Die betroffenen Kinder leiden unter anhaltendem Fieber, starken Bauchschmerzen, Ausschlägen und haben eine geschwollene Zunge. Die Blutgefässe entzünden sich, mitunter wird das Herz geschädigt. Der Kinderarzt Sunil Sood von der Cohen-Kinderklinik in New York berichtet, dass rund die Hälfte der jungen Patienten in seiner Klinik wegen einer Herzmuskelentzündung auf die Intensivstation verlegt werden mussten.
Mediziner sprechen vom "pädiatrischen entzündlichen Multisystem-Syndrom", abgekürzt MIS-C. Die Erkrankung ähnelt dem seltenen Kawasaki-Syndrom, einer Gefässerkrankung bei Kindern, die bis zum Organversagen führen kann.
In Europa trat das verdächtige Syndrom bis Ende vergangener Woche bei etwa 230 Kindern im Alter bis zu 14 Jahren auf, wie das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten mitteilte. In der Schweiz seien seit Anfang März zehn Fälle bei Kindern und Jugendlichen aufgetreten, sagte der Kinderarzt und Infektiologe Christoph Aebi zur "NZZ am Sonntag". Jedoch sei keines der Kinder gestorben.
Ärzte im norditalienischen Bergamo berichten, dass das entzündliche Syndrom in jüngster Zeit deutlich häufiger auftrat: Von Mitte Februar bis Mitte April gab es laut ihrem Bericht in der Fachzeitschrift "The Lancet" zehn Fälle im Vergleich zu 19 Fällen in den vergangenen fünf Jahren. In der Region New York wurden mehr als hundert Fälle gezählt.
Mindestens fünf Kinder - drei in New York und je eines in Frankreich und Grossbritannien - sind an dem Syndrom gestorben. Bei wenigstens zwei weiteren Fällen wird es als Todesursache vermutet.
Experten vermuten, dass Sars-CoV-2 bei den betroffenen Kindern eine Überreaktion des Immunsystems auslöst. Statt den Körper zu schützen, greife das Immunsystem dann das Gewebe und die Organe an. "Die Kinder hatten das Virus und der Körper hat es zunächst abgewehrt", sagt der Kinderarzt Sood. "Aber jetzt gibt es diese verzögerte überschiessende Immunreaktion."
Dafür sprechen auch die Beobachtungen der Immunologin Julia Kenny von der Evelina Kinderklinik in London, an der 50 Kinder mit dem Syndrom behandelt wurden. Nur bei einem kleinen Teil von ihnen konnte eine akute Corona-Infektion nachgewiesen werden. "Aber die meisten wurden positiv auf Antikörper getestet", sagt Kenny. Das bedeute, dass sie zuvor symptomlos infiziert gewesen seien.
Die Zunahme der Fälle scheint mehrere Wochen hinter der Spitze der Infektionen in der Allgemeinbevölkerung zu liegen. Das legt die Vermutung nahe, dass Antikörper eine Rolle bei der Entwicklung des Syndroms spielen könnten.
Eine Theorie geht von einer genetischen Disposition aus. In Grossbritannien waren sechs der acht als erste erkrankten Kinder afro-karibischer Abstammung, wie aus einer vergangene Woche veröffentlichten Studie in "The Lancet" hervorgeht. Auch der in Frankreich verstorbene Junge hatte nach Angaben der Ärzte afrikanische Wurzeln.
(SDA)