cash: Sie lancierten 2015 die Konzernverantwortungsinitiative mit. Diese fordert, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz weltweit Menschenrechte und Umweltschutz respektieren müssen. Hätten Sie gedacht, dass diese fünf Jahre später in Umfragen auf fast 80 Prozent Zustimmung stösst?

Antoinette Hunziker-Ebneter: Solche Gedanken standen damals nicht im Vordergrund. Mir ging und geht es nach wie vor um die Ziele dieser Initiative, also um die Achtung der Menschenrechte sowie der Umweltstandards und somit um einen schonenden Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen und um die Bekämpfung von Korruption. Gegen diese grundlegenden Ziele kann man ja eigentlich gar nicht sein, und deshalb hat die Initiative so hohe Zustimmungswerte.

Was kann die Initiative bewirken?

Auch bei der Konzernverantwortungsinitiative liegt der Teufel im Detail. Wie kann es uns gelingen, die an und für sich unbestrittenen Ziele auf eine kluge Art und Weise zu realisieren? Diesen Anspruch kann die Initiative leider nicht erfüllen, da die vorgeschlagenen Instrumente, in ihrer jetzigen Form, zu Rechtsunsicherheit führen. Volksbegehren wie die Konzernverantwortungsinitiative fordern uns jedoch heraus und können uns helfen, innovativer zu werden und neue, fortschrittliche Wege zu suchen und zu gehen.

Sie sind CEO der auf nachhaltiges Anlegen spezialisierten Vermögensverwaltung Forma Futura, aber als Verwaltungsratspräsidentin der Berner Kantonalbank (BEKB) auch Präsidentin einer binnenorientierten Bank. Könnten Sie sich zugunsten der Initiative engagieren, wenn Sie für einen globalen Multi arbeiten würden?

Absolut. Ich bin in erster Linie Antoinette Hunziker-Ebneter und habe und vertrete als Staatsbürgerin meine Meinung, die ich in diesem Land gottseidank auch frei äussern kann. Meine Meinung zur Konzernverantwortungsinitiative habe ich mir unabhängig von meinen beruflichen Engagements gebildet: Ich unterstützte die Zielsetzungen der Initiative. Viele Konzerne erfüllen diese bereits. Es geht darum, einen griffigeren Ansatz zu erarbeiten, der missbräuchliche Praktiken und Rechtsprozesse verhindert. Die Juristen sind gefordert! Ich hätte begrüsst, wenn diese Arbeit vor der Volksabstimmung gemacht worden wäre.

Sie selbst legen für Ihre Kunden nach ESG-Kriterien (Environment, Social und Governance) an. Ohne eine bereits nachhaltig orientierte Wirtschaft könnten Sie dies gar nicht – ist die Schweiz nicht schon jetzt sehr sozial und human in ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung? Dies sagt ja auch der Bundesrat, der die Initiative kritisch sieht.

Viele Schweizer Unternehmen, grosse wie auch KMU, nehmen ihre soziale, ökologische und gesellschaftliche Verantwortung wahr. Allerdings muss man auch sehen, dass es eben nicht nur um fortschrittliche Schweizer Unternehmen, sondern auch um Akteure geht, die unser Land als Basis für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten nutzen. Umso naheliegender und auch vorteilhaft für das Image unseres Landes wäre es, wenn wir die mit der Initiative verfolgten, unbestritten guten Grundsätze auf eine kluge Art und Weise verbindlich verankern würden. Ansatzweise Beispiele für eine Umsetzung sind der "Plan de Vigilance" in Frankreich oder der "Modern Slavery Act" in England.

Für Menschenrechte und faire Bedingungen sind ja eigentlich fast alle. Trotzdem gibt es eine Gegenkampagne aus Teilen der Wirtschaft und bekannten Namen aus der Politik. Wie denken Sie über Ihre Kontrahenten?

