448,7 | 25,7 |
Roche Holding AG | 259,9 | 22,8 |
ABB Ltd | 33,19 | 16,4 |
SMI-Titel mit der tiefsten Kapitalrentabilität nach Steuern | Preis | ROIC |
Swiss Re AG | 85,1 | 4,1 |
UBS Group AG | 21,94 | 2,3 |
Alcon Inc | 74,38 | 2,1 |
Zurich Insurance Group AG | 409,4 | -4 |
Swiss Life Holding AG | 540,8 | -8 |
Eine weitere wichtige Kennzahl für Boll ist ND / EBITDA (Verschuldung im Verhältnis zum Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen). Der sogenannte Verschuldungsgrad zeigt, wie schnell ein Unternehmen seine Schulden aus den Betriebserträgen decken könnte.
"Der Wert bringt die Bilanzqualität prägnant zum Ausdruck und zeigt wie viel Spielraum für zusätzliche Fremdfinanzierung besteht", sagt Boll. Nestlé verfüge hier mit einer Quote von 2,5 über einen soliden Hebel.
Ausserdem setzt Boll wie Bischofberger von Vontobel auf den EV / EBITDA (Unternehmenswert im Verhältnis zum EBITDA). "Die Bewertung des Unternehmens spielt insofern eine Rolle, weil auch ein gutes Unternehmen ein schlechtes Investment sein kann, wenn der bezahlte Preis den inhärenten Wert übersteigt", sagt Boll. Bei Nestlé liege die Bewertung seit ein paar Jahren etwas über dem Niveau der Konkurrenz. "Das ist aber durch das höhere Wachstum und Margenpotenzial gerechtfertigt."
Wie internationale Unternehmen verglichen werden
Neben dem bereits erwähnten ROIC (Gesamtkapitalrentabilität) beachtet Remo Rosenau, Leiter Research bei der Helvetischen Bank, die Kennzahl ROCE (Kapitalrentabilität vor Steuern). ROCE hat den Vorteil, dass sich Unternehmen verschiedener Länder vergleichen lassen, weil der Steuereffekt wegfällt. Mit der ROCE-Kennzahl lässt sich ausserdem die Kapitalrentabilität mit den Kapitalkosten vergleichen und ist für die Unternehmen wichtiger als ROIC.
Ist der ROCE-Wert (Rentabilität) tiefer als die Kapitalkosten, vernichtet das Unternehmen Geld. Die ROIC-Werte nach Steuern beinhaltet noch etwas Goodwill, was beim ROCE-Werten vor Steuern nicht der Fall ist.
SMI-Titel mit der besten Kapitalrendite vor Steuern | Preis | ROCE |
Sonova Holding AG | 237,6 | 75,9 |
Kuehne + Nagel International AG | 266,7 | 72,2 |
ABB Ltd | 33,19 | 57,2 |
Geberit AG | 448,7 | 55,6 |
Nestle SA | 106,6 | 51,5 |
SMI-Titel mit der schlechtesten Kapitalrendite vor Steuern | Preis | ROCE |
Logitech International SA | 59,66 | 18,7 |
Holcim AG | 57,96 | 15,3 |
Swisscom AG | 532,6 | 14,6 |
Alcon Inc | 74,38 | 6,7 |
Richemont SA | 123,25 | 2,5 |
Wer jede der sechs oben genannten Investorenkennzahlen kennt und sie interpretieren kann, ist im Vorteil. Das ist für Laien sicher kein einfaches Unterfangen. Sibylle Bischofberger von Vontobel hält fest: "Aus meiner Sicht ist nicht eine einzige Kennzahl entscheidend, sondern, dass man mehrere einbezieht, um ein möglichst gutes Bild zur Bewertung eines Unternehmens zu erhalten, da jede Kennzahl ihre Schwächen und Stärken hat."