Die Europäische Zentralbank müsse geldpolitisch nicht so aggressiv vorgehen, wie es die US-Notenbank Fed voraussichtlich tun werde, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag dem französischen Hörfunksender France Inter. Denn im Konjunkturzyklus seien die USA dem Euroraum voraus, erklärte die Französin und fügte an: "Wir haben also allen Grund, nicht so schnell und rabiat vorzugehen, wie man es sich bei der Fed vorstellen kann."

Sie gehe davon aus, dass sich die Inflation 2022 stabilisiere und es schrittweise zu einem Rückgang der Teuerungsrate komme. In den Folgejahren sei eine weitere Entspannung an der Preisfront zu erwarten, da die Energiepreise nicht dauerhaft klettern dürften und sich auch die Materialengpässe nach und nach auflösten.

Diese Sichtweise wird intern im Führungskreis der EZB aber hinterfragt, wie die Protokolle der Zinssitzung vom Dezember zeigen. Dabei kreiste die Diskussion darum, ob sich die Inflation länger als erwartet halten könnte. Ein solches Szenario ist aus der Sicht einiger Währungshüter nicht auszuschliessen. Sie verwiesen darauf, dass die EZB bei ihrer Projektion für die Inflationsentwicklung in den Jahren 2023 und 2024 bereits dicht am Inflationsziel von 2,0 Prozent steuere. Da diese Vorhersage mit Aufwärtsrisiken behaftet sei, könne gut und gerne ein Wert über der Zielmarke herauskommen.

Kritik an lockerer Linie

Die EZB-Ökonomen sagten für 2022 eine durchschnittliche Teuerungsrate in der Währungsunion von 3,2 Prozent voraus. 2023 soll sie dann auf 1,8 Prozent fallen und 2024 auf diesem Niveau verharren. Laut Protokollen drangen einige Sitzungsteilnehmer darauf, dass die EZB ihre Bereitschaft betone, notfalls "alle Instrumente" in ihrem geldpolitischen Werkzeugkasten anzupassen. Lagarde sagte in dem Hörfunkinterview, die EZB habe bereits auf den erhöhten Preisauftrieb reagiert und stehe für geldpolitische Massnahmen bereit, falls die Datenlage es erfordern sollte. Die lockere Geldpolitik im Euroraum ist zuletzt zunehmend in die Kritik geraten. Der deutsche Wirtschaftsweise Volker Wieland forderte die Notenbank auf, die Zinsen bereits im laufenden Jahr anzuheben. Und auch der ehemalige Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, dringt auf einen Kurswechsel. "Die Amerikaner und Briten fangen längst damit an, die Zinsen zu erhöhen. Die EZB sollte folgen", sagte Sinn jüngst der Wochenzeitung "Die Zeit".

An den Finanzmärkten wird erwartet, dass die Federal Reserve bereits im März die Zinsen anheben wird und im laufenden Jahr bis zu drei weitere Schritte nach oben folgen könnten. Und in Grossbritannien steht die Notenbank womöglich bereits kurz vor einer zweiten Anhebung. Die Währungshüter in Grossbritannien und auch in den USA sind mit einem starken Preisauftrieb konfrontiert: Im Dezember wurde in den Vereinigten Staaten eine Teuerungsrate von 7,0 Prozent erreicht - der höchste Wert seit Juni 1982.

Die Inflation in der Euro-Zone stieg zuletzt auf 5,0 Prozent. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Statistik 1997. Die Teuerungsrate liegt nun weit mehr als doppelt so hoch wie das Ziel der EZB, die mittelfristig eine Rate von 2,0 Prozent als optimalen Wert für die Wirtschaft anpeilt. Fast die Hälfte des Preisschubs ging im Dezember auf Energie zurück, ein Fünftel auf teurere Dienstleistungen. Für Energie mussten Konsumenten fast 26 Prozent mehr bezahlen als vor Jahresfrist. Ohne Energie hätten die Verbraucherpreise nur um 2,8 Prozent zugelegt. 

(Reuters)