Am Dienstag erlebten Aktionärinnen und Aktionäre des insolventen Bekleidungsunternehmens Adler Modemärkte ihr blaues Wunder. Innerhalb von Sekunden nach Handelseröffnung stürzte die Aktie um rund 80 Prozent in die Tiefe. Der Fall zeigt, wie schnell sich Anleger bei Zockerpapieren die Finger verbrennen können. Zwar scheint es zu Beginn jeweils immer nur steil nach oben zu gehen. Doch diejenigen, die bei einem Absturz der Aktie zu spät den Ausgang finden, zahlen am Ende die Zeche der Zocker-Party. Die Tragik: Dass der Absturz kommen musste, war in diesem Fall völlig absehbar.
Kursenwicklung der Aktie von Adler Modemärkte in den letzten drei Monaten. Grafik: cash.ch.
Der Hype um die Adler-Aktie begann Mitte Mai und war eines der ersten Anzeichen, dass die Hysterie um sogenannte "Meme-Aktien", also Zockerpapiere, nun auch in Deutschland angekommen war. Die Aktie begann ab dem 18. Mai plötzlich massiv an Wert zu gewinnen. Der Kurs schoss von rund 0,19 Euro auf bis zu 1,51 Euro in die Höhe - ein Plus von knapp 700 Prozent. Der Grund war eigentlich kein wirklicher: Das seit dem Januar insolvente Modehaus hatte gemeldet, einen staatlichen Überbrückungskredit über zehn Millionen Euro erhalten zu haben, um die Zeit zu überbrücken, bis ein Investor gefunden sei.
Doch bereits damals war klar, dass die Firma insolvent ist und Aktionärinnen und Aktionäre am Ende des Tages wohl nach leer ausgehen werden. Inhaber von Aktien gelten nämlich nicht als Gläubiger sondern als Teil-Inhaber der Firma. Wird nach der Insolvenz eines Unternehmens die Insolvenzmasse verteilt, sind Aktionäre daher erst ganz am Schluss dran - wenn bis dahin überhaupt noch etwas übrig geblieben ist. Trotzdem genügte die Nachricht des Überbrückungskredits, um aus der Adler-Aktie einen sogenannten "Meme-Stock" zu machen.
«Bestehende Aktien werden wertlos»
Dabei handelt es sich um Aktien, die von Privatanlegern in einer konzertierten Aktion nach oben gekauft werden. Die Anleger sprechen sich dafür in Internetforen oder Chat-Gruppen ab. Meist haben sie es dabei auf "Pennystocks", also kleinkapitalisierte Unternehmen abgesehen, weil es bei diesen für Kleinanleger einfacher ist, die Kurse nach oben zu treiben. Nach der News des Überbrückungskredits für Adler Modemärkte wurde die Modekette zum neuen Ziel der "Meme-Trader" ausgemacht.
Doch am Dienstag endete die Party abrupt. Die insolvente Modekette meldete, sie habe einen neuen Eigentümer gefunden. Die Berliner Logistikgruppe Zeitfracht sei bereit, das Unternehmen zu übernehmen und mit dem dringend benötigten frischen Kapital zu versorgen. Das Problem: Die Aktionäre sollen nach dem Insolvenzplan leer ausgehen. Zeitfracht werde mit der Kapitalspritze Alleineigentümer. "Die bestehenden Aktien werden somit aller Voraussicht nach vollständig wertlos", hiess es in der Mitteilung.
Aktionäre kommen bei Insolvenzen zuletzt dran
Der Plan von Zeitfracht ist es, das Unternehmen Adler von der Börse zu nehmen - und zwar durch einen sogenannten Kapitalschnitt. Dabei handelt es sich um eine Herabsetzung des Eigenkapitals, die im Rahmen einer Sanierung zum Ausgleich von Wertminderungen oder zur Deckung von sonstigen Verlusten durchgeführt wird. Mit anderen Worten: Die Verluste werden mit dem Eigenkapital der Firma verrechnet, was bei insolventen Firmen bedeutet, dass das Eigenkapital auf null fällt - und damit auch der Wert der Aktien. Weil Aktionäre aber, wie gesagt, als Inhaber und nicht als Gläubiger gelten, haben sie keinen Anspruch auf Schadensersatz.
Das alles ist bereits vor Dienstag absehbar gewesen. Trotzdem hatten sich Zocker auf diese Aktie eingeschossen, weil eine kleine News wie die Gewährung des Überbrückungskredits bei Anlegern unrealistische Kursphanatsien hervorrufen können. Auch bei der Aktie des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard hatte man dieses Phänomen mehrfach beobachten können. Was Anleger immer wieder zu vergessen scheinen: Nur weil sich herausstellt, dass der Insolvenzverwalter, wie im Fall Wirecard, Teilgeschäfte für einen gewissen Preis verkaufen konnte, bleibt das Unternehmen noch immer insolvent - und Aktionäre damit weiterhin am untersten Ende der Nahrungskette.