Dieses Interview ist Teil des am 8. September 2016 erscheinenden cash-Anlegermagazins «VALUE». Sie können das Magazin als E-Paper lesen, als PDF herunterladen oder gratis als gedruckte Ausgabe bestellen. |
cash: Herr Spuhler, als Sie 1989 Stadler mit 18 Angestellten übernommen haben: Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass die Firma 2016 gegen 7000 Mitarbeitende beschäftigen würde?
Peter Spuhler: Nein. Mein Traum war ja immer, Unternehmer zu werden. Ich stamme nicht aus einer Familie, die mir einfach so eine Firma hätte kaufen können. Ich musste mich also etwas nach der Decke strecken, bis die Chance mit Stadler kam. Dort war zuerst die Überlebensfrage das Wichtigste: Wie konnten wir die Zinsen und Amortisationsraten zahlen? In den letzten 28 Jahren habe ich nie Wachstumsziele festgelegt, weder beim Umsatz noch bei der Anzahl Mitarbeiter. Stadler Rail will einfach die besten Züge bauen.
Welches sind Ihre Erfolgsfaktoren?
Es ist der Versuch, das bestmögliche Team zusammenzustellen. Das ist in Unternehmen wie auch im Sport entscheidend. Dann hat uns das Umfeld in den 1990er-Jahren in die Hände gespielt. Traditionelle Schienenfahrzeughersteller wie SIG, Schindler oder SLM konzentrierten sich aufs Kerngeschäft und zogen sich aus der Schienenfahrzeugbranche zurück. So konnten wir die besten Mitarbeiter einstellen und das Vakuum ausfüllen. Das führte in den späten 1990er-Jahren zum ersten Wachstumsschub mit dem ersten von Stadler entwickelten Zug, dem Gelenktriebwagen GTW.
Haben Sie auch Fehler gemacht?
Oh ja, sehr viele. Ein Unternehmer muss Risiken eingehen, und dabei passieren automatisch auch hin und wieder Fehler. Wichtig ist, aus diesen Fehlern die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das bringt einen weiter.
Welche Fehler wurmen Sie besonders?
Schwierige Frage. Eine der grössten Niederlagen war sicher, als wir 2010 den SBB-Auftrag für die Intercity-Doppelstockzüge nicht erhielten, sondern Bombardier. Aber ob dies ein Fehler war? Wir haben nachher immerhin die Strukturen angepasst und Lehren daraus gezogen. Wir haben eine neue Einheit gebildet, die verantwortlich ist für die Produktentwicklung und mir direkt unterstellt ist. Somit sind wir in der Lage, frühzeitig auf Trends zu reagieren und diese in konkrete Fahrzeugkonzepte einfliessen zu lassen. Dann haben wir vielleicht Russland zum falschen Zeitpunkt als Zielmarkt definiert. Aber Erdöl- und Erdgaspreis, Wechselkurse oder Sanktionen kann man nicht voraussehen. Das Wichtige ist, dass man als Unternehmen bei solchen Krisen schnell eine Lagebeurteilung vornimmt und die Strategie anpasst.
Sie hätten beste Chancen gehabt auf den Bundesratssitz letzten Dezember. Wie erklären Sie sich Ihre Popularität?
Ich habe immer versucht, mich selbst zu bleiben. Und ich versuche, das vorzuleben, was ich von meinen Mitarbeitern verlange. Was mir besonders am Herzen liegt: ein Teil des Teams zu sein und dadurch nicht abzuheben.
Ihre Schwächen?
Manchmal gehen mir die Prozesse etwas zu wenig schnell, etwa bei der Entwicklung von neuen Zügen. Und ich reagiere etwas sensibel, wenn ich das Gefühl habe, ungerecht behandelt worden zu sein.
Was sind Ihre Führungsgrundsätze?
Ein Teil des Teams sein, die Teams herausfordern und sie manchmal sogar provozieren, um an die Leistungsgrenze zu gehen. So entstehen innovative neue Produkte. Aber es werden auch Fehler gemacht. Da ist es wichtig, dass der Mitarbeiter nicht um einen Kopf gekürzt wird. Sonst würde die innovative Kultur massiv eingeschränkt. Wir arbeiten mit vielen Spezialisten und dadurch sehr stark teamorientiert. Da ist es wichtig, dass sich jeder einbringen kann. Aber es gibt auch immer wieder Situationen, wo ich mit einer gewissen Härte Entscheidungen durchziehen muss.
Stadler ist stark exportabhängig und abhängig von Wechselkursen. Müssen wir nicht mit einem langfristig starken Franken rechnen?
Der Eurokurs zum Franken ist nicht das alleinige Problem. Wir könnten leben mit einem Frankenkurs von 1,10 pro Euro, wenn sich die Kaufkraftparität auf dem gleichen Niveau befände. Aber das ist nicht der Fall. Niemand weiss, wie es beim Eurokurs weitergeht. Ich vermute, dass es wegen des Brexit in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht viel ruhiger wird.
