"Die Anforderungen an Banken sind gestiegen, und zwar brutal", sagt Martin Liechti im Exklusiv-Interview mit cash.ch. Er erachtet es für illusorisch, dass kleine Banken weiterhin vom grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft über die Kundenbetreuung bis hin zum Asset Management die ganze Palette von Dienstleistungen anbieten können. Die Regulation und die Steuergesetzgebungen im internationalen Geschäft sorgen nach Liechtis Einschätzung dafür, dass eine Art Arbeitsteilung unausweichlich wird.
Der 55-jährige Martin Liechti trat 1980 in den damaligen Schweizerischen Bankverein (SBV) ein, aus dem später die UBS wurde. Er arbeitete schwerpunktmässig im Privatkundengeschäft und leitete 2001 bis 2008 die UBS-Vermögensverwaltung für nord- und südamerikanische Kunden. Im Zuge des US-Steuerstreits um unversteuerte Kundenvermögen wurde der damalige Top-Manager der Bank 2008 in den USA als Kronzeuge festgehalten, aber weder angeklagt noch verurteilt. Heute berät Liechti Banken, Vermögensverwalter und Family Offices.
cash: Herr Liechti, vor welchen Herausforderungen steht die Bankenbranche?
Martin Liechti: Die Welt hat eine Kurve genommen, die Transparenz heisst. Es gibt einen Gerechtigkeitsansatz in der Bevölkerung, den es zu beachten gilt. Die Bürger informieren sich über alles im Internet und machen sich eine Meinung. 2016 hat gezeigt, dass die Bevölkerung eine Stimme hat.
Dehnt sich dieses Transparenz-Denken auch auf andere Länder aus als Europa und Nordamerika, gegenüber denen die Schweiz das Bankgeheimnis bereits abgebaut hat?
Viele Länder sind so verschuldet, dass sie mehr Steuersubstrat wollen. Bei den reichsten Steuerbürgern will man dann sicher stellen, dass diese zahlen. Diese Bewegung ist nicht mehr zu bremsen. In Brasilien wird gegen Hunderte von Parlamentariern ermittelt, der Präsident des Kongresses sitzt im Gefängnis. Für den Schweizer Finanzplatz bedeutet dies aber nicht nur, viel transparenter zu arbeiten als früher, sondern man braucht auch viel mehr Lizenzen. Das heisst zusätzlich: Als Schweizer Bank muss man nicht nur das Steuergesetz eines Landes verstehen, sondern auch das Wertschriftengesetz. Das macht das ganze kompliziert.
Sind die Vermögensverwalter dafür bereit?
Auf die Vermögensverwalter in der Schweiz kommt eine Lernkurve zu. Man kann nicht mehr alles machen. Man muss sich auf bestimmte Märkte konzentrieren, wobei vielen Banken in ausländischen Märkten die Lizenzen fehlen.
Wäre dies ein Anlass zu einer Spezialisierung, wo auch kleine Vermögensverwalter und Family Offices eine Rolle spielen können?
Man muss sich dies wie ein Netzwerk vorstellen. Ein Ausblick wäre, dass sich eine Schweizer Bank auf den Schweizer Markt konzentriert und daneben Custody, also die Verwahrung von Vermögen, international und in Zusammenarbeit mit externen Vermögensverwaltern und Family Offices anbietet. Diese Dienstleister holen Kunden dank ihrer Onshore-Lizenz an Bord, und können diese auch lokal Beraten. Dies kann für kleinere Banken ein Business Modell sein, dass 'fliegt'.
Besteht die Bereitschaft zu solchen Allianzen?
Aus meiner Beratungstätigkeit kann ich folgendes sagen: Es gibt eine Kategorie von Banken, die das Rennen nicht machen wird. Der Grund ist die Nachfolgeproblematik in den Familien, denen diese Banken gehören. Da ist man am Ende einer Ära. Bei Banken, die heute schon Verluste schreiben, brennt es im Haus. Da muss eine Lösung gefunden werden. Aber das Glas ist nach wie vor halbvoll und nicht halbleer, wenn sich jede Bank tiefgründige Fragen stellt. Die Schweizer, wenn sie am Berg stehen, werden immer sehr kreativ.
Welche Trends erkennen Sie bei den Kunden?
Nachhaltigkeit wird ein grosser Trend sein. Schweizer Vermögensverwalter können dort Leader in der Nische sein. Was man aber hervorheben muss, ist die Qualität der Dienstleistung. In den Zeiten, wo das Bankgeheiminis ein Alleinstellungsmerkmal war, spielte die Anlageperformance nicht die wichtigste Rolle. Dies ist nun anders: Performance after tax ist für Kunden nun absolut im Vordergrund. In der Investment-Spezialisierung müssen wir noch besser werden. Aber wenn der Kunde etwas bekommt, bezahlt er dafür. Nicht wie im Brokerage, das heute viel zu teuer ist.
