Während Top-Firmen Millionen ausgeben, um die besten und klügsten Experten der Wall Street anzuwerben, profitierten sogar Praktikanten von einer Erhöhung ihrer Vergütung. Führende Investmentbanken steigerten die Praktikantenvergütung um 37,2 Prozent für die aktuelle Praktikumssaison, im Gegensatz zum letzten Jahr, während andere Grossbanken gemäss der Finanzkarriere-Website "Wall Street Oasis" 36,9 Prozent mehr bezahlen. 

Es sind besonders harte Zeiten in Sachen Rekrutierung für die Wall Street. Während viele Industrien damit kämpfen, Arbeiter in einem angespannten Arbeitsmarkt einzustellen, hatte der Finanzsektor gleichzeitig mit einem hohen Mass an Personalwechseln und Unzufriedenheit unter Junior-Bankern zu kämpfen, welche sich auf notorische Art und Weise durch 100-Stunden-Wochen schufteten.

Hippe Techfirmen gegen die Wall Street

Die traditionellen Bereiche des Banking konkurrieren nun mit "hippen" Techfirmen, welche sowohl unkompliziertere und flexiblere Arbeitsplätze, aber auch lukrativere Finanzbereiche wie Beteiligungsfirmen bieten. Der Gründer von Wall Street Oasis, Patrick Curtis, sagte, das Wachstum an Vergütungen für angehende Junior-Banker im vergangenen Jahr sei das höchste, welches er seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 2006 gesehen hat.

Und es sind nicht nur die Banken: Praktikanten beim Eigenhandelshaus "Jane Street" verdienen durchschnittlich 16'356 Dollar im Monat – das entspricht fast 200'000 Dollar pro Jahr. Jane Street wollte sich nicht dazu äussern. "Das sind Rekordzahlen für Praktikantenvergütungen, vor allem was wir im Jahr 2022 sehen", sagte Curtis dazu.

Hedgefonds oder Hochfrequenz- und Eigenhandelsunternehmen stehen ganz oben auf der Liste für Praktikantenvergütungen, gefolgt von Investmentbanken, wobei die besten acht laut Wall Street Oasis ein Durchschnittsgehalt von über 10'000 Dollar pro Monat zahlen. Ein typisches Praktikum bei Finanzunternehmen dauert zwischen zehn und zwölf Wochen im Sommer, obwohl einige auch erweiterte Trainingsprogramme anbieten. Für 0,8 Prozent der Bewerber, die erfolgreich ein Praktikum beim Top-Hedgefonds Citadel absolvieren, beträgt das durchschnittliche Monatsgehalt 14'000 Dollar oder mehr, je nach Funktion – normalerweise entweder als Software-Ingenieur, Händler oder quantitativer Forscher, gemäss der Aussage eines Firmen-Sprechers.

Umso technischer, umso höher

Der Vermögensverwalter Point72 bestätigte, dass Studenten im Monat 10'750 Dollar für ein Praktikum als Investmentanalyst geboten würden, welches acht Wochen dauert. Die Credit Suisse sagte dazu, die vorgelegten Zahlen seien aufgrund der Tatsache ungenau, dass es mehrere Variablen gibt, die die Bezahlung eines Praktikanten bestimmen, aber wollte dabei nicht näher darauf eingehen, wie ihre eigenen Löhne aussehen. Die restlichen Firmen lehnten es ab, einen Kommentar abzugeben oder müssen noch auf die Anfragen von Bloomberg reagieren.

Curtis von Wall Street Oasis erklärte dazu, dass Unternehmen die Vergütung danach bestimmten, wie technisch die Position ist, wobei quantitative Handels- und Ingenieurpraktika normalerweise am besten bezahlt werden.

Laut der Karriereseite Glassdoor erreichen Praktika als Software-Ingenieure und als Analysten im Investmentbanking den höchsten Durchschnittslohn. Der Standort könnte ebenfalls einen Einfluss auf die interne Vergütung haben, wobei Positionen in teuren Städten wie New York oder San Francisco oftmals höhere Löhne einbringen.