Es ist so, wie Sie es sagen: Für die Ausbeutung von Kindern kann man wirklich nicht sein. Ich verstehe aber, dass man nicht mit allen Instrumenten, welche die Initiative vorschlägt, einverstanden ist. Das Parlament hat es versäumt, einen griffigen und mehrheitsfähigen Gegenvorschlag zur Initiative vorzulegen. Sollte die Initiative angenommen werden, wird wohl der nicht berücksichtigte Gegenvorschlag des Nationalrates als Basis für weitere Verhandlungen dienen.

Die Idee einer Haftung über die ganze Lieferkette erscheint auch einigen Befürwortern der Initiative zu hart. Darum gibt es einen indirekten Gegenvorschlag. Ist dies nicht sinnvoller?

Ja, die Konzernhaftung wurde im Gegenvorschlag stark eingeschränkt, insbesondere die Haftung für die Zulieferer wurde ausgeschlossen. Es ist für eine grosse Unternehmung mit zum Beispiel 25'000 Zulieferern zu risikoreich, für alle Lieferanten zu haften. Keinesfalls soll die "Anwaltsindustrie" gefördert werden. Die Pflicht zum "Reporting" ist meiner Meinung nach ein erster Ansatz. Wichtig ist auch die Information darüber, wer die entsprechenden Berichterstattungen revidiert. Denn die Unternehmen müssen damit rechnen, dass ihre Aussagen und Angaben sehr genau überprüft werden.

Was hätte dies zur Folge? 

Gibt es Widersprüche, drohen Reputations- und Kursverluste. So ist es sinnvoll, wenn eine Unternehmung den Schwerpunkt auf Schlüssellieferanten legt, die zum Beispiel für die Lieferung strategisch wichtiger, für Disruptionen in der Lieferkette anfällige und/oder risiko- oder konfliktbehaftete Ressourcen zuständig sind. Auch arbeiten Unternehmen bereits heute diesbezüglich zusammen, zum Beispiel mittels Sedex, der weltweit grössten kollaborativen Plattform für den Austausch von Daten über Lieferketten.

Mit einer solchen Initiative kann es passieren, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz eingeschränkt wird – kann man sich dies gerade in einer Rezession überhaupt leisten?

Nein. Wir können uns das grundsätzlich nicht leisten. Gleich lange Spiesse sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit. Wie bereits erwähnt, gibt es aber den "Plan de Vigilance" in Frankreich und den "Modern Slavery Act" in England, weshalb die Annahme der Initiative nicht automatisch ein wettbewerbstechnisches Aus bedeuten würde.

Trotz «Abzocker-Initiative» werden ja auch immer noch sehr hohe Managersaläre bezahlt. Wird es nicht einfach so laufen, dass die Konzernverantwortungsinitiative – falls sie angenommen wird – am Ende letztlich so abgeschwächt umgesetzt wird, dass sich an der Situation in der Realität wenig ändert?

Dieses Szenario ist nicht ausgeschlossen. Aber Sie können davon ausgehen, dass die Nachhaltigkeitsindustrie sehr genau darauf schauen wird, welche Unternehmen einen Beitrag im Sinne der Ziele der Initiative leisten und welche sich offen darüber foutieren oder sich einfach ein Deckmäntelchen umhängen. Wichtig ist dann aber auch, dass wir alle, sei es als Konsumentinnen und Konsumenten, sei es als Anlegerinnen und Anleger, diese Unterschiede zur Kenntnis nehmen und uns auch entsprechend verhalten.

Das Interview wurde schriftlich geführt. cash.ch wird zu einem späteren Zeitpunkt die Position der Gegner der Konzernverantwortungsinitiative redaktionell berücksichtigen.

Antoinette Hunziker-Ebneter studierte an der Hochschule St. Gallen, arbeitete unter anderem für die Citibank und in führender Position bei Julius Bär, und war CEO der Schweizer Börse. Seit 2006 ist sie Geschäftsführerin und Vizepräsidentin des Verwaltungsrates der Anlagegesellschaft Forma Futura Invest. Seit 2015 ist sie auch Verwaltungsratspräsidentin der Berner Kantonalbank (BEKB).

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