Man kann aber auch sagen: In der Finanzbranche – im Unterschied etwa zu einem Technologiekonzern - kann niemand etwas, was andere nicht auch können. Wie hebt man sich da noch ab?
Für Kunden zwischen 20 und 100 Millionen Franken Vermögen gibt es folgende Finanzplätze: New York, London, Zürich und Genf, und unter gewissen Voraussetzungen Singapur und Hongkong. In New York, dem weltgrössten Finanzplatz, fährt man aber keine Multi-Currency-Anlagen, weil alles in Dollar läuft. London ist ein flexibler Finanzplatz, dort sind Hedge Funds und alternative Anlagen gross. Zürich hat im Vergleich zu London ebenbürtige Banker, tendenziell aber noch besser ausgebildete. Die Leute verstehen etwas von Anlagen, alternativen Anlagen, sie sind multikulturell ausgebildet und sprechen verschiedene Sprachen. Was wir aber nicht haben, sind in gewissen Fällen die Lizenzen, um Kunden ausserhalb der Schweiz zu beraten - im Gegensatz zu London.
Lässt sich das Schweizer Image von Stabilität weiter verkaufen?
Nationalistisches Denken wird die Welt in den nächsten fünf Jahren prägen. Reich zu sein in einem populistischen Umfeld wird schnell zu einem Problem. Ich denke, dass sich viele überlegen, wie sie ihr Vermögen in diesem Umfeld verwalten. Das wird der Schweizer Vermögensverwaltung zu Gute kommen, da reiche Leute wieder die Stabilität der Schweiz als Wohnort und Bankenplatz aufsuchen werden.
Family Offices richten sich vor allem an Milliardäre oder die so genannten Centa-Millionäre, also Leute mit über 100 Millionen Dollar Vermögen. Aber wie verhält es sich mit anderen Kunden?
Wir haben in der Schweiz nach wie vor ein grosses Feld an Kunden, die eine halbe bis drei oder vier Millionen Franken haben. Diese werden mehr und mehr den Robo-Advisors zufallen. Dies ist eine gute Dienstleistung und bringt Kostenersparnisse. Fintech sind in der Schweiz sehr stark. Daher wird ein Teil der Kunden künftig gar nicht mehr bei den Banken im traditionellen Sinne beraten werden. Kleinen Banken könnte dies das Genick brechen, ausser sie konzentrieren sich auf die reichere Kundschaft oder arbeiten mit einer Fintech Plattform zusammen.
Die Privatbanken hatten schon vor Jahren Mühe mit der Informatik. Wird die Digitalisierungswelle sie komplett aus dem Geschäft werfen?
Ganz im Gegenteil, mit Fintech ergeben sich neue Modelle und Chancen auch für Privatbanken. Nicht desto trotz müssen kleinere Banken die IT als auch teilweise das Middle und Back Office outsourcen. Mit Temenos und Avaloq haben wir in der Schweiz sehr gute Bankensoftware-Entwickler, welche in Zusammenarbeit mit Drittanbietern Outsourcing-Lösungen bieten.
Wie sieht die Bankenlandschaft in einigen Jahren aus?
Ich stamme aus dem Berner Jura, wo die Uhrenbranche vor 30 Jahren in der Krise war. Sie musste sich reorganisieren. Ein Teil der Uhrenbetriebe wurde geschlossen, ein Teil wandte sich der Med-Tech-Branche zu, einige wurden Boutiquen. So entstanden neue Industrien. Die kleineren Banken werden sich, wie ich schon sagte, im internationalen Geschäft mehr in Netzwerken organisieren müssen. Die Grossbanken fahren onshore und operieren mit Tochtergesellschaffen in Ausland. Sie werden schrumpfen, wobei ich keine Konsolidierung sehe.
Was geschieht mit den Arbeitnehmern in der Bankenbranche?
Man muss mit einer Flut von Leuten auf dem Arbeitsmarkt rechnen. Das werden vor allem Leute über 50 sein, die nicht so einfach platzierbar sind. Die Grossbanken haben schon extrem entlassen, viele Mitarbeiter über 50 wurden 'geschickt' – ob dies vom Sozialgedanken des Landes her gut ist, kann man sich fragen. Der Know-How-Verlust durch diese Entlassungen ist in meinen Augen falsch. Banker müssen sich fragen: Was ist meine 'Unique Selling Proposition'? Hoffen, dass es irgendwie weitergeht, ist kein Weg. Aber ich glaube daran, dass die Leute kreativ sind.