Am Sonntag lief die Nachfrist für die am 27. Mai fälligen Zinszahlungen in Höhe von rund 100 Millionen Dollar ab. Der Ablauf dieser Frist gilt gemeinhin als Zahlungsausfall.
Bisher hat es Moskau immer wieder geschafft, die Beschränkungen zu umgehen und seine internationalen Schulden zu bedienen, aber das wird sich nun wohl ändern, nachdem die USA einen weiteren Pfad zu den Gläubigern geschlossen haben. Dies betrifft etwa 100 Millionen Dollar an Zahlungen, die am 27. Mai fällig wurden. Hinzu kommen neue Sanktionen der Europäischen Union gegen die zentrale russische Verwahrstelle, die daraufhin Transaktionen in Euro aussetzte.
Aufgrund der Sanktionen einerseits und der russischen Kapitalverkehrskontrollen andererseits wird die Abfolge vermutlich vom traditionellen Schema abweichen, in dem am Beginn Verhandlungen mit den Gläubigern stehen, auf die eine Umschuldung und Währungsabwertung folgen. Es ist nicht einmal klar, ob und wie ein Zahlungsausfall erklärt wird.
Nachstehend sind einige der möglichen nächsten Schritte aufgeführt. Die Zusammenstellung beruht auf Interviews mit Anwälten, die die Entwicklungen verfolgen.
Steht der Zahlungsausfall bevor?
Russland hat eine 30-tägige Nachfrist, um eine Lösung für die Anleihen 2026 und 2036 zu finden, deren Kupons Ende Mai fällig wurden. Doch selbst wenn diese Frist ablaufen sollte, ist unklar, was das bedeutet. Aus Moskaus Sicht ist die Sache erledigt, weil seine Konten bei der Depotstelle National Settlement Depository belastet wurden. Für die Anleihegläubiger dürfte das freilich nicht zählen, solange sie das Geld nicht erhalten.
Russland könnte laut Prospekt für die 2036er Anleihe auch in Rubel zahlen, aber es muss die Anleihegläubiger 15 Werktage vor der Zahlung darüber informieren. Für die 2026er Anleihen ist dies nicht möglich; Euro, britische Pfund oder Schweizer Franken sind eine Option, aber auch dafür muss Russland die Anleger mindestens fünf Tage vorher benachrichtigen.
Moskau arbeitet auch an einem Mechanismus zur Umgehung der US-Sanktionen, der dem für Gaszahlungen ähnelt, wie Finanzminister Anton Siluanow kürzlich ankündigte. Wann dieser fertig sein und ob er funktionieren wird, ist indessen ungewiss.
Wer entscheidet?
Wenn die Nachfrist verstrichen ist, käme eine Ausfallerklärung normalerweise von den Ratingagenturen. Doch die EU hat ihnen untersagt, Russland weiter zu bewerten. Laut Prospekt können Anleihegläubiger, die zusammen 25% der ausstehenden Bonds halten, selbst den Ausfall feststellen. Das kann laut Prospekt auch noch bis zu drei Jahre nach dem Zahlungstermin geschehen.
"Ich gehe davon aus, dass die Anleihegläubiger im Laufe der Zeit zunächst einen Zahlungsausfall melden und dann rechtliche Schritte einleiten werden, um ihre Ansprüche festzustellen und damit in der Folge besser gerüstet sind", sagte Dennis Hranitzky, von der Anwaltskanzlei Quinn Emanuel. "Aber das wird sich alles schrittweise und mit Bedacht entwickeln."
Welche Argumente hat Russland?
Nach englischem Recht könnte Moskau geltend machen, dass es seinen Teil der Abmachung erfüllt hat, meinen manche Anwälte. "Russland könnte versuchen, in einem solchen Prozess zu argumentieren, dass die Sanktionen die Erfüllung des Vertrags ‘unmöglich’ gemacht haben, was im anglo-amerikanischen Vertragsrecht eine anerkannte juristische Verteidigung ist", sagt Elena Daly, Gründer von EM Conseil, einer in Paris ansässigen Beratungsfirma, die sich auf das Management von Staatsschulden spezialisiert hat.
Russland könnte höhere Gewalt anführen, auch wenn Sanktionen in der Vergangenheit nicht unter diese Kategorie fielen. Dagegen spräche, dass Russland selbst die Umstände geschaffen hat, die zu den Sanktionen geführt haben.
Wie lässt sich ein Urteil durchsetzen?
Investoren werden prüfen, an welchem Gerichtsstand es strategisch sinnvoll ist, ein Verfahren einzuleiten, wo sich die Vermögenswerte Russlands befinden und inwieweit ein Urteil anerkannt und vollstreckt werden kann, so Deborah Nord, Partnerin bei Allen & Overy. England dürfte die wahrscheinlichste Wahl sein.
Die Konten der Zentralbank geniessen einen höheren Schutz, ebenso wie beispielsweise die Immobilien russischer Botschaften, die durch die Wiener Konvention geschützt sind. Investoren müssten nach Werten wie Flugzeugen, Aktienbesitz, Immobilien und Bankkonten des russischen Finanzministeriums suchen und sie in Ländern finden, in denen ein Urteil eines englischen oder US-amerikanischen Gerichts vollstreckt werden kann.
Eines der Probleme ist jedoch, dass die Bedingungen der Anleihen keinen Verzicht auf die Immunität des Staates enthalten. Das wird die Durchsetzung eines Urteils erschweren.
Welche Alternativen gibt es zu Gerichtsverfahren?
Anleihegläubiger könnten auf der Grundlage von bilateralen oder multilateralen Investitionsverträgen zwischen Russland und den Heimatländern der Investoren Schiedsverfahren anstrengen. Diese internationalen Verträge schützen Investitionen bei Verstössen gegen die Rechte der Investoren. Der Schiedsspruch eines solchen Schlichtungsverfahrens könnte vollstreckbar sein, ein Gerichtsurteil nicht unbedingt.
Eine weitere Option ist eine außergerichtliche, einvernehmliche Umschuldung. Allerdings erscheint dies angesichts der Sanktionen und der Reputationsprobleme, denen sich die Anleihegläubiger gegenübersehen würden, als noch schwieriger.
Was tun Anleihegläubiger derzeit?
Die Gläubiger haben sich zwar noch nicht formell organisiert, aber sie erörtern ihre Optionen mit Anwaltskanzleien, wie mit der Angelegenheit vertraute Personen berichten.
"Die spekulativeren Fragen, die uns gestellt werden, lauten etwa: ‘Möchte ich sowas als notleidende Anleihe kaufen?’ Wenn man risikofreudig genug ist, könnte man das”, sagte Paul Marquardt, Partner bei Davis Polk & Wardwell LLP. “Wer weiss, wann das Problem gelöst sein wird. Der Versuch, das Risiko einzuschätzen und zu bewerten, ist der schwierige Teil."
(Bloomberg)