Milan Nitzschke könnte ganz zufrieden sein: Als Geschäftsführer von SL-Naturenergie arbeitet er in einer Wachstumsbranche, die ihre besten Zeiten noch vor sich haben soll. Mehr als 140 Windräder hat die Firma im Westen Deutschlands schon hochgezogen. Der Ausbau gewinnt in Europa und Deutschland an Fahrt. Jährlich sollen zehn Gigawatt-Leistung allein an Land errichtet werden, das Dreifache von 2023.

Ein gigantischer Markt, der weltweit Aufmerksamkeit auf sich zieht - auch in China. Und genau das bereitet Nitzschke Sorgen: «Wir erleben Ähnliches wie bei der Solarindustrie», sagt er voraus. «In drei bis fünf Jahren sind die Chinesen da und bestimmen den Markt - das wird sicher passieren, wenn die Politik nicht handelt.»

Der Manager muss es wissen, denn er hat den Aufstieg und Absturz der deutschen Solarbranche verfolgt wie kaum ein anderer. Anfang des Jahrtausends leitete er den jungen Verband der Erneuerbaren Energien. Er wechselte zum Solarmodul-Produzenten Solarworld, als die Chinesen ihre Offensive in Deutschland, dem damals weltweit wichtigsten Solarmarkt, starteten. Dass die Firmen bei ihrem Siegeszug Staatshilfe aus Peking bekamen, war ein offenes Geheimnis in der EU. Als Präsident des eilig gegründeten Verbands «EU ProSun» kämpfte Nitzschke für Schutzzölle. Doch es war zu spät und zu wenig. Heute ist die Branche in chinesischer Hand.

Dasselbe Schicksal könnte die Windbranche ereilen. Auch hier sind die Chinesen auf dem Vormarsch. Kürzlich kündigte der Investmentfonds Luxcara an, einen kleinen Offshore-Windpark erstmals in Deutschland mit Turbinen vom chinesischen Hersteller Mingyang Smart Energy auszurüsten. Das Aufsehen war gross - die Überraschung nicht. China hat vor allem die Zukunftsmärkte im Visier, die Windbranche konnte da keine Ausnahme bleiben. Bisher lieferten Windräder für Europa fast ausschliesslich europäische Firmen - zum Beispiel Siemens-Gamesa, Vestas, Nordex oder Enercon.

China hat Überkapazitäten

Die chinesischen Konkurrenten heissen Goldwind, Envision, Windey oder eben Mingyang. Bisher machen ihre Turbinen weniger als ein Prozent der europäischen Windkapazität aus. Doch 2023 hatten die Aufträge für chinesische Hersteller in Europa den Daten des europäischen Branchenverbands WindEuropa zufolge ein Volumen von 1,2 Gigawatt - zuvor brauchten die Chinesen zehn Jahre, um das zusammenzubekommen. Zum Vergleich: Allein an Land will Deutschland bis 2030 mehr als 50 Gigawatt zubauen. Dazu kommen 20 Gigawatt auf hoher See.

Nach Schätzungen des Global Wind Energy Council hat China jedoch eine jährliche Produktionskapazität an Turbinen von 82 Gigawatt, mehr als der eigene Markt aufnehmen kann und fast viermal so viel wie Europa. Neun der 15 grössten Windrad-Produzenten kommen mittlerweile aus China. Der Bundesverband der Windindustrie (BWE), der vor allem die Windpark-Entwickler vertritt, ist alarmiert: «Die Chinesen haben riesige Überkapazitäten auf ihrem Heimatmarkt und drängen auch deshalb nach Europa und Deutschland», erläutert BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm.

Ihre Turbinen seien nur halb so teuer wie die der Konkurrenz. Und das, obwohl sie noch den Nachteil langer Transportwege nach Europa haben. Das deute auf unfaire Staatshilfen hin, glaubt Axthelm. Es sei Zeit zu handeln. «Wer einmal die Tür aufmacht, kriegt die Tür nicht wieder zu.»

Die chinesische Offensive ist für alle sichtbar bei Messen, wo Unternehmen aus der Volksrepublik ganze Hallen mieten. Bei der WindEnergy in Hamburg, die im September läuft, haben sich über 80 Aussteller aus China angemeldet - mehr als doppelt so viele wie bei der Vor-Corona-Messe 2018. Sie decken die gesamte Wertschöpfungskette ab von Planung, über Lieferung und Aufbau bis hin zum Ersatz alter Anlagen.