Negativzinsen, Devisenmarkteingriffe: Wie beurteilen Sie die Mittel der Nationalbank (SNB) zur Bekämpfung des starken Frankens?
Grundsätzlich sind wir uns alle einig, dass die SNB den Euro-Mindestkurs einmal aufgeben musste. Sonst hätten wir gleich den Euro einführen können. Ich übte allerdings Kritik am Zeitpunkt der Aufhebung des Mindestkurses. Das hätte man eleganter lösen können. Ich hoffe auf die Rückkehr einer vernünftigen Geldpolitik, nicht nur in der Schweiz. Im Studium habe ich einmal gelernt, dass die Geldpolitik das Wirtschaftswachstum über Geldmenge und Zinsen steuert. Wenn Sie aber die letzten Jahre betrachten, müssen Sie zum Schluss gelangen, dass die klassische Geldpolitik Schiffbruch erlitten hat.
Eine starke Landeswährung hält doch die Schweizer Unternehmen fit?
Das ist richtig. Die Schweizer Exportwirtschaft ist massiv gefordert. Wollen die Firmen überleben, dann müssen sie besser, schneller, kostengünstiger und innovativer werden. Mein Wunsch ist bloss, dass wir wieder einmal während einem oder zwei Jahren in normalen Gewässern unterwegs sein können. Es hat genug geschüttelt in den letzten Jahren.
Mitte 2015 waren Sie noch ziemlich pessimistisch und prophezeiten für 2016 eine Rezession in der Schweiz.
Ich bin positiv überrascht, wie widerstandsfähig die Wirtschaft und der Werkplatz Schweiz sind. Die Währungsschocks haben sich nicht deutlich in den Arbeitslosenzahlen niedergeschlagen. Eine grosse Verlagerungswelle ins Ausland konnte ich nicht beobachten. Wobei man eine schleichende Entwicklung von Einzelmassnahmen in der Summe nicht unterschätzen darf.
Tiefzinsen fast weltweit: Wie beurteilen Sie das Umfeld für Geldanlagen?
Im Prinzip müsste man sich jetzt verschulden und Firmen kaufen (lacht). Das Umfeld ist sehr schwierig, vor allem auch für die Pensionskassen. Eine Folge war ja die Senkung des Umwandlungssatzes . . .
. . . was sozialen Sprengstoff birgt.
Natürlich. Und es trifft dabei diejenigen am meisten, die es nicht treffen sollte.
Immerhin befeuerten die tiefen Zinsen die Börsen in den letzten Jahren.
Wie legen Sie sonst Ihr Geld an? Obligationen, Gold?
Nein.
Zocken mit Derivaten?
Nein, gar nicht. Das habe ich einmal versucht, es kam nicht gut heraus (lacht). Ich lege mein Geld dort an, wo ich das Gefühl habe, ich verstehe etwas davon. Das ist die Maschinen- und Fahrzeugindustrie und auch Immobilien.
Wie sehen Sie die Zukunft der EU nach dem Brexit?
Für mich ist die EU eine Fehlkonstruktion. Es gibt Bundesstaaten und Staatenbünde. Die EU steht irgendwo dazwischen und hat von beiden Konstrukten die negativen Eigenschaften übernommen. Man kann keine gemeinsame Währung haben und gleichzeitig unabhängige Staatsbudgets. Dazu kommt die Disziplinlosigkeit bei den Maastrichter Kriterien. Ich glaube kaum, dass die EU in zehn Jahren dieselbe ist wie heute. Es könnte eine Kern-EU mit weniger Staaten entstehen, die aber voll integriert sind. Und darum entwickelt sich ein äusserer Gürtel mit Nationen wie der Schweiz, die mit Assoziierungsverträgen operieren. Das wäre nicht das Dümmste.
Entwickeln sich in der Schweiz wie mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative nicht gefährliche Abschottungstendenzen?
Als SVP-Nationalrat und Unternehmer war ich damals gegen diese Initiative und verteidigte die bilateralen Verträge. Man darf aber nicht vergessen, dass es nicht nur Globalisierungsgewinner gibt, in jedem Land. Die politischen Verhältnisse in vielen Ländern Europas sind blockiert. Das zeigt, wie weit sich Brüssel von den Bedürfnissen des Volkes entfernt hat. In der Schweiz dagegen haben die Bürger die direkten demokratischen Mittel, um der Regierung ins Steuer zu greifen.
Stösst die SVP mit einem Wähleranteil von rund einem Drittel langsam an ihre Grenzen?
Das Schweizer System ist sehr gut austariert. Das Schweizer Volk wird einer Partei wohl nie eine Mehrheit geben. Es ist undenkbar, dass eine Partei im Nationalrat über mehr als 100 Sitze verfügen wird. Dennoch hat die SVP vor allem in der Westschweiz durchaus noch Potenzial. Und dass die SVP einen Berner zum Parteipräsidenten gewählt hat, war sicher auch nicht dumm. Somit kann im Kanton die BDP geschwächt werden. Die SVP kann sicher noch ein wenig zulegen, aber irgendwann wird sie anstossen.
