cash: Herr Feld, das Gros der Marktbeobachter sagt, in der Eurokrise sei das Schlimmste überstanden. Sind Sie auch dieser Ansicht?
Prof. Lars Feld: Ich teile diese Einschätzung nicht. Ein Grossteil der Strukturreformen muss noch durchgeführt werden. Man kann vielleicht sagen, dass wir im Hinblick auf die Konsolidierungspolitik in der Eurozone und auf die Strukturreformen auf den Arbeitsmärkten etwa die Hälfte des Weges hinter uns haben. Aber wie jeder, der Marathon läuft weiss, die zweite Hälfte des Weges ist die beschwerlichere.
Die Regierungskrise in Italien bleibt ungelöst. Wie gross schätzen Sie die Gefahr für den Euro ein?
Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Ankündigung des EZB-Präsidenten, alles zum Erhalt des Euro zu tun, die Märkte beruhigt hat. Die Wahlen in Italien haben diese Ruhe bislang nicht stören können. Aber eine dauerhafte Hängepartie in Italien könnte schon dafür sorgen, dass die Anleger unruhig werden, und die EZB der Ankündigung Taten folgen lassen muss.
Ein Euro-Austritt Italiens wäre doch sowohl für Italien als auch für die Eurozone sinnvoll. Die Privatverschuldung der Italiener ist gering. Sie könnten sich einen Austritt leisten.
Im Vergleich mit anderen Ländern der Eurozone sind die Kosten eines Exits für Italien in Prozenten des Bruttoinlandproduktes gerechnet wahrscheinlich weniger hoch. Zudem ist die Privatverschuldung der Italiener – wie Sie richtig sagen - gering.
Aber?
Es wäre nicht so, dass Italien durch einen Euro-Austritt keine Belastungen hätte. Das Land würde nach einem Euro-Exit in eine Rezession geraten. Eine solche mit einer Abwertung kontern zu wollen, wird sehr schwierig werden. Denn eine Abwertung per se erhöht die Wettbewerbsfähigkeit nicht. Abwertung ist Geldillusion. Auf einen Euro-Austritt müssten drastische Strukturreformen folgen, die Italien jetzt schon nicht politisch zustande bringt.
Das Schicksal des Euro hängt an der Wirtschaftskraft Deutschlands. Aber wie lange werden die Deutschen noch als Zahler herhalten?
Bislang haftet Deutschland zwar für erhebliche Summen, aber tatsächliche Haushaltsbelastungen sind nur durch die Abschreibungen der Bad Banks von Hypo Real Estate und WestLB im Zuge der "freiwilligen" Umschuldung der griechischen Schulden entstanden. Ansonsten hat Deutschland einen Zinsvorteil aus der Kreditvergabe an die Problemländer und aufgrund seiner Funktion als sicherer Hafen erzielt. In den letzten paar Jahren summieren sich die geringeren Zinsausgaben auf 20 Milliarden Euro. Gleichwohl ist die Haftungsbereitschaft Deutschlands begrenzt.
Euroskeptische Bewegungen wie zum Beispiel die Alternative für Deutschland - kurz AfD - sind im Aufwind? Kritische Stimmen sagen, Deutschland sei ein Pulverfass.
Bis die Deutschen zum Pulverfass werden, dauert es sehr lange. Die Alternative für Deutschland liegt momentan in den Umfragen bei zwei bis drei Prozent. Meistens werden solche Protestbewegungen zwar in ihrer Unterstützung vonseiten der Bevölkerung unterschätzt. Man muss dennoch abwarten, ob die Partei genügend Geld sammeln und für die nächsten Wahlen genügend gute Kandidaten aufstellen kann. Grosse Geldgeber sind bis anhin nicht da.
Angenommen, die AfD wird genügend stark für die Bildung einer Koalition. Wie gross ist die Gefahr eines Euro-Austritts Deutschlands?
Auch wenn es der AfD gelingen sollte, genügend Wählerstimmen von rechts und links abzuschöpfen, und für eine Koalition in Frage käme, glaube ich, dass eine solche Koalition weiterhin auf dem Weg der Eurorettungspolitik bleiben wird.
