Der Rhein - seit Jahrhunderten eine Lebensader für die deutsche, niederländische und Schweizer Wirtschaft - wird wohl in Kaub bei Koblenz praktisch unpassierbar werden, was den Transport grosser Mengen an Diesel und Kohle beeinträchtigt. Die Donau führt ebenfalls viel zu wenig Wasser, was die Verschiffung von Getreide und anderen Gütern erschwert.

Flüsse sind nicht nur wichtig für den Warentransport. In Frankreich leidet die Stromversorgung, weil Rhone und Garonne zu warm sind, um Atomreaktoren zu kühlen. In Italien ist der Po zu niedrig, um die Reisfelder zu bewässern und die Muscheln für "Pasta alle vongole" zu umspülen.

Diese Auswirkungen der Klimakrise sind alleine schon schwierig genug zu bewältigen. Vor vier Jahren etwa sorgte ein ebenfalls hitzebedingtes Niedrigwasser des Rheins für volkswirtschaftliche Kosten von rund 5 Milliarden Euro. Doch nun kommen sie parallel zum Krieg in der Ukraine, der ebenfalls die Preise in die Höhe treibt, die Energie knapp werden lässt und Europa an den Rand der Rezession gebracht hat.

Schifffahrtskosten schiessen in die Höhe

Laut Eurostat befördern die Wasserstrassen jährlich mehr als eine Tonne Fracht pro Einwohner der Europäischen Union - allein als Verkehrsträger tragen sie so rund 80 Milliarden Euro zur Wirtschaftsleistung bei. Doch das ist noch nicht alles.

"Es geht nicht nur um die kommerzielle Schifffahrt. Es geht um Abkühlung bei Hitze, um Bewässerung und viele andere Dinge", sagt Cecile Azevard, Direktorin beim französischen Wasserbetreiber VNF. "Flüsse sind Teil unseres Erbes."

Die Binnenschifffahrt hat Probleme und die Strompreise steigen durch die schlechtere Verfügbarkeit von Brennstoffen. "Es geht um Milliardenbeträge", so Albert Jan Swart, ein Ökonom der ABN Amro Bank, der von einem weit höheren Schaden ausgeht als beim Rheinniedrigwasser 2018.

Gunther Jaegers, Geschäftsführer der traditionsreichen Duisburger Reederei Jaegers GmbH, sagt, er sei Anfang des Monats fast vom Stuhl gefallen, als die Schifffahrtskosten an einem einzigen Tag teils um 30 Prozent in die Höhe schossen. "So etwas habe ich noch nie gesehen", so Jaegers. "Das ist verrückt."

Entspannung ist keine in Sicht

Jaegers und andere können zwar mehr pro Tonne Fracht verlangen, aber ihr Schiffe nicht mehr so schwer beladen, da sie sonst auf Grund laufen könnten. Entspannung ist keine in Sicht. Wenn man die Wettervorhersage ansieht, "ist es wie in der Wüste", sagt er.

Am Mittelrhein sind die Weinterrassen, auf denen hauptsächlich Riesling wächst, braun geworden. In Köln liegt das Sürther Bootshaus auf Grund. Etwa 20 Kilometer flussaufwärts von Kaub, nahe des berühmten Lorelei-Felsen, zeigt sich eine Sandbank.

Der Rhein ist am Kauber Pegel am Freitag unter die kritische Marke von 40 Zentimetern und damit auf einen neuen Tiefstand gesunken. Bei diesem Pegelstand ist die Schifffahrt praktisch nicht mehr möglich. Bis Dienstagfrüh soll der Pegel auf 34 Zentimeter sinken. Die Zahl gibt nicht die tatsächliche Tiefe des Flusses an, sondern ist ein Maß für seine Schiffbarkeit.

Auf dem Rhein soll zukünftig mehr Kohle zu deutschen Kraftwerken transportiert werden, um den Wegfall russischer Erdgaslieferungen auszugleichen. Die niedrigen Pegelstände könnten dieses Vorhaben nun untergraben.

Frankreich - normalerweise Stromexporteur - kann derzeit auch nicht helfen, da etwa die Hälfte der Atomreaktoren des Landes wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet ist. Auch Norwegen bereitet sich darauf vor, Stromexporte einzuschränken.

Klimawandel verändert Wasserversorgung

Der Klimawandel äussert sich vor allem durch die veränderten Muster der Wasserversorgung: entweder er regnet zu wenig, oder zu viel. Die Klimaerwärmung wird die Lage für Europas Flüsse noch verschlimmern, da mit dem Rückgang der Alpengletscher deren Schmelzwasser fehlt, das die Flüsse gutteils speist. Die Eispanzer der Alpen dürften sich bis 2050 halbieren. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten fast alle Gletscher verschwunden sein.

Auch Störungen des Jetstreams, der über den Atlantik nach Osten weht, machen längere Dürreperioden wahrscheinlicher, so der Deutsche Wetterdienst. Hochdruckgebiete bleiben dadurch wochenlang über Westeuropa stehen - mit wolkenlosem Himmel.

Die Bedingungen, die zum Austrocknen der Flüsse geführt haben, sind eher Folge von längerfristigen Trends als nur ein paar schlechter Monate, so Silje Eriksen Holmen, Hydrologin bei Volue. Im Moment sind die Böden so trocken, dass der meiste Regen absorbiert würde - erst nach deren Durchfeuchtung wird wieder Wasser in die Flüsse abfliessen.

