Der Euroraum sei wahrscheinlich die erste grosse Volkswirtschaft, die radikale Massnahmen sehen werde, etwa "Geld direkt in die Taschen von Konsumenten oder Unternehmen zu stecken." Das sagte Philipp Hildebrand, Vizechef des Vermögensverwaltungsgiganten Blackrock, jüngst in einem Bloomberg-TV-Interview.
Was der ehemalige SNB-Präsident beschreibt, ist sogenanntes Helikoptergeld. Das heisst: Die Notenbank soll nicht mehr über Banken oder Anleihenkäufe Geld in die Wirtschaft pumpen, weil das Geld auf diesem Weg nicht wie gewünscht in der Wirtschaft ankommt. Das Geld soll stattdessen ohne Umwege direkt den Bürgerinnen und Bürgern verteilt werden. Diese geben dann das "geschenkte" Geld aus, treiben damit die Inflation nach oben und bringen die Wirtschaft wieder in Schwung - so die Theorie.
Auch Thomas Mayer, Leiter des Flossbach von Storch Research Institute und ehemaliger Chefökonom der Deutschen Bank, hält das jetzige System für ausgereizt, nachdem es bereits Phasen von Zinssenkungen und quantitativer Lockerungen gegeben habe. In einem Interview mit cash am Februar 2019 sagte er, dass man damit rechnen müsse, dass Helikoptergeld komme.
Dass die bisherigen Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht die erhoffte Wirkung zeigen, sieht man sich dieser Tage an den schwachen Konjunkturdaten: Der europäischen Wirtschaft geht es zunehmend schlechter, Deutschland steht sogar kurz vor einer Rezession. Auch die Inflation kommt nicht wie gewünscht in die Gänge. Im Juli betrug sie für die Eurozone nur noch 1 Prozent. Das liegt deutlich unter der angestrebten Rate von nahe 2 Prozent.
«Extremste geldpolitische Massnahme»
Doch nicht alle Ökonomen glauben, dass die EZB nun auf Helikoptergeld zurückgreifen muss: Bernd Hartmann, Chefstratege der VP Bank, bezeichnet Helikoptergeld gegenüber cash als "die extremste geldpolitische Massnahme". Bereits bei den Wertpapierkäufen habe sich besonders seitens Deutschlands Widerstand gezeigt. Helikoptergeld wäre politisch noch deutlich umstrittener.
Hartmann hält fiskalische Massnahmen wie Konjunkturpakete für wahrscheinlicher. In Deutschland etwa habe sich die Staatsverschuldung seit der Schuldenkrise von über 80 Prozent auf 64 Prozent reduziert. "Der fiskalische Spielraum ist vielerorts vorhanden", so Hartmann. Im Rahmen eines Anleihenkaufprogrammes könne die EZB dann wieder die neu ausgegebenen Papiere aufkaufen und die Schulden so monetarisieren. Dies habe eine zum Helikoptergeld vergleichbare Wirkung, habe aber den Vorteil, dass es deutlich weniger Aufsehen errege und somit mit weniger Widerständen verbunden sei.
"Zuerst werden weitere Anleihenkäufe im Fokus stehen", sagt auch Adriel Jost, Chefökonom bei Wellershoff & Partners auf cash-Anfrage. Denkbar seien in absehbarer Zeit aber auch Aktienkäufe wie etwa in Japan. Helikoptergeld hingegen sei kurzfristig noch kein Thema. Jost fügt aber an: "Bleibt die EZB im jetzigen Modus, ist mittelfristig eine Einführung durchaus denkbar."
Unsicherheit und Bargeldhortung als Folge?
Würde die Einführung von Helikoptergeld durch die EZB - was global ein Novum wäre - tatsächlich den gewünschten Effekt erzielen? Kurzfristig könne es funktionieren und die konjunkturelle Stimmung aufhellen, meint Jost. Aber: "Schliesslich ist Helikoptergeld eine unverantwortliche Geldpolitik, welche die langfristigen Auswirkungen nicht beachtet." Eine Rückkehr zu einer restriktiveren Geldpolitik sei dann sehr schwierig.
Skeptiker warnen zudem davor, dass die dadurch erhoffte Wirtschaftsankurbelung gar nicht funktioniere, da die Bürger das Geld sparen würden anstatt es auszugeben. Denn: Wenn auf eine solche drastische Massnahme zurückgegriffen werden muss, ist dies ein Zeichen, dass die Notenbank verzweifelt ist. Das kreiert Unsicherheit und könnte eben zur Geldhortung führen.
Auch die Legalität einer solchen Aktion wird angezweifelt: Es stelle einen Eingriff in die Wirtschafts- und Sozialpolitik dar, was Aufgabe der Regierungen und nicht einer Zentralbank sei. Die Notenbanken hätte dazu kein Mandat, sagte der deutsche Bundesbank-Präsident Jens Weidmann bereits vor drei Jahren.