cash: Die US-Fed hat ihre Zinserhöhung zeitlich nach hinten geschoben. Kommt dieser Schritt für Sie überraschend?
Alessandro Bee: Die Fed hat in seiner Sitzung vom 19. März einen schnelleren Anstieg der Leitzinsen in den kommenden Jahren prognostiziert, was die Märkte bewogen hat, das Ende der Nullzinspolitik gedanklich vorzuziehen. Das Protokoll der Fed-Sitzung zeigt nun allerdings, dass die Fed ein solches Signal an die Märkte vermeiden wollte. Von daher würde ich eher von einer missglückten Kommunikation als von einer Überraschung reden.
Wann kann nun realistischerweise mit einer Leitzinserhöhung der Fed gerechnet werden?
Wir sehen die erste Leitzinserhöhung in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres. Die Verbesserungen im US-Arbeitsmarkt sind augenfällig, allerdings hat das Fed auch klar gemacht, dass es noch mehr braucht, um eine Änderung der Geldpolitik herbeizuführen.
Welchen Einfluss hat eine Erhöhung der Geldmarktzinsen auf die Kapitalmarktzinsen in den USA?
Die erste Erhöhung der Geldmarkzinsen dürfte einen bedeutenden Einfluss auf die Kapitalmarkzinsen ausüben. Der erste Zinsschritt wird nicht einfach als eine einmalige Erhöhung gesehen, sondern als der Startschuss eines mehrjährigen Zinserhöhungszyklus.
Welche Signalwirkung hätte eine US-Leitzinserhöhung auf die europäischen Geldmarktzinssätze?
Die Geldmarktzinsen dürften wenig berührt werden, hängen diese doch in erster Linie von der EZB-Politik ab. Hingegen wird der Einfluss auf die Kapitalmarktzinsen gross sein, denn am langen Ende der Zinskurve laufen US- und europäische Zinsen oft parallel.
Wann rechnen Sie mit einer Erhöhung der europäischen Leitzinsen? Und welchen Einfluss hätte dies auf die Schweizer Leitzinsen?
Wir gehen von einer Leitzinserhöhung der EZB frühestens im Jahr 2016 aus. Die USA sind in der wirtschaftlichen Erholung sehr viel weiter fortgeschritten als Euroland – deshalb die zeitliche Verzögerung. Auch für die SNB sehen wir erst im 2016 erste Zinsschritte. Hebt die SNB die Zinsen vor der EZB an, würde die Frankenuntergrenze unweigerlich unter Druck kommen.
Die Mehrheit der Schweizer Hauseigentümer bevorzugt Festhypotheken. Wäre eine verstärkte Finanzierung mittels Libor-Hypotheken zu bevorzugen?
Nur kurzfristig. Langfristig werden auch die Schweizer Leitzinsen ansteigen. Hinzu kommt, dass die heutige relative Prognosesicherheit bezüglich des Libors bei einem Zinsanstieg wegfällt. Hauseigentümer mit Libor-Hypotheken müssen sich dann auf eine weit höhere Finanzierungsunsicherheit einstellen.
Wo lauern die grössten Gefahren für Hypothekarschuldner?
Gerade für Hauseigentümer mit einer Libor-Hypothek stellt der erste Zinsschritt eine grosse Gefahr dar. Zeichnet dieser ab, dürften die Zinsen bei Festhypotheken stark anziehen und ein Switch in die sichere Festhypothek wird entsprechend teuer.
In der Schweiz sind die Zinsen für Festhypotheken im ersten Quartal 2014 überraschend gesunken. Wie sehen Sie die Sätze für den weiteren Jahresverlauf?
Die Renditen der Staatsanleihen – welche letztendlich auch die Basis für Festhypotheken bilden – sind seit Jahresbeginn um 20 Basispunkte im 5-jährigen Bereich und gar um 35 Basispunkte im 10-jährigen Bereich zurückgekommen. Wir sehen in den nächsten Monaten eher einen Seitwärtstrend in den Zinsen und erst gegen Ende Jahr einen deutlichen Anstieg. Der dürfte dann auch auf die Festhypotheken durchschlagen.
Konkret: Wie teuer wird im Schnitt eine 5- und 10-jährige Festhypothek Ende Jahr sein?
Wir gehen davon aus, dass bis Ende Jahr die Renditen auf 10-jährigen Schweizer Staatsanleihen auf zirka 1,25 bis 1,5 Prozent steigen. Der Spread zwischen Festhypotheken und Staatsanleihen hat sich seit 2013 bei ungefähr 1,6 Prozent eingependelt, was auf einen Zinssatz auf Festhypotheken von etwa 2,85 bis 3,1 Prozent hindeutet. Bei den 5-jährigen Staatsanleihen rechnen wir mit Zinsen zwischen 0,3 bis 0,5 Prozent Ende Jahr. Zusammen mit dem Spread von 1,5 Prozent ergibt das eine Zinsspanne von 1,8 bis 2 Prozent.
Insofern müssten Hypothekarschuldner eine Finanzierung mittels Festhypotheken baldmöglichst durchziehen.
Wie bereits erwähnt, steht unserer Meinung nach der erste Zinsschritt der SNB zwar erst im 2016 an. Aber wenn im nächsten Jahr das Fed die Zinsen erhöht, wird das auch in der Schweiz zu entsprechenden Spekulationen führen und Festhypotheken verteuern, weshalb es gefährlich ist, bis zum letzten Moment zuzuwarten. Wir gehen in den nächsten fünf bis zehn Jahren von einem graduellen Anstieg der Zinsen aus. Deshalb würde ich empfehlen, das günstige Umfeld heute zu nutzen, um sich langfristig zu finanzieren.
Eine Zinsprognose zu erstellen ist äusserst schwierig. Wie lautet Ihr Rezept?
Zinsprognosen sind schwierig, einige ökonomische Eckpunkte lassen sich trotz allem festlegen: Die Erholung in den Industriestaaten setzt sich mittelfristig fort, sie wird aufgrund der prekären Lage in den Peripherieländern nur sehr graduell vor sich gehen, Inflationsrisiken sind in der kurzen Frist kaum auszumachen. Das deutet in den nächsten Jahren auf einen Aufwärtstrend in den Zinsen, allerdings auf einen nur graduellen Anstieg.
Wie oder anhand welcher Faktoren können Anleger Zinsänderungsrisiken antizipieren?
Die Zinsen werden im Moment sehr stark vom Verhalten der Zentralbanken bestimmt. Die orientieren ihre Geldpolitik an Konjunkturschwankungen. Wir konzentrieren uns deshalb auf vorlaufenden Konjunkturindikatoren, zum Beispiel auf Einkaufsmanagerindizes, um Zinsänderungsrisiken abzuschätzen.
Alessandro Bee ist seit 2006 bei der Bank J. Safra Sarasin als Zinsanalyst und Ökonom tätig. Er studierte Volkswirtschaft an der Universität Basel.