Die Nachricht lässt aufhorchen: Die Migros Bank, die in der Schweiz über 800'000 Kundenbeziehungen unterhält, hält Negativzinsen für Sparer für denkbar. Man überlege sich diesen Schritt, falls die Negativzinsphase noch lange anhält, oder die Nationalbank den Negativzins ausweitet, sagte CEO Harald Nedwed der Zeitung "Le Temps".
Die Frankenstärke beziehungsweise die Euro-Schwäche setzen die Schweizerische Nationalbank seit Jahren unter Druck. Schon im Laufe des Jahres 2014 verdichteten sich die Gerüchte, die SNB könnte deswegen einen "Strafzins" für Banken einführen, die bei ihr Geld einlagern. Im Dezember 2014 kündigten die Währungshüter den Schritt für Ende Januar 2015 offiziell an, mit dem schlagartigen Ende der Untergrenze im Euro-Franken-Kurs am 15. Januar 2015 traten sie dann sofort in Kraft.
Der Negativzins der SNB liegt seitdem bei 0,75 Prozent. Weil sich die Lage der Eurozone nicht beruhigt, mit Italien ein Sorgenkind vermehrt Schlagzeilen macht und die Europäische Zentralbank weiter an ihrer lockeren Geldpolitik festhält, wird der Druck auf die SNB nicht kleiner. Bereits wird über eine Ausweitung des Negativzinses in der Schweiz auf -1 Prozent spekuliert - für den Fall, dass die EZB ihrerseits den Hauptrefinanzierungssatz für Banken, der aktuell bei Null liegt, auf -0,25 senken wird.
Beteuerungen gegenüber Kunden
Was den Weg in die Negativzinsen der Schweizer Notenbank immer begleitet hat, waren Beteuerungen der Banken: Dem normalen Kunden, also Sparer, passiere nichts. Zwar sind Zinsen auf Spar- und Vorsorgekonten überall nahe Null oder ganz auf Null gesetzt worden, ein Strafzins für normale Bürger galt bisher aber als Tabu. Die einzige Bank, die Negativzinsen weitergibt, ist bis jetzt die Alternative Bank der Schweiz.
Doch es ist schleichender Zerfall eines Tabus: Schon Privatbanken reagierten 2015 mit der Ankündigung von Negativzinsen für Konten mit über 100'000 Franken. Auch UBS-Chef Sergio Ermotti liebäugelte im Mai mit Negativzinsen für sehr vermögende Kunden. Mit der Migros Bank reagiert nun eine der grössten Retailbanken der Schweiz.
"Mit zunehmender Dauer der Negativzinsen weicht sich das Tabu, diese an Privatkunden weiterzugeben, immer mehr auf", sagt Anita Rüegsegger, unabhängige Vermögensberaterin und Inhaberin von Rüegsegger Vermögensarchitektur, auf cash-Anfrage. Bereits heute würden viele Kunden indirekt negative Zinsen bezahlen, da die Jahresgebühren teils die Zinserträge überstiegen.
Finma handelt rigoros
Die Finanzexpertin beobachtet auch seitens der Finanzmarktaufsicht Finma Indizien, dass man das Bankensystem auf Negativzinsen für Kleinanleger vorzubereiten versucht: Gemäss neuer Regulierung, welche 2017 in Kraft tritt, hätten sich Banken strikt an die Rückzugsbedingungen zu halten. "Und wenn die Finma eine Regelung so rigoros durchsetzt, muss es tiefere Gründe haben", so Rüeggsegger. Eine Prognose, ob dies tatsächlich ein Vorbote breiter Negativzinsen sei, wagt sie allerdings nicht.
Heute kann man aus Kulanz der Banken oftmals mehr Geld von Sparkonten abziehen, als gemäss den Vertragsbedingungen eigentlich möglich wäre. Auch die Kündigungsfristen bei Kontoauflösung sind nicht immer einzuhalten. Das wird sich 2017 ändern.
Höhere Gebühren statt Negativzinsen
Werden nun die Sparer direkt zur Kasse gebeten? Nicht unbedingt. Die Erhebung von Negativzinsen auf Sparkonten ist laut Felix Brill, CEO der Beratungsfirma Wellershoff & Partners, nach wie vor eine grosse Schwelle für Banken. "Diskussionen wie jene der Migros Bank zeigen, dass die Lage der Banken angespannt ist. Wir sehen bisher aber keine Anzeichen, dass Negativzinsen im grossen Stil direkt an die Sparer weitergegeben werden", sagt er zu cash.
In einer länger andauernden Phase mit tiefen und negativen Zinsen wäre das zwar vorstellbar - die gebräuchlichere und etwas weniger auffällige Praxis wäre aber wohl der Umweg über höhere Gebühren. "An diese ist man als Sparer gewöhnt. Banken könnten entsprechend hoffen, damit bei den Kunden eher auf Verständnis zu stossen als mit Negativzinsen auf Sparguthaben", so Brill.
Sparer können sich immer noch in der Gewissheit wiegen, dass die Weitergabe von Negativzinsen den Banken schwerfallen würde. Andererseits ist nichts gewiss, wenn sich die Umstände nicht ändern. Man kann den Gedanken auch weiterspinnen: Zwar spricht die Migros Bank von Negativzinsen ab Konten mit 100'000 Franken, aber im Lauf der Zeit könnte auch diese Untergrenze fallen. Es wäre auf jedenfall eine logische Fortsetzung der Entwicklung der vergangenen Jahre. Zumindest dann, wenn die Zinsen noch lange in ihrer ungewöhnlichen Lage bleiben und den Notenbanken das Pulver ausgeht, sollten sich neue weltwirtschaftliche Verwerfungen ergeben.