Nun kommt wieder verstärkt die Vorschlag aufs Tapet, einen Nord- und Südeuro einzuführen. Was halten sie von diesem Vorschlag?
Ich halte davon überhaupt nichts. Die notwendigen Forderungsverzichte der Nordeuro-Staaten gegenüber den Südeuro-Staaten wären viel zu hoch. Eine ganze Reihe von Verträgen würde in die Schwebe geraten – die Wachstumseinbussen wären enorm. Hinzu käme noch eine brutale Währungsaufwertung für den Nordeuro.
Würden denn die südeuropäischen Staaten von einem Südeuro profitieren?
Kaum. Die Hoffnung auf Vorteile für den Süden basiert auf der Abwertung der Währung. Eine Abwertung hilft aber nur dann am Anfang einer Krise, wenn im nächsten Schritt tatsächlich Strukturreformen stattfinden. Andernfalls dreht sich die Spirale von geringer Wettbewerbsfähigkeit aufgrund überhöhter Löhne – Abwertung – Inflation – Lohnerhöhungen – geringere Wettbewerbsfähigkeit immer weiter.
Welches Bild zeichnen Sie für die Wirtschaftsentwicklung in der Schweiz?
Wenn sich die Situation im Euroraum stabilisiert, dann wird die Schweiz in der Wechselkurspolitik Schritt für Schritt eine Erleichterung verspüren. Sie wird allerdings vom Wachstum der wichtigsten Handelspartner, sprich Deutschland, abhängen. Gelingt es Deutschland nach dem relativ schwachen Jahr 2013 wieder mehr Wachstum zu erzielen, Auguren sagen für das kommende Jahr ein bis zwei Prozent voraus, dann wird auch die Schweiz stärker wachsen. Bei Turbulenzen auf den Finanzmärkten sieht es natürlich anders aus.
Sind somit die Wachstumsprognosen von 1 bis 2 Prozent im 2014 für Deutschland unrealistisch?
In der Bewältigung der Krise haben die Länder der Eurozone die Hälfte des Weges hinter sich gebracht. Sie haben Strukturreformen eingeleitet und die Konsolidierung ihrer Haushalte begonnen. Das gilt für Irland, Spanien, Portugal und Griechenland. In Italien und Frankreich wünscht man sich noch deutlich mehr Reformbereitschaft. Jeder Triathlet weiss, dass der zweite Teil der Wegstrecke der schwierigere ist. Europa braucht einen langen Atem und politische Fortüne, um die Strukturreformen und die Konsolidierungspolitik durchzuhalten. Für das deutsche Wachstum ist es wichtig, dass die Unsicherheit der Investoren, die durch die Eurokrise verursacht ist, abnimmt. Sinkt die Unsicherheit, werden die Unternehmen wieder investieren und die Konjunktur wird wieder anspringen.
Der Sachverständigenrat schlägt zur Lösung der Euro-Schuldenkrise einen Schuldentilgungsfonds vor. Dieser scheint aus dem Spiel zu sein.
Solange eine geldpolitische Lösung favorisiert wird, wird niemand viel politisches Kapital in den Schuldentilgungsfonds stecken. Es wird entscheidend sein, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im so genannten Hauptsacheverfahren über das OMT-Programm urteilen wird und ob es sich dafür überhaupt zuständig erklärt. Falls es sich zuständig fühlt und das OMT-Programm verfassungswidrig wäre, dann ist der Schuldentilgungsfonds wieder im Spiel.
Im Video-Interview äussert sich Professor Feld über die noch anstehenden Herausforderungen in Italien und Frankreich.
Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Universität Freiburg i.Br. und Direktor des Walter-Eucken-Instituts. Im März 2011 wurde er in den deutschen Sachverständigungsrat - auch Weisenrat genannt - berufen.
Das Interview wurde vergange Woche am Rande des Europa Forums in Luzern durchgeführt.