"Er gab sich Mühe", oder: "Sie arbeitete stets genau": Formulierungen wie diese können in Arbeitszeugnissen auftauchen – und eine ganz andere Aussage machen als auf den ersten Blick angenommen. Während der Begriff "bemüht" Alarmglocken auslösen sollte, deutet "stets" eine hohe Zufriedenheit mit dem Mitarbeitenden an. So weit die Mutmassungen vieler Arbeitnehmer.
Über die Relevanz von Arbeitszeugnissen gehen die Meinungen auseinander. Obwohl viele Personal-Experten ihren Sinn und Zweck anzweifeln, sind sie fester Bestandteil der Arbeitswelt. Mehr noch: In der Schweiz haben Angestellte einen rechtlichen Anspruch auf eine solche eine Bewertung. Arbeitszeugnisse müssen wahrheitsgetreu formuliert werden, ohne dem Mitarbeiter bei seinem Berufsweg zu schaden.
Doch was steckt hinter dem Verfassen eines Arbeitszeugnisses? Und wie geht ein solcher Beurteilungsprozess überhapt vonstatten?
Standardisierte Abläufe
Fest steht: Vor allem in mittelgrossen und grösseren Unternehmen ist der Ablauf beim Verfassen von Arbeitszeugnissen ziemlich automatisiert. Kaum ein Vorgesetzer setzt sich noch hin und schreibt von von A bis Z eine selbst formulierte Beurteilung über die Leistung eines Arbeitsnehmers.
In einem ersten Schritt nimmt der verantwortliche Vorgesetzte ein vorgegebens Formular zur Abfassung der Arbeitszeugnisse der Firma zur Hand, wie Personalverantwortliche von verschiedenen Schweizer Firmen gegenüber cash sagen. Dort trägt er typischerweise zunächst die Hauptaufgaben des Angestellten ein, allenfalls Weiterbildungen und besondere Fähigkeiten. Ergänzt wird dieser Arbeitsschritt durch eigene Beobachtungen.
Der zweite Teil der Beurteilung ist in der Regel an einen Fragebogen geknüpft. Dort werden verschiedene Leistungskriterien aufgeführt. Zum Beispiel: Belastbarkeit, Führung, Konfliktfähigkeit, Kreativität, Selbstständigkeit, Zuverlässigkeit etc. Der Vorgesetzte kann dann entweder vorformulierte Auswahlsätze oder herkömmliche Noten ("genügend, gut, sehr gut") ankreuzen.
Den Rest der Arbeit macht dann normalerweise die Personalabteilung. Sie übernimmt die Angaben des Vorgesetzten und formuliert aus den ausgewählten Textbausteinen ein Arbeitszeugnis (ein Beispiel weiter unten). Dieses Vorgehen kann im Detail abweichen, läuft aber in vielen Unternehmen so oder ähnlich ab. Das ist ein Grund, weshalb Arbeitszeugnisse uniform und häufig floskelhaft daherkommen.
Wohlwollende Formulierungen
Dieses Prozedere hat einen einfachen Grund: Sie dienen der Arbeitserleichterung für den Vorgesetzten. Die Standardisierung und Formulierungen wie die eingangs erwähnten dienen aber auch dazu, allfälligen juristischen Streitereien aus dem Weg zu gehen. Denn Arbeitszeugnisse müssen bestimmte Bedingungen erfüllen. Sie müssen wohlwollend formuliert sein, Negativaussagen haben nur Berechtigung, wenn sie das Arbeitsverhältnis dominiert haben. Codierte Formulierungen in Arbeitszeugnissen sind im Prinzip nicht erlaubt. Dennoch tauchen immer wieder unklare Floskeln auf, weshalb Grundkenntnisse der Zeugnissprache wichtig sind (eine Liste möglicher Codes finden Sie hier).
Ein gutes Arbeitszeugnis gibt nicht nur einen Überblick über die wichtigsten Aufgaben und Tätigkeiten. Es gibt auch eine Einschätzung zur erbrachten Leistung ab. Konkret sollte ein Arbeitszeugnis die wichtigsten Angaben zu folgenden Punkten enthalten:
- Personalien und Stellung im Betrieb: Personenangaben, Titel, Anstellungsdauer, Arbeitsort, letzte Jobbezeichnung. Bsp. Thomas Muster, geboren 1.3.1977, aus Zürich, war vom 1. September 2012 bis zum 31. März 2015 beim Unternehmen XY als Kundenberater in der Abteilung tätig.
- Funktion im Betrieb: konkrete Aufgaben und Kompetenzen sowie Verantwortungsbereiche und Beförderungen. Bsp. Telefonische und schriftliche Kontaktaufnahme mit Kunden und Beratung; Kunden- und Datenpflege; Vor- und Nachbereitung von Kunden-Meetings; Betreuung von Praktikanten.
- Leistung und Verhalten: zentrales Element des Zeugnisses, Aussagen zu Leistungsbereitschaft, Engagement, Belastbarkeit. Bsp. Herr Muster war ein zuverlässiger, engagierter und professioneller Kundenberater. In persönlicher Hinsicht attestieren wir Thomas Muster ein stets integres, freundliches Verhalten. Er verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch.
Während die ersten zwei Kriterien wenig Interpretationsspielraum bieten, sorgt vor allem der letzte Punkt für Diskussionen. Wichtig dabei: Wer mit dem Arbeitszeugnis nicht einverstanden ist, sollte sich dagegen wehren – egal, ob der ehemalige Chef noch im Amt ist oder nicht.
Findet man mit dem Arbeitgeber keine einvernehmliche Lösung, bleibt der Gang vor das Arbeitsgericht als letzte Option. Die Rechtsprechung in der Schweiz zeigt, dass die Gerichte in vielen Fällen pro Arbeitnehmer entscheiden. Das wissen auch die Arbeitgeber, weshalb sie eine gerichtliche Auseinandersetzung grundsäzlich vermeiden wollen. Bei Unsicherheit über die Qualität des eigenen Arbeitszeugnisses gibt es die Möglichkeit, bei Beratungsstellen vorab ein Feedback einzuholen.
Quelle: schweizer-arbeitsrecht.ch