"Es ist immer weniger im Einkaufswagen und wir zahlen viel mehr", sagt Cleanne Brito Machado, die in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia als Dienstmädchen arbeitet. Die 41-Jährige muss harte Entscheidungen treffen, um sich mit ihrer Familie über Wasser zu halten: "Wir mussten auf kleine Reisen verzichten und darauf, am Wochenende die Familie zu besuchen. Und wir konnten kein Geld für Notfälle zurücklegen oder etwas ansparen."

Eine Mischung aus Währungsabwertung, steigenden Rohstoffpreisen und einem knappen Angebot in Pandemie-Zeiten hat die Nahrungsmittel-Preise in Lateinamerikas größter Volkswirtschaft 2020 um vierzehn Prozent nach oben getrieben. Das ist der größte Anstieg seit fast zwei Jahrzehnten. Reis hat sich um 76 Prozent verteuert, die Preise für Sojaöl verdoppelten sich.

Auch in anderen Schwellenländern von der Türkei bis Nigeria gibt es prozentual zweistellige Preissprünge. Große Weizen- und Maisexporteure wie Russland oder Argentinien haben Beschränkungen oder Steuern eingeführt, um die inländischen Vorräte zu erhalten, was den Druck anderswo verschärft. Nach Daten der Vereinten Nationen lagen die Lebensmittelpreise im Januar auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren.

Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft und Investoren versetzt das in Alarmbereitschaft. "Die Zentralbanken werden das Niveau der Lebensmittelpreise in den nächsten Monaten sehr genau beobachten, weil sie eine Entscheidung treffen müssen, ob sie darauf reagieren sollen oder nicht", sagt Manik Narain, Schwellenländer-Experte bei der Großbank UBS. Eigentlich wäre das Gegenmittel bei steigenden Preisen eine Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik, was wiederum die Anleger an den Finanzmärkten verschrecken könnte.

Vergleich mit 2008

Fakt ist, dass die Schwellenländer den Preisanstieg besonders zu spüren bekommen. Bei den Warenkörben, die für die Berechnung von Inflationsraten zugrunde liegen, machen Lebensmittel in den aufstrebenden Volkswirtschaften den Löwenanteil aus - in Ländern wie Indien oder Pakistan zum Beispiel etwa die Hälfte. Verglichen dazu sind es in den USA nur zehn Prozent.

Verschärft werden könnten die Preisschwankungen von den Folgen des Klimawandels und steigenden Energiepreisen. Dass die Menschen dadurch weniger für Reisen oder andere Waren ausgeben können, bedeutet weniger Tourismuseinnahmen für viele ohnehin durch die Corona-Krise gebeutelte Schwellenländer. Anders als ihre reichen Nachbarn fehlen ihnen die Mittel für große Konjunkturpakete.

Die Zentralbanken könnten Analysten zufolge also versucht sein, ihre lockere Geldpolitik beizubehalten, um die Wirtschaft zu schützen. Vor der Finanzkrise im Jahr 2008 ließen die steigenden Lebensmittelpreise die Kerninflation ebenfalls in die Höhe schnellen, was in jahrelange Zinserhöhungen mündete. "Es ist ein sehr schwieriges Gleichgewicht - Regierungen in Schwellenländern sind verdammt, wenn sie es tun, und verdammt, wenn sie es nicht tun", sagt David Rees, leitender Ökonom für Schwellenländer bei Schroders. "Als Entscheidungsträger - entscheiden Sie sich dafür, Ihre Bevölkerung zu unterstützen oder die Märkte glücklich zu machen?"

Sozialer Sprengstoff

Ein warnendes Beispiel, wie eine außer Kontrolle geratene Inflation einer Volkswirtschaft schaden kann, ist die Türkei. Das Land wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten von schweren Wirtschaftskrisen geschüttelt und verspielte das Vertrauen vieler Investoren. Die Lebensmittelpreise in dem von Importen abhängigen Land haben seit August vergangenen Jahres wieder stark angezogen.

Auf dem Markt in Istanbul mache sich das bereits bemerkbar, sagt Lebensmittelhändler Seref Geyik. "Die Verbraucher tendieren zu billigeren Ständen, sie suchen keine qualitativ hochwertigen Produkte." Der neue türkische Zentralbankchef Naci Agbal hat eine eigene Abteilung zur Überwachung der Lebensmittel- und Agrarpreise ins Leben gerufen, die als "Frühwarnsystem" dienen soll. In Brasilien, Russland und Südafrika haben die Notenbanker die gestiegenen Lebensmittelpreise ebenfalls genau im Blick.

Das Thema birgt auch sozialen Sprengstoff. So führte der Reispreisanstieg 2008 zu Unruhen in mehreren Ländern. Auch vor der Revolutionen des "Arabischen Frühlings" 2010 mussten die Menschen für Nahrung immer mehr bezahlen. "Wir haben in der Vergangenheit Fälle von Protesten gesehen, die offenbar zumindest durch Lebensmittelpreisspitzen ausgelöst wurden", sagt Moody's-Geschäftsführerin Marie Diron. "Insbesondere wenn die Preise für Grundnahrungsmittel steigen."

(Reuters)