Den Raketenangriff kündigte das Moskauer Verteidigungsministerium am Freitag an, nachdem schon in der Nacht zuvor militärische Gebäude bei Kiew mit Marschflugkörpern beschossen worden seien. In der belagerten Stadt Mariupol gingen laut der Ukraine die Kämpfe um das Stahlwerk Iljitsch weiter, während Russland die vollständige Einnahme des strategisch wichtigen Werksgeländes gemeldete. In den Reihen der Berliner Regierungskoalition wuchs der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz, in der Debatte um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine eine Entscheidung zu fällen. Scholz will unterdessen laut Insidern zwei Milliarden Euro für Militärhilfen bereitstellen.

In Kiew waren am Freitag so starke Explosionen zu hören, wie kaum seit dem Rückzug russischer Truppen aus der Region. Die nächtliche Attacke auf Kiew und bevorstehende weitere Angriffe dort begründete das russische Verteidigungsministerium mit Vergeltung für angebliche ukrainische Angriffe auf russisches Staatsgebiet. Die ersten Angriffe in der Nacht zu Freitag galten aber einer Fabrik, aus der auch Anti-Schiffs-Raketen kommen. Deshalb gingen Beobachter von einer Vergeltungsaktion für den Verlust des Schwarzmeer-Flaggschiffs "Moskwa" aus.

Russland weist allerdings die Darstellung der Regierung in Kiew zurück, die "Moskwa" sei von ukrainischen Raketen getroffen worden. Vielmehr habe ein Feuer eine Munitionsexplosion ausgelöst. Die "Moskwa" sei bei schwerem Seegang gesunken, als sie zu einem Hafen geschleppt worden sei. Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich nicht immer unabhängig überprüfen. Russland spricht bei seinem Vorgehen in der Ukraine nicht von Krieg, sondern von einem Sondereinsatz, um die Ukraine zu entmilitarisieren und entnazifizieren.

Untergang der «Moskwa» gilt als schwerer Rückschlag

Der Untergang der "Moskwa" gilt als einer der schwersten Rückschläge, die Russland bisher hinnehmen musste. Seit rund 40 Jahren ist kein Kriegsschiff vergleichbarer Grösse mehr während laufender Kampfhandlungen untergegangen. Zuletzt sank 1982 im Falkland-Krieg die von britischen Torpedos getroffene argentinische "General Belgrano".

Nach dem Rückzug aus der Region Kiew konzentriert sich Russland nach eigenen Angaben darauf, die Region Donbass im Osten der Ukraine unter ihre Kontrolle zu bringen. Zunächst soll Mariupol im Südosten eingenommen werden. Nach sieben Wochen Bombardement und Belagerung liegt die Hafenstadt weitgehend in Trümmern. Tausende Zivilisten wurden getötet, Zehntausende sind eingeschlossen.

Die ukrainischen Truppen versuchten, den Belagerungsring zu sprengen , sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kiew. Die Lage sei schwierig. "Die russische Armee ruft kontinuierlich zusätzliche Einheiten zur Erstürmung der Stadt herbei." Russland habe zudem zum ersten Mal Langstreckenbomber zum Angriff auf Mariupol eingesetzt. Ansonsten konzentriere sich Russland darauf, neben der seit Wochen belagerten Hafenstadt auch die Orte Rubischne und Popasna einzunehmen. Hier seien russische Truppen aber zurückgedrängt worden.

Streit um Waffenlieferungen in die Ukraine

Russland verlangte einem Zeitungsbericht zufolge ein Ende von Waffenlieferungen an die Ukraine. "Wir fordern die USA und ihre Verbündeten auf, die unverantwortliche Militarisierung der Ukraine zu unterlassen, die unvorhersehbare Konsequenzen für die regionale und internationale Sicherheit impliziert", hiess es laut der "Washington Post" in einer diplomatischen Note an die Vereinigten Staaten.

Deutschland will dagegen seine Militärhilfen für die Ukraine aufstocken. Wie die Nachrichtenagentur Reuters aus Regierungskreisen erfuhr, ist ein Grossteil der von Scholz bewilligten zusätzlichen zwei Milliarden Euro für die Ukraine vorgesehen. Das Geld solle für neues Militär-Gerät ausgegeben werden, hiess es. Vizekanzler Robert Habeck drang auf eine Ausweitung der Waffenlieferungen. "Es müssen mehr Waffen kommen", sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe laut Vorabbericht. Die Ukraine dürfe nicht verlieren, Putin nicht gewinnen.

In der Debatte um schwere Waffen drangen Politiker der FDP und der Grünen auf Tempo: "Wir sollten jetzt zügig die nötigen Entscheidungen treffen, statt uns in einer Diskussion über den Unterschied zwischen Offensiv- und Defensivwaffen zu verlieren", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, der "Welt am Sonntag". In derselben Zeitung ging der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, Scholz direkt an: "Deutschland muss mehr Führung übernehmen, aber das geschieht nicht. Der Grund ist, dass der Kanzler nicht führt." Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erhob in der "FAZ" schwere Vorwürfe gegen Scholz. Durch sein Verhalten in der Ukraine-Politik gefährde der SPD-Politiker den Zusammenhalt der gesamten Staatengemeinschaft gegenüber Russland.

(Reuters)