Ruf von Wall Street geschädigt

Wenig überraschend erhalten auch Praktikanten, welche gleichzeitig ein Studium bestreiten, einen höheren Lohn. Nach Angaben des Nationalen Verbands für Hochschulen und Arbeitgeber verdiente ein Praktikant, welcher im ersten Jahr eines Master’s Finanzen studierte, ein durchschnittliches Gehalt von 31,47 Dollar pro Stunde, während ein College-Student während des akademischen Jahres 2019-2020 im dritten Jahr 19,67 Dollar und ein Student im vierten Jahr 21,34 Dollar pro Stunde verdiente.

Die Crowdsourcing-Daten von Glassdoor und Wall Street Oasis basieren auf Benutzerbeiträgen von Studenten und Doktoranden von 2021 bis 2022. Wall Street Oasis sammelt hauptsächlich Daten zur Vergütung im Finanzsektor, während Glassdoor Daten von grossen Unternehmen über mehrere Branchen hinweg sammelt.

Tech-Industrie auf Überholspur

Jahrelang war die Wall Street der Traumort für hungrige neue Absolventen, die auf eine erfolgreiche Karriere hoffen. Dann wurde der Ruf der Finanzbranche durch ihre Rolle bei der Subprime-Hypothekenkrise beschädigt und junge Rekruten begannen zu lebhaften Unternehmen im Silicon Valley zu strömen.

Laut der Glassdoor-Ökonomin Lauren Thomas hat die Tech-Industrie ihren Platz als Top-Spot für neue Talente in den vergangenen Jahren gefestigt. Vor zwei Jahren war die Tech-Branche mit weniger als der Hälfte der Unternehmen auf der Liste von Glassdoor vertreten, welche die höchstbezahlten Praktika auflistet. Inzwischen machen Unternehmen aus dem Silicon Valley 68 Prozent der Liste aus. "Dies zeigt, wie die Technologie- und die Finanzbranche hart miteinander um Talente konkurrieren und wie dieser Wettbewerb um Qualitätsarbeiter auf dem heutigen Arbeitsmarkt ständig zunimmt", sagte Thomas dazu.

Die Videospielplattform Roblox führte die Liste von Glassdoor mit einem Monatsgehalt von 9667 Dollar im Monat an. Ein Sprecher von Roblox sagte dazu, das Unternehmen zahle seinen Praktikanten 58 bis 60 Dollar pro Stunde. Aber die Zeiten könnten sich jetzt ändern, wenn Finanzunternehmen bis zu achtstellige Gehaltspakete für Top-Talente ausgeben und grosse Technologieunternehmen durch fallende Aktienkurse etwas von ihrem Glanz verlieren. 

Im Jahr 2021 ist nach Angaben von Glassdoor der Anteil der bezahlten Praktika, welche 8000 Dollar pro Monat als Lohn haben, im Finanzbereich um 33 Prozent und im Technologiebereich um 22 Prozent gestiegen. Während der kürzlichen Rekrutierung von Praktikanten hat sich gezeigt, dass sich gewiefte Studenten wieder auf die Wall Street konzentrieren.

Beispiellose Gehaltserhöhungen im Bankensektor

Eine Rekordzahl von 236'000 Menschen weltweit bewarb sich bei Goldman Sachs um ein höchst begehrtes Praktikumsprogramm, mit einem Anstieg von 17 Prozent gegenüber 2021, wie die Newswebsite Business Insider berichtet. Auch Morgan Stanley meldete einen Anstieg der Bewerbungen für den letzten Praktikumszyklus, ohne dabei zu erwähnen, wie viele sie effektiv erhalten hat. 

Nach Curtis könnte der Anstieg der Bewerbungen mit den beispiellose Gehaltserhöhung für Junior-Banker im Zusammenhang stehen, welche sechsstellige Zahlen zum Starten beinhalten. Anfang dieses Monats erhöhte die UBS ihr Gehalt für Analysten im ersten Jahr zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres, um mit Citigroup und JPMorgan konkurrieren zu können, welche den neuen Standardlohn für Junioren bei 110’000 Dollar pro Jahr festlegten.

Dennoch glaubt er, dass das Silicon Valley weiterhin Talente von der Wall Street weglocken wird. "Ich habe noch nie eine solche Beschleunigung der Bezahlung für neue Investmentbanker in so kurzer Zeit gesehen", sagte Curtis dazu. "Aber eine dramatische Gehaltserhöhung reicht nicht aus, um die Abwanderung nach Silicon Valley zu stoppen."

(Bloomberg)