Von der inversen Zinsstrukturkurve ist die Rede, wenn bei Anleihen mit kurzer Laufzeit die Rendite höher ist als bei Anleihen mit langer Laufzeit. Der Normalzustand ist dies nicht: Normalerweise sind bei kurzen Laufzeiten die Renditen tiefer. Tritt also eine inverse Zinskurve auf, schrillen bei manchen die Alarmglocken. Die "sich kreuzenden" Kurven werden allgemein als Rezessionssignal interpretiert. 1990, 2001 und 2008 folgen schrumpfte die US-Wirtschaft nach der Inversion der Zinskurve.
Staatsanleihen der USA mit 2 Jahren Laufzeit haben derzeit einen "Yield" von 4,319 Prozent. Bei dreijährigen Anleihen sind es 4,036 Prozent. Bei zehn Jahren Laufzeit rentieren Schuldverschreibungen der US-Regierung hingegen mit 3,515 Prozent. Für den amerikanischen Notenbankchef Jerome Powell ist der Unterschied ("Spread") zwischen dreijährigen und zehnjährigen Anleihen der bevorzugte Rezessionsindikator.
Wenn die Wirtschaft ein Minuswachstum fürchtet, gerät der Aktienmarkt erst recht in Unruhe. Einer, der dieser Stimmung misstraut, ist Chefstratege Jim Paulson vom Marktanalyse- und Vermögensverwaltungsunternehmen Leuthold Group. "Während Renditekurven-Inversionen normalerweise in der Wirtschaft, beim Beschäftigungsaufbau und sogar den Gewinnen Schaden anrichten, sind sie nicht annähernd so schlecht für den Aktienmarkt, wie dies oft gesagt wird."
Kurse bereits stark gesunken - ein positives Signal?
Eine inverse Zinskurve sorgt bei anderen Marktteilnehmern für latente Panik. Einer Prognose der Bank of America (BofA) von vergangener Woche zufolge könnten die Aktienkurse um 24 Prozent fallen, wenn die USA 2023 in eine Rezession fallen. Wenn die Zinskurve invertiere, seien Aktienkurse "noch weit entfernt" von einem Boden, schrieb die Bank.
Für besondere Unruhe sorgt dies in einem Jahr, in dem der US-Index S&P 500 selbst nach einer kräftigen Erholung im Spätherbst noch 14,5 Prozent im Minus liegt. Doch genau die starken Kursrückgänge könnten ein Grund sein, weswegen die Zukunft weniger düster ist als gedacht.
S&P 500 könnte positiv überraschen
In einem Kommentar, über den die Finanznachrichtenplattform Markets Insider berichtete, bezeichnet Leuthold-Stratege Paulson die erwarteten Kursrückgänge als möglicherweise stark übertrieben. Bei den letzten Inversionen der 3- und 10-Jahres-Renditen sei die Performance des S&P 500 in den darauffolgenden jahren "überraschend positiv" gewesen. Der Index nahm typischerweise in einem Jahr nach der Inversion um 6 Prozent zu. Weitere 14 Prozent folgten im Jahr darauf. In fünf von neun Fällen nach diesem ungewöhnlichen Zins-Ereignis waren die Kursgewinne über Jahre positiv.
Die Kursverluste seien dann besonders gering, wenn der S&P 500 schon vor der eigentlichen Inversion Gegenwind einpreise. Paulson verweist auf 2019, als der Index schon 20 Prozent im Minus lag, als die 3-auf-10-Jahre-Kurve invertierte. Bis zum Coronaschock im Februar 2020 performte der Index dann weiterhin gut.
Dieses Mal könnte es genauso sein. Die 3-jährige Zinskurve kreuzte sich mit der 10-jährigen im Oktober: Zu diesem Zeitpunkt war der S&P 500 schon 25 Prozent gefallen. Paulson sagt: "Trotz der heute allgegenwärtigen Sorgen bezüglich eines 'Todesurteils' für Aktien durch die jüngste Renditekurven-Inversion lehrt uns die Geschichte, dass alle möglichen Konsequenzen weniger schädlich sein werden als angenommen." Der S&P 500 könnte deshalb gar mit einem Upside überraschen.
(cash)