"Die Zeit des Service public ist zurückgekehrt", schreibt SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard in der Einleitung zur 38-seitigen Analyse. Die SGB-Spitze hat sie am Freitag an einer per Video übertragenen Medienkonferenz vorgestellt. In der Analyse zieht der Gewerkschaftsdachverband eine erste Bilanz für verschiedene Branchen und Lehren aus der Corona-Krise für die Zukunft, und präsentierte dazu einen umfangreichen Katalog mit vielen Forderungen.

Bewährt hat sich laut SGB insbesondere das dichte Netz von gut unterhaltener Infrastruktur im Gesundheitswesen, in der Energieversorgung, bei den Kabel- und Mobilfunkkapazitäten, im öffentlichen Verkehr und bei der Post.

An Koordination gefehlt habe es hingegen im wettbewerbsgetriebenen und föderal organisierten Gesundheitswesen. In der Kinderbetreuung hätten sich die Schwächen der zerstückelten Organisation und der fragmentierten Finanzierung der Angebote gezeigt. Zudem habe die Krise die prekären Arbeitsbedingungen im Kulturbereich in aller Schärfe aufgezeigt. Im Medienbereich habe sich die strukturell bereits vorhandene Krise massiv zugespitzt.

Grenzen und Lücken aufgezeigt

In vielen Bereichen des Service public ist laut Maillard die Sicherstellung eines grundlegenden gesellschaftlichen Bedürfnisses nicht finanziert. So habe die Krise namentlich ein altbekanntes strukturelles Problem bei der Finanzierung des Gesundheitssystems aufgedeckt. Insgesamt habe die Krise dem Trend hin zu Finanzierungssystemen, die nur das direkte Verhältnis zwischen zahlenden Kunden und Dienstleister sähen, die Grenzen aufgezeigt.

Maillard fragte rhetorisch weiter, wie wohl das Vertriebssystem der Post den vervielfachten Paketmengen standgehalten hätte, wenn dessen Finanzierung nicht dank des Restmonopols noch etwas geschützt wäre. Oder wie es im öffentliche Verkehr ausgesehen hätte, wenn dieser seine Tätigkeiten eingestellt hätte, weil er ohne Kunden und Erträge dagestanden hätte.

Öffentliche Betriebe stellten nicht plötzlich und unkoordiniert ihre Dienste ein, um sich kurzfristig einer veränderten Nachfrage anzupassen. "Letzteres hätte in den letzten Monaten eine Negativ-Spirale in Gang gesetzt", schreibt der SGB in einer Mitteilung zur Medienkonferenz.

Stabilisierende Rolle und Zusammenhalt

Die stabilisierende Rolle des Service public habe sich während der Pandemie klar gezeigt, bilanziert die SGB-Spitze. In ausserordentlichen und äusserst dringlichen Situationen seien Institutionen, bei denen die Koordination und nicht der Wettbewerb im Vordergrund stehe, fähig, im Sinne des öffentlichen Interesses zu agieren.

"Service public schafft Sicherheit und Vertrauen und hält das Land zusammen", illustrierte SEV-Präsident Giorgio Tuti. Der Service public sei kein Auslauf- sondern ein Erfolgsmodell. Deshalb müsse hier investiert werden. Auch Maillard warb für Investitionen in den Service public, denn dieser sei "eine Ressource, nicht eine Belastung."

"Beim Service public besteht kein Sparpotenzial", unterstützte ihn VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber. Die Krise habe gezeigt, dass die Steuern für Wichtiges eingesetzt würden und wie lebensrettend ein guter Service public sei. Andererseits habe die Krise auch Lücken und die Unterbewertung vieler Berufe sichtbar gemacht.

Sparrunden und Verluste abwenden

Subventionen sind für Maillard die einzige Lösung, um Spitäler vor drastischen Sparrunden zu schützen, und Betreibern im öffentlichen Verkehr die Verluste wegen der Coronakrise auszugleichen. Auch Kindertagesstätten, die Medien und die stark gebeutelte Kulturbranche bräuchten öffentliche Zuschüsse.

Letztere sei von einer massiven Schrumpfung bedroht, führte Beat Santschi, Zentralpräsident des Schweizerischen Musikverbandes, aus. Die kleinen Lockerungen ab Samstag seien eher ein Risiko als eine Chance. Die Verzweiflung über die bürokratischen Hürden sei gross.

Der SGB fordert deshalb, auf jegliche Form von Sparprogrammen zu verzichten. Die krisenbedingten Zusatzausgaben oder Einnahmeausfälle dürften weder zu Leistungs- noch zu Lohnkürzungen führen. Angestellte, insbesondere im Pflegesektor, müssten besser gestellt werden.

(AWP)