Der breite US-Aktienindex S&P 500 hat sein schlechtestes Halbjahr seit 1970 hinter sich. Und für Anlegerinnen und Anleger könnte es noch schmerzhafter werden: Star-Ökonom Nouriel Roubini glaubt, dass die USA auf eine schwere Rezession zusteuern, in der Aktien um weitere 50 Prozent fallen könnten. In der Finanzkrise 2008 war Roubini bekannt geworden, als er die Kreditklemme im Weltfinanzsystem relativ präzise voraussagte.

In einer Kolumne auf Project Syndicate legt Roubini dar, die USA hätten "reichlich Grund zur Sorge" über eine bevorstehende Rezession, da die Wirtschaft derzeit Merkmale sowohl der Stagflationskrise der 1970er Jahre als auch der Rezession von 2008 aufweise.

Roubini prognostiziert eine stagflationäre Schuldenkrise

"Die US-Notenbank Fed wird schliesslich klein beigeben und eine hohe Inflation akzeptieren", prognostiziert Roubini. Die Notenbanker würden ihre sehr restriktive Haltung revidieren, weil sie sich vor den Schäden einer Rezession und einer Schuldenfalle fürchteten, die durch eine übermässige Anhäufung privater und öffentlicher Verbindlichkeiten nach Jahren niedriger Zinssätze entstanden sei.

Roubini bezeichnet die Ansicht, dass die Wirtschaft sanft landen werde, als "gefährlich naiv". So weist er in der Kolumne darauf hin, dass die New Yorker Fed die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios auf nur 10 Prozent beziffert.

Der Anteil der privaten und öffentlichen Verschuldung am weltweiten BIP sei heute viel höher als in der Vergangenheit und ist von 200 Prozent im Jahr 1999 auf heute 350 Prozent gestiegen. "Unter diesen Bedingungen werden eine rasche Normalisierung der Geldpolitik und steigende Zinssätze hoch verschuldete Zombie-Haushalte, Unternehmen, Finanzinstitute und Regierungen in den Bankrott und die Zahlungsunfähigkeit treiben", sagt Roubini.

"Die nächste Krise wird nicht wie ihre Vorgänger sein", so Roubini. "Heute sind wir mit Angebotsschocks in einem Kontext viel höherer Schulden konfrontiert, was bedeutet, dass wir auf eine Kombination aus Stagflation im Stil der 1970er Jahre und Schuldenkrisen im Stil von 2008 zusteuern - also eine stagflationäre Schuldenkrise." 

Spielraum der Zentralbanken und Regierungen begrenzt

Dieses Zusammenkommen von Stagflation und hohen Schulden stellt die Zentralbanken vor eine grosse Herausforderung: "Wenn eine Zentralbank mit stagflationären Schocks konfrontiert ist, muss sie ihren geldpolitischen Kurs straffen, selbst wenn die Wirtschaft auf eine Rezession zusteuert."

Die heutige Situation unterscheide sich somit grundlegend von der globalen Finanzkrise oder den ersten Monaten der Corona-Pandemie, als die Zentralbanken die Geldpolitik als Reaktion auf die sinkende Gesamtnachfrage und den Deflationsdruck aggressiv lockern konnten. Auch der Spielraum für eine fiskalische Expansion werde dieses Mal begrenzter sein. "Die fiskalische Munition ist grösstenteils aufgebraucht, und die Staatsverschuldung ist nicht mehr tragbar."

Da die derzeitige höhere Inflation ein globales Phänomen ist, straffen die meisten Zentralbanken ihre Geldpolitik gleichzeitig. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer synchronisierten globalen Rezession. Die geldpolitische Straffung zeige bereits ihre Wirkung: Überall entweiche Luft aus den Blasen - auch bei öffentlichem und privatem Beteiligungskapital, Immobilien, Wohnimmobilien, Meme-Aktien, Kryptowährungen, SPAC, Anleihen und Kreditinstrumenten. "Das reale Vermögen sinkt, und die Schulden steigen", resümiert Roubini.

Stagflation und Finanzkrise bedrohen Aktienmarkt

Daher dürften Aktien laut Roubini höchstwahrscheinlich noch tiefer fallen. Schliesslich fielen die Aktien in den USA und weltweit in typischen Rezessionen um etwa 35 Prozent. "Da die nächste Rezession jedoch sowohl stagflationär als auch von einer Finanzkrise begleitet sein wird, könnte der Einbruch der Aktienmärkte eher bei 50 Prozent liegen", sagt Roubini.

Unabhängig davon, ob es sich um eine leichte oder schwere Rezession handelt, lasse die Geschichte vermuten, dass der Aktienmarkt noch viel mehr Spielraum hat, bevor er die Talsohle erreicht habe. "Unter den gegenwärtigen Umständen sollte jede Erholung - wie die der letzten zwei Wochen - eher als ein 'Dead-Cat-Bounce' betrachtet werden, denn als die übliche Gelegenheit zum 'Buy-the-Dip'", warnt Roubini. "Die Dinge werden noch viel schlimmer werden, bevor sie besser werden." 

Roubini hat sich den Ruf erworben, im wirtschaftlichen Bereich äusserst pessimistisch zu sein, was ihm den Titel "Dr. Doom" oder "Permabär" einbrachte. Mehrheitsmeinungen lehnt er ab.