Flüsse sind für Gütertransport unersetzlich

Für den Gütertransport sind Flüsse nahezu unersetzlich. Um die gleiche Ladung wie ein durchschnittlicher Lastkahn zu transportieren, werden 110 Lkw benötigt, und in Deutschland fehlen bis zu 80'000 Lkw-Fahrer - auch das ein Problem, das die Ukraine-Krise noch verschärft, weil zahlreiche ukrainische Trucker an der Front kämpfen.

Zusammen mit den steigenden Gaspreisen stellt diese Gemengelage eine Bedrohung dar für die Industrieproduktion im Land. Werke wie der Stammsitz der BASF in Ludwigshafen könnten einen Wettbewerbsvorteil verlieren, wenn die Flüsse so unberechenbar bleiben.

Zumindest müssen grössere Vorräte angelegt werden. Im schlimmsten Fall könnte es bedeuten, dass die Produktion näher in Richtung Seehäfen verlagert wird, wo es genug Wasser für die Schifffahrt gibt und die nötige Infrastruktur für Energie, wie etwa Flüssiggas-Terminals.

Flüsse dürften für den Transport zwar in Zukunft nicht wertlos, aber unzuverlässiger werden. Die in den letzten Jahrzehnten entwickelte Just-in-Time-Produktion mit abgestimmten Lieferketten und minimaler Lagerhaltung könnte dadurch womöglich an ihre Ende kommen.

Auswirkungen auf Unternehmen

  • Die Thyssenkrupp hat einen Krisenstab eingerichtet, der täglich tagt. Deutschlands grösster Stahlhersteller setzt Schiffe mit geringerem Tiefgang ein, um die Versorgung seines Werks in Duisburg aufrechtzuerhalten.
  • BASF hat Spezialschiffe bestellt und nutzt bereits ein eigens gechartertes 110 Meter langes Binnenschiff, um Flüssiggas nach Ludwigshafen zu transportieren. Im Jahr 2018 kostete Niedrigwasser das Unternehmen 250 Millionen Euro.
  • Uniper warnte, dass möglicherweise die Leistung von zwei wichtigen Kohlekraftwerken in Deutschland gedrosselt werden muss, da nicht genug Kohle per Schiff verfügbar ist.

Frankreich erlebt schlimmste Dürre aller Zeiten

In Frankreich herrscht die schlimmsten Dürre aller Zeiten und fast im gesamten Land gelten Wasserbeschränkungen. Mehr als 100 Gemeinden sind derzeit auf Trinkwasserlieferungen per Lkw angewiesen. Die französische Atomaufsichtsbehörde gab diese Woche fünf Kernkraftwerken eine Ausnahmegenehmigung für die Einleitung von heissem Wasser in Flüsse. 

In der Po-Ebene, in der rund 30 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion von Italien stattfindet, haben die Hitze und die Trockenheit die Mais- und Sonnenblumenproduktion beeinträchtigt und die Reisbauern gezwungen, die Mengen zu reduzieren. Der Pegel des Flusses ist auf dem niedrigsten Stand seit 70 Jahren.

Im Flussdelta südlich von Venedig führt die Unterbrechung der natürlichen Strömung dazu, dass Algen verfaulen und den Muscheln den Sauerstoff entziehen, den sie zum Überleben brauchen. 

Auf der Donau sind in Bulgarien, Rumänien und Serbien Notbaggerungen im Gange. Schiffe stauen sich, während sie auf die Freigabe der Kanäle warten. Am kritischsten ist die Lage im Gebiet von Zimnicea an der rumänisch-bulgarischen Grenze und weiter flussabwärts in Cernavoda, wo der Schiffsverkehr in die Ukraine betroffen ist.

"Es ist die ernsteste Situation, die wir in den letzten 20 Jahren hatten", sagte Gabriel Techera, Direktor für Investor Relations bei Transport Trade Services, Rumäniens grösstem Flussfrachtunternehmen.

Auch Tourismus betroffen

Neben dem Frachtverkehr leidet auch der Tourismus. Ende Juli befand sich das 135 Meter lange Kreuzfahrtschiff Adora mit gut 130 Passagieren auf dem Weg vom Donaudelta nach Passau. Da der Wasserstand sank, mussten die Touristen stattdessen einen Flug von Bukarest nehmen.

Die bittere Ironie dabei ist, dass Flüsse ein wichtiger Bestandteil der Bemühungen der EU zur Bekämpfung des Klimawandels sind. Die Europäische Kommission strebt bis 2030 eine Steigerung des Verkehrs auf den Binnenwasserstrassen und im Kurzstreckenseeverkehr um 25 Prozent an. 

In Deutschland werden als Gegenmassnahmen Ausbaggerungen, Frühwarnsysteme und Stauseen diskutiert oder bereits umgesetzt.

In manchen Fällen ist es ein Kampf um Zentimeter. Zwischen St. Goar und Budenheim soll der Rheins bis Anfang der 2030er Jahre um 20 Zentimeter tiefer werden. Doch bis dahin könnte es für viele Unternehmen zu spät sein.

Ines Flores, die Bootstouren durch die Schluchten des Gorges du Verdon in Frankreich anbietet, musste an einem ihrer beiden Strände den Betrieb bereits einstellen.

"So etwas habe ich noch nie erlebt", sagte sie. "Es gibt nichts, was ich tun kann. Das geschieht wegen des Klimawandels. Das passiert wegen uns allen"."

(Bloomberg/cash)