Der Kreditversicherer Euler Hermes rechnet deswegen mit mehr Unternehmenspleiten, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Studie hervorgeht. Der europäische Wirtschaftsverband Eurochambres macht bereits eine hohe Unsicherheit aus, die zulasten von Investitionen gehen wird. Die deutsche Wirtschaft setzt sich daher, auch wenn die Coronavirus-Pandemie allmählich ihren Schrecken verliert, für weitere Staatshilfen ein - dieses Mal vor allem für energieintensive Bereiche, die am stärksten unter den jüngsten Preissteigerungen leiden.
Euler Hermes senkte seine Prognose für das Welthandelsvolumen 2022 um rund ein Drittel auf nur noch vier Prozent. Die Weltwirtschaft dürfte um 3,3 Prozent zulegen, das wären 0,8 Punkte weniger als noch vor Beginn des Konflikts erwartet. Für Deutschland kappte der Kreditversicherer seine Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts auf 1,8 von zuvor 3,2 Prozent. Ohne Gegensteuern der Politik könnten die Insolvenzen in Europa in diesem Jahr mit 23 Prozent deutlich stärker steigen als ursprünglich erwartet. Auch in Deutschland sei mit plus vier Prozent eine Trendwende zu erwarten. "Bei einer weiteren Eskalation des Konflikts droht 2023 eine Rezession für die gesamte Weltwirtschaft, für die Euro-Zone und auch für Deutschland", sagte Ludovic Subran, Chefvolkswirt der Allianz und der Konzerntochter Euler Hermes.
"Investoren zögern jetzt schon wegen der Unsicherheit", sagte Eurochambres-Präsident Luc Frieden. "Ich rechne damit, dass die Wirtschaft in der Euro-Zone dieses Jahr vielleicht noch um rund drei Prozent wachsen wird." Zum Vergleich: Nach dem starken Einbruch 2020 im Zuge der Corona-Krise hatte sich die Wirtschaft vergangenes Jahr deutlich erholt. Unter dem Strich stand ein Wachstum von 5,3 Prozent. "Die Länge des Krieges wird jetzt ausschlaggebend sein", so Frieden. "Je länger er dauert, desto grösser die Auswirkungen." Seit Ende Februar greift Russland die Ukraine an. Gegen Russland wurden deswegen umfangreiche Sanktionen verhängt.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian, sagte, in den nächsten Wochen und Monaten würden die Kriegsfolgen deutlicher werden. "Fest steht aber bereits: Wir brauchen Hilfen für unmittelbar, aber auch für mittelbar betroffene Unternehmen - bei den Energiekosten, aber möglicherweise auch darüber hinaus." Wichtig werde erneut das Kurzarbeitergeld sein. "Ausserdem haben sich Bürgschaftsprogramme bewährt. In energieintensiven Bereichen, die jetzt besonders stark betroffen sind, werden auch Hilfen mit Eigenkapital nötig sein."
Ohne russisches Gas keine Stahlproduktion in Deutschland
Diskutiert wird derzeit eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland, die dann auch einen Öl- und Gasboykott einschliessen könnten. Befürworter argumentieren, so würde der Regierung in Moskau die Finanzierung des Krieges erschwert. Deutschland ist bislang aber dagegen, fürchtet einen grösseren Schaden für die eigene Wirtschaft. "Ohne Erdgas aus Russland wäre eine Stahlproduktion zurzeit nicht möglich", erklärte der deutsche Branchenverband. Stahl sei der Basiswerkstoff und Ausgangspunkt nahezu aller industriellen Wertschöpfungsketten. "Ein unmittelbarer Importstopp von russischem Gas würde daher nicht nur zu Produktionsstillständen in der Stahlindustrie, sondern auch zu einem Einbruch der Industrieproduktion in Deutschland und der EU führen."
Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft betonte, Ziel der Sanktionspolitik sei eine Verhaltensänderung der Führung in Moskau, nicht aber die völlige Zerstörung der russischen Wirtschaft und die Verarmung der Bevölkerung. Einige Bereiche seien daher bewusst nicht sanktioniert worden. Dazu zählten etwa die Bereitstellung von Medikamenten, medizinischen Gütern und Lebensmitteln zur Grundversorgung sowie die Sicherung von notwendigen Rohstoff- und Energielieferungen in die EU. Auch der Agrarsektor gehöre dazu.
(Reuters)