Verkauf, Börsengang, Fusion: Wie sieht Stadler Rail in zehn Jahren aus?
Das kann ich Ihnen nicht voraussagen. Für mich ist das klare Ziel die Unabhängigkeit. Ob mit einem Mehrheitsaktionär Peter Spuhler oder an der Börse mit einem Familienanteil von 35 bis 40 Prozent. Ein Börsengang käme auf die Traktandenliste, wenn wir eine grössere Übernahme tätigen würden oder grössere Entwicklungsprojekte hätten. Falls wir das Wachstum weiter aus eigener Kraft finanzieren können, dann ist ein IPO nicht primär das Ziel. Ein logischer Schritt wäre sicher, dass ich mich auf das Verwaltungsratspräsidium zurückzöge. Ob dieser Schritt mit einem Börsengang einhergehen wird, sei dahingestellt.
Ein Verkauf?
Das erachte ich als unmöglich. Das käme fast einem Verrat an den Mitarbeitern gleich, die jahrelang etwas aufgebaut und gegen die Konkurrenten gekämpft haben.
Und wie stehen Sie zu einer Fusion?
Diese Frage wird zurzeit von den grossen europäischen Herstellern diskutiert, da sich in China zwei Firmen der Branche zu CRRC zusammengeschlossen haben. Mit fast 180 '000 Mitarbeitern ist der weltweit grösste Schienenfahrzeughersteller entstanden. Ich behaupte aber, dass Grösse kein strategischer Vorteil ist. Wir sind Anlagebauer und im Projektgeschäft tätig, wo die Skaleneffekte zu klein sind. Stadler ist in seiner Grösse gut aufgestellt.
Wie regeln Sie die Nachfolge?
Aus der Familie kommt sicher niemand direkt nach. Dafür sind die Kinder noch zu jung. Mein Sohn hat zwar gerade sein Betriebswirtschaftsstudium in London abgeschlossen. Aber er muss erst einmal ausserhalb von Stadler Erfahrungen sammeln und beweisen, dass er will und kann.
Schliessen Sie eine Rückkehr in die Politik aus?
Ja, ziemlich.
Einen Bundesrat Spuhler wird es also nie geben?
Ich habe immer gesagt, dass ich das nie wollte. Mittlerweile glauben es auch die meisten. Ich bin 57 und hatte drei oder vier Möglichkeiten, diesen Versuch zu starten. Ich müsste ja meine Firma verkaufen, sonst wäre ich angreifbar. Der Job als Unternehmer gefällt mir besser als das Amt eines Bundesrats. Als Nationalrat werde ich sicher auch nicht mehr kandidieren. Und als Ständerat müsste ich meine operativen Tätigkeiten abgeben. Aber ich muss sagen: Die 13 Jahre als Nationalrat haben Spass gemacht.
Am 25. September stimmen die Zürcher über ein neues Eishockeystadion ab, an dem Sie sich als ZSC-Vizepräsident mit einem zweistelligen Millionenbetrag beteiligen. Fürchten Sie nicht ein ähnliches Fiasko wie bei der Fussball-Stadion-Abstimmung 2013?
Ich beurteile die Abstimmung als schwierig, obwohl sich im Gemeinderat eine gute Mehrheit für das Projekt fand. Der ZSC zahlt im Hallenstadion eine hohe Miete und hat keine Einnahmen aus dem Gastrobereich. Und im November und Dezember haben wir im Hallenstadion sehr viele Blockaden durch Grossanlässe. Der ZSC ist der grösste Eishockeyclub in Europa und hat über 1000 Nachwuchsspieler. Wir tun einiges für die Jugendarbeit und Prävention. Das Stimmvolk entscheidet im Paket auch über einen jährlichen Subventionsbeitrag der Stadt von 2 Millionen Franken, weil wir im neuen Stadion keine Konzerte veranstalten dürften. Ich wettere ja nicht gegen die Kultur: Aber allein das Opernhaus erhält von der Stadt 80 Millionen Franken pro Jahr.
Peter Spuhler (links) im Gespräch mit cash-Chefredaktor Daniel Hügli (Mitte) und cash-Redaktor Pascal Züger am Firmensitz von Stadler Rail in Bussnang TG. (Bild: Nik Hunger)
Peter Spuhler (57) begann bei Stadler 1987. Heute ist die Firma die drittgrösste Zugbauerin Europas. Der Betriebswirtschafter ist verheiratet mit Daniela Spuhler-Hoffmann und hat vier Kinder, zwei davon aus erster Ehe. Spuhler, Vizepräsident der ZSC Lions, war von 1999 bis 2012 SVP-Nationalrat. Sein Vermögen wird auf über eine Milliarde Franken geschätzt.