In Italien ist "lo Spread" wieder zum Schlagwort geworden. Gemeint ist der Risikoaufschlag für Staatsanleihen, der auch unter anderen Namen wie Kreditaufschlag, Bonitätsaufschlag oder Renditespanne bekannt ist.

In der Eurozone ist mit dem Spread allgemein der Unterschied zwischen den Renditen einer zehnjährigen Staatsanleihe eines Landes und den gleich lang laufenden Anleihen des deutschen Staates gemeint.  Je grösser der Aufschlag (oder Spread), desto schlechter die Lage für das Land mit den höheren Renditen. Italienische Regierungsobligationen mit zehn Jahren Laufzeit rentieren derzeit mit über 2,8 Prozentpunkten (bzw. 280 Basispunkten) über den deutschen "Bunds", nachdem der Aufschlag im April noch viel weniger, nämlich bei 1,15 Punkten gelegen war (siehe auch Tabelle).

Der Grund ist die dramatische Zuspitzung der italienischen Regierungskrise: Das Platzen einer Regierungsbildung der Anti-Elite-Parteien Cinque Stelle und Lega aus linken wie rechten euroskeptischen Elementen am vergangenen Sonntag befeuert die Unsicherheit. In der Zeit bis zu den Neuwahlen irgendwann zwischen dem Herbst und dem Beginn des nächsten Jahres kann in Italien kaum eine stabile Wirtschaftspolitik durchgeführt werden.

Griechenlands enorme Risikoaufschläge

Hohe Spreads sind typisch für Krisenländer. Das Euro-Sorgenkind Griechenland hat seine Erfahrungen mit den Risikoaufschlägen gemacht. Die Spreads zwischen deutschen Anleihen und jenen des hochverschuldeten, de facto zahlungsunfähigen und wirtschaftlich schwachen Landes erreichten 2012 auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise zeitweise über 30 Prozentpunkte.

Schon im April 2010, als Griechenland offiziell um Finanzhilfe bat, hatten die Spreads nahe 10 Prozent gelegen. Weil davon ausgegangen wird, dass eine Regierung solche Zinsen nicht zahlen kann, kommt es praktisch zum Finanzkollaps.

Nur der Euro-Rettungsschirm, Finanzhilfen und die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank konnte das Vertrauen in Griechenland soweit wiederherstellen, dass das Land 2014 wieder Anleihen begeben konnte. Die griechischen Spreads sind heute mit 4,5 Prozentpunkten über der deutschen Staatsanleihe immer noch vergleichsweise hoch. Die Regierung in Athen nimmt nach wie vor Finanzhilfen in Anspruch.

Gradmesser der Finanzmärkte

Wie schnell die Finanzmärkte auf Unsicherheiten reagieren, zeigt sich an den Spreads anderer Länder. Auch die Renditen und damit die Risikoaufschläge der früheren Euro-Krisenländer Spanien, Irland und Portugal sind wieder relativ hoch. Dabei ist schnell von einer Ansteckung die Rede. Bei Spanien kommt dazu, dass die Regierung auf ein Misstrauensvotum in den nächsten Tagen zusteuert, was ebenfalls zu Neuwahlen führen könnte. Das Land wählte zuletzt im Juni 2016 und davor im Dezember 2015 ein Parlament.

Spread von Euro-Ländern zur 10-jährigen Bundesanleihe Deutschlands

LandRendite (%)Spread (Ppte.)
Deutschland0,32-
Frankreich0,690,37
Belgien0,750,43
Italien3,152,83
Spanien1,611,28
Finnland0,540,21
Niederlande0,530,21
Österreich0,700,37
Griechenland4,824,50
Irland1,080,76
Portugal2,201,87
Slowakei0,770,45

Stand: 29. Mai, 15.30 Uhr, Quelle: MTS Markets, Investing.com

Dies alles zeigt, dass der Spread ein Gradmesser dafür ist, wie sehr die Finanzmärkte einem Land respektive einer Volkswirtschaft trauen. Oder aber, wie sehr die Finanzmärkte mit der Wirtschaftspolitik eines Landes einverstanden sind.

Eine der Eigenschaften des Spreads ist durchaus: Er kann Regierungen das Messer an den Hals setzen und sie gar zu Fall bringen. Die Spreads stehen in einem engen Zuammenhang mit den Bonitätsratings, welche Agenturen wie Standard & Poors, Fitch oder Moody’s zur Kreditwürdigkeit von Staaten vergeben. Darüber hinaus steht der Spread in einem Zusammenhang mit Liquiditätsflüssen, Wechselkursen der Währungen oder der Bereitschaft von internationalen Kapitalgebern, in einem Land zu investieren.

Der Spread stürzte Berlusconi

Im November 2011 hebelten Spreads der italienischen Staatsanleihen von fast 6 Prozentpunkten den damaligen Premierminister Silvio Berlusconi aus dem Amt. Er wurde durch den ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti ersetzt, der wie seine Nachfolger Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo Gentiloni weitgehend erfolglos ein Spar- und Reformprogramm durchführen wollte.

Ob die Europäische Zentralbank im Herbst 2011 die Spreads regelrecht manipulierte, ist Gegenstand von Kontroversen.  Whistleblower aus dem Umfeld der Notenbank behaupten genau dies. Vor diesem Hintergrund erklärt sich in jedem Falle, weswegen der Spread in Italien ein solches Thema ist.

Der Spread wird von vielen als Machtwerkzeug der Finanzmärkte und der Notenbanken gesehen, darunter den Chefs respektive Spitzenpolitiker der Anti-Establishment-Parteien Lega und Cinque Stelle, Luigi di Maio und Matteo Salvini.

Staatspräsident Sergio Mattarella betonte am Sonntag die Euro-Zugehörigigkeit Italiens als zentral und handelte sich den Vorwurf ein, er handle im Auftrag der Finanzmärkte. Die gestiegende Zustimmung der eurokritischen Parteien in Umfragen in diesen Tagen zeigt, dass in der Bevölkerung viele diese Ansicht teilen, zumal nun noch der deutsche EU-Finanzkommissar Haushaltskommissar Günther Oettinger sagte, die Italiener sollten aus den Reaktionen der Finanzmärkte Lehren ziehen und pro-europäische Parteien wählen.

Die Designierung des ehemaligen IWF-Direktors und Sparministers Carlo Cottarelli zum Interims-Regierungschef soll die Finanzmärkte beruhigen. Aber Cottarelli hat ohne parlamentarische Unterstützung wenig Macht. Letztlich geht es aber um die Frage, ob die Finanzmärkte das Wählerverhalten beim nächsten Urnengang zugunsten oder gegen die Euroskeptiker in Italien wirken werden. Der Wahlausgang wird auch dadurch entschieden werden, ob die Italiener "lo spread" eher als Warnsignal oder doch als manipulierbares Drohelement einstufen.