Besonders verlockend für die überwiegend mittelständischen deutschen Windpark-Entwickler sind die Finanzierungsangebote. Chinesische Produzenten wie Sany haben eine angeschlossene Bank. Gezahlt werden muss beispielsweise erst, wenn die Windräder sich schon drehen, also Geld fliesst. Oder das Angebot lautet, Zahlung erst drei Jahre nach Bestellung, wie es in einem BWE-Papier heisst. In Zeiten hoher Zinsen eine Versuchung. Ein Mittelständler, der in den nächsten Jahren 50 Windräder bauen will, muss dafür in der Regel eine halbe Milliarde Euro vorfinanzieren.

Windpark-Entwickler müssten sich eigentlich freuen

Die Windpark-Entwickler müssten sich eigentlich freuen, wenn die Chinesen mit günstigen Angeboten auf den Markt für Turbinen an Land vordrängen. Auch Nitzschke und seine Firma SL Naturenergie würden von günstigen Lieferanten profitieren. Doch die Skepsis überwiegt: Die Wartung der Anlagen ist weitaus aufwändiger als bei Solarparks. Dafür müssen die chinesischen Firmen Service-Niederlassungen im Land und vor allem Vertrauen aufbauen. Nitzschke erinnert sich an Photovoltaik-Firmen aus China, die schnell wieder vom Markt verschwanden und die Solar-Betreiber ratlos zurückliessen.

Es gibt weitere Sorgen, die Windrad-Hersteller als auch Windpark-Betreiber eint: Die Energieversorgung ist so zentral wie sensibel für die Wirtschaft. Sich hier von chinesischer Technik abhängig zu machen, könne nicht im Interesse der europäischen Staaten sein. «Die Erfahrung mit den Gaslieferungen aus Russland zeigt uns, wie anfällig wir sein können», sagt Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer beim Hersteller-Verband VDMA-Power Systems. «Damals ging es um den Brennstoff, mittlerweile geht es auch um die Hardware, also Maschinen und Anlagen.»

Selbst wenn die Windräder auf deutschen Feldern stünden, hätten Chinesen die Hand drauf: «Technisch ist es so, dass die Hersteller der Windturbinen diese auch abschalten können», erläutert Rendschmidt. Dazu komme das Problem der Datensicherheit: Windturbinen haben zahllose elektronische Sensoren, die permanent Daten liefern. «Wollen wir, dass chinesische Firmen diese Datenströme kontrollieren?», fragt der BWE in seinem Papier.

Politik ist alarmiert

So wie bei der Solarbranche dürfe es nicht wieder kommen, hofft Nitzschke. «Noch ist es anders als damals in der Solarbranche als einige Leute nach dem schnellen Geld aus waren und die Gefahr nicht sehen wollten.» Ihnen waren die billigen chinesischen Module lieb. Im Gegensatz zur Solarbranche versuchen jetzt die Käufer und die Hersteller der Windräder geschlossen vorzugehen und die Politik zur Hilfe zu holen.

Bisher ist der Erfolg begrenzt: Zwar hat EU eine Untersuchung wegen unfairer Subventionen für chinesische Firmen eingeleitet. Doch die EU-Untersuchungen ziehen sich erfahrungsgemäss hin. Chinas Wind-Verband zeigt sich verärgert und bestreitet, dass die Branche unfaire Hilfen erhält. Man könne günstig anbieten, da der chinesische Markt gross und die Firmen so Kostenvorteile hätten. «Die Anti-Subventions-Untersuchungen der EU sind für die europäischen Ziele zum Wind-Energie-Ausbau nicht förderlich», warnt Verbands-Generalsekretär Qin Haiyan.

Die EU hat zudem den Staaten die Möglichkeit eingeräumt, den Ausbau der Windindustrie stärker zu steuern. Bei 30 Prozent der staatlichen Ausschreibungen für neue Flächen könnten sogenannte qualitative Kriterien vorgeschrieben werden, also auch ein Anteil von Komponenten aus europäischer Produktion. Dies wäre ein Weg, die europäische Industrie zu stärken. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat versprochen, er wolle dies schnell umsetzen. Auf das Konzept der Regierung wartet die Branche aber immer noch.

Die Bundesregierung verweist darauf, dass bei Anlagen der «kritischen Infrastruktur» eine Genehmigung verlangt werden könnte. Hier gebe es einen EU-Beschluss, «um im Zusammenhang mit ausländischen Investitionen in die EU-Windkraftindustrie mögliche Gefahren für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung auszuschliessen.» Was dies konkret für Windparks bedeutet, bleibt aber offen.

Zhang Qiying, Technik-Vorstand von Mingyang, gibt sich angesichts der Bemühungen von EU und Regierung gelassen. Mehr Wettbewerb würde Europa doch helfen, auch wenn nicht alle begeistert seien: «Einige Konkurrenten ... wollen uns nicht in Europa. Das kann man verstehen», sagte er Reuters und kündigt an: «Wenn der Westen unsere Turbinen will, wir sind da.»

(Reuters)