cash: Die verhärteten Fronten im US-Haushaltstreit wirken ein wenig befremdend für uns Europäer. Können Sie das nachvollziehen?
Robert Shiller: Die Polarisierung in den USA überrascht mich wirklich etwas. Vor allem Leute, die ausserhalb der Städte wohnen, Leute, die ein normales, aber kein mondänes Leben führen, scheinen wütend zu sein. Sie haben das Gefühl, von der Regierung und von den Medien angelogen zu werden. Dabei verbreiten die Medien keine Lügen. Sie können sich allenfalls entscheiden, über gewisse Dinge nicht zu berichten. Dieselben Leute, welche die Medien der Lüge bezichtigen, verbreiten dann aber Geschichten, wonach die USA nie auf dem Mond gelandet seien, dass die 9/11-Angriffe von Präsident Bush eingefädelt worden seien, um den Irakkrieg beginnen zu können, und dass die Buschfeuer in Kalifornien gar keine Buschfeuer seien…
Sondern?
Keine Ahnung. Irgendeine Verschwörung halt. Manchmal denke ich in der gegenwärtigen Situation an die Situation in Deutschland zwischen 1928 und 1934, als auch eine Polarisierung stattfand und das Wort 'Lügenpresse' verwendet wurde. Heute haben wir ja eine ähnliche Wortwahl. Die Entwicklungen beunruhigen mich.
Der US-Shutdown war und ist also ein Symbol für die Zerrissenheit des Landes?
Ja. Es ist bedauerlich, dass der Geist des Kompromisses verloren ging. Die Demokraten hätten das Kompromissangebot von Trump annehmen und das Geld für den Bau der Grenzmauer freigeben sollen. Lasst ihn doch diese Mauer bauen. Lasst es doch zum Misserfolg und damit zur Peinlichkeit werden.
Einige Leute sagen, Trump könnte noch mehr Schulden machen und die hohe Staatsverschuldung dann durch einen teilweisen Zahlungsausfall reduzieren.
Er könnte die Schulden auch dadurch reduzieren, indem er Geld druckt und die Inflation ansteigen lässt. Deswegen sieht er es auch nicht gerne, dass Fed-Chef Jerome Powell die Zinsen anhebt.
Robert Shiller: «Ich würde jetzt sicher nicht alle US-#Aktien verkaufen». cash-Chefredaktor @danhuegli sprach mit dem Starökonomen am #WEF2019 über die #Boerse, Donald #Trump, Rezessionsgefahren und #Blockchain. @RobertJShiller https://t.co/sd9g1Y2qUH pic.twitter.com/8tzd8tfXjW
— cash (@cashch) 27. Januar 2019
Wird Powell dem Druck von Trump standhalten können?
Ich kenne Powell nicht persönlich. Aber ich weiss, dass er grosse Unterstützung innerhalb der Fed geniesst.
Es gibt Signale, dass sich das Wachstum der USA abschwächt. Und bereits reden die Leute von einer Rezession.
Ein Grund liegt wohl darin, dass die US-Wirtschaft drauf und dran ist, einen neuen Rekord für die längste Expansion aufzustellen. Im Juni würden es 120 Monate sein. Die Geschichte von selbsterfüllenden Prophezeiungen ist jedenfalls Teil der Geschichte von Rezessionen.
Der stark gesunkene Ölpreis ist ebenfalls ein Argument der Leute, die eine Rezession prophezeien…
… und auch das Argument mit der inversen Zinskurve (Anm. der Red.: Wenn die Rendite zweijähriger US-Bundesanleihen über dem Renditeniveau zehnjähriger Anleihen liegt). Ich misstraue dem. Das Argument wäre vielleicht etwas glaubwürdiger, wenn die Fed die Zinsen anheben würde zwecks Inflationsbekämpfung. Aber die Fed hebt die Zinsen jetzt ja sehr langsam an und in einem Umfeld, in dem wir kaum Inflation haben.
Welche Zinsschritte wird die Fed im Jahr 2019 unternehmen?
Die letzte Kommunikation war, dass sie noch zweimal die Leitzinsen erhöhen in diesem Jahr. Aber das wird kaum passieren. Auf der anderen Seite sind die Zinsen immer noch relativ tief. Das würde es der Fed schwierig machen, im Fall einer Rezession die Leitzinsen zu senken.
Die Aktienmärkte haben sich seit Jahresbeginn wieder etwas erholt nach den Tumulten im Dezember. Ist der Aufschwung nachhaltig?
Ich weiss es nicht. Aber der Markt wird letztendlich wieder fallen. US-Aktien würde ich jetzt aber sicher nicht alle verkaufen. Sie haben noch immer eine erwartete langfristige Rendite von real 3 Prozent pro Jahr. Das ist besser als US-Staatsanleihen.
Der Hype um Bitcoin und Blockchain hat in diesem Jahr am WEF in Davos nachgelassen. Teilen Sie die Einschätzung?
Das scheint so, ja. Im letzten Jahr wurde ich im Kongresszentrum von jemandem gelöchert mit Theorien, wonach Blockchain die Wirtschaft umwälzen werde. Was er sagte, war ein wenig wild. Solche Begegnungen hatte ich in diesem Jahr nicht.
Wie würden Sie die Blockchain-Fans charakterisieren?
Für mich hat Blockchain etwas mit Anarchismus zu tun. Es gefällt den Leuten, dass die Technologie von Behörden nicht gestoppt werden könnte, sollten diese das wollen. Blockchain gefällt Leuten, die sich über Autoritäten ärgern.
Aber ist Blockchain die Technologie mit massivem Potenzial, wie das sogar von vielen Zentralbankern immer behauptet wird?
Tatsache ist: Ich habe noch von keinen spektakulär erfolgreichen Blockchain-Anwendungen erfahren, die den Hype um die Technologie gerechtfertigen würden.
Robert Shiller, Professor an der Yale University in New Haven, ist wohl der bekannteste Wirtschaftsnobelpreisträger und nimmt sich am WEF in Davos trotz Zeitstress immer Zeit für Gespräche, Selfies oder Autogramme. Wohl auch deshalb, weil er laut seiner Frau etwas zu lieb ist mit den Leuten und nicht Nein sagen kann, wie er in einem früheren cash-Interview sagte.
Shiller ist ein Vordenker der Verhaltensökonomie. Er gewann 2013 zusammen mit Lars Peter Hansen und Eugene Fama den Wirtschaftsnobelpreis. Den Preis bekamen sie insbesondere wegen ihren empirischen Analysen von Aktienkursen, die wesentlichen Einfluss auf die Börsen und das Verhalten der Investoren genommen haben. Gemeinsam mit Karl Case hat Shiller auch den viel beachteten Case/Shiller-Index für US-Hauspreise entwickelt. In seinem Bestseller "Irrational Exhuberance" warnte er im Jahr 2000 vor der Aktienblase.