"Woke" übersetzt sich in etwa mit "übermässig politisch korrekt". Verwendet wird das Wort von Menschen, die sich mit gesellschaftlichen Strömungen in diese Richtung nicht gut anfreuden können. In englischsprachigen Ländern ist "Wokeness" Teil der öffentlichen Debatte, insbesondere in den USA nach der Präsidentschaft des umstrittenen Donald Trump 2017 bis 2021. 

Das Thema hat auch die Finanzbranche erreicht. Dan Grant beispielsweise ist genervt von Wokeness. Er hat genug davon, dass Unternehmen wie Nike und Coca-Cola sich als Gutmenschen aufspielen. Und er ist überzeugt, nicht allein zu sein: "Die Leute haben die Nase voll von Wokeness- Unternehmen und von Wokeness im Allgemeinen", so Grant. 

"Sie haben die Nase voll von Unternehmen, die ihren Aktivismus für soziale Gerechtigkeit über die Erzielung von Gewinnen für ihre Aktionäre stellen." Der ehemalige Banker von JPMorgan setzt darauf, dass die 74 Millionen Menschen, die wie er für Donald Trump gestimmt haben, auch wütend darüber sind - wütend genug, um börsengehandelte Fonds zu kaufen, die nur in solche Unternehmen investieren, die Grant und seine Kollegen für nicht woke halten. Also solche, die sich bei Aktivismus und Spenden nach rechts orientieren oder zumindest neutral sind.

Konservative Vermögensverwalter

Grant ist Chief Executive Officer von 2ndVote Advisers, einer kleinen Firma politisch konservativer Vermögensverwalter, die sich gegen die ihrer Meinung nach zunehmende Tendenz zu linken, sozial bewussten Investitionen an der Wallstreet wehren. Letztes Jahr begann 2ndVote Advisers mit der Vermarktung einer Reihe von konservativen ETFs, die sich auf Themen wie "Waffen", "Abtreibung" und "Zensur" konzentrieren und die Grant in rechten Talkshows anpreist.

"Wir sagen den CEOs, dass sie aufhören sollen, das zu tun, wozu die Linke sie drängt", sagte Grant in einer Radioshow des ehemaligen Trump-Beraters Sebastian Gorka. Laut Bloomberg Intelligence sind in diesem Jahr bisher mehr als 720 Milliarden Dollar in ETFs geflossen. Davon entfielen etwa 27 Milliarden Dollar auf Fonds, die Umwelt-, Sozial- oder Governance-Themen (ESG) berücksichtigen. Ganz anders Grant, dessen 2ndVote im Dezember einen neuen ETF auflegen will, der auf die jüngste Trumpsche Kulturkritik abgestimmt ist.

Der "First Amendment Fund" namens American Freedoms ETF, wird in libertäre Kommunikationsunternehmen investieren und Plattformen wie Facebook, Google, und Twitter ausschliessen, von denen der Ex-Präsident behauptet, dass sie ihn "zensieren". Grant beharrt darauf, dass sein Fonds gerade nicht politisch sei. Vielmehr sei er Ausdruck des Diktums des Ökonomen Milton Friedman, dass die einzige Aufgabe eines Unternehmens darin bestehe, Geld zu verdienen.

Gewinne, nicht soziale Themen

"Was ich Jack Dorsey und Mark Zuckerberg sagen würde, ist, dass sie sich auf die Gewinnoptimierung konzentrieren sollten, nicht auf Aktivismus für Black Lives Matter oder Klimaalarmismus", sagt Grant. "Ich würde nicht in ihrer Haut stecken wollen, wenn Trump wiedergewählt wird."

Grant ist nicht der erste Vermögensverwalter, der es auf die MAGA-Massen ("Make America Great Again", Trumps Wahlkampfmotto) abgesehen hat. "Sie kopieren mich irgendwie", beschwert sich Hal Lambert, Gründer des in Fort Worth ansässigen Unternehmens Point Bridge Capital, das 2017 seinen GOP Stock Tracker ETF auf den Markt gebracht hat, der besser unter seinem Ticker MAGA bekannt ist. Beide Firmen konkurrieren auch mit dem American Conservative Values ETF, der letztes Jahr von Ridgeline Research aufgelegt wurde.

Bescheidener Geldzufluss

Doch während die Fonds darüber streiten, welcher der authentischere konservative ist, bleibt der Zufluss von Investitionen eher bescheiden. Keiner über ein verwaltetes Vermögen von mehr als 35 Millionen Dollar. Trump mag das amerikanische Leben durchdrungen haben, aber die Welt der ETFs bleibt bisher weitgehend immun. Finanzexperten halten das nicht für Zufall. "Wir raten Anlegern immer, die Politik nicht mit ihrem Portfolio zu vermischen", sagt Nate Geraci, Präsident des Beratungsunternehmens ETF Store.

"Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Untersuchungen, die zeigen, dass Investitionen auf der Grundlage politischer Neigungen irgendeine Art von Outperformance bringen." Eine weitere Hürde für Trump-nahe ETFs ist, dass es bereits viele Anlagemöglichkeiten für Menschen gibt, die rechten oder libertären Weltanschauungen anhängen: Sie können zum Beispiel Gold oder Kryptowährungen und jetzt auch einen Bitcoin-Futures-ETF kaufen, wenn sie der US-Geldpolitik misstrauen.

Grant glaubt, dass er das ändern kann. Die Investorenwelt müsse ein politisches Erwachen erleben, um die "Torheit von Unternehmen" zu erkennen, die linke soziale und Klima-Ziele verfolgen, und sich stattdessen die Werte des republikanischen Amerikas zu eigen machen, sagt er. Grants Versuch, das Investieren zu politisieren - er würde sagen "entpolitisieren" - passt zu einer konservativen Anti- Haltung gegen alles was der anderen Seite wichtig ist - von Präsident Joe Biden über die Integrität von Wahlen bis hin zum Rassismus-Unterricht für Kinder.

Populismus auch bei GameStop und Co.

Politik ist aus der Geldanlage nicht mehr wegzudenken. Es ist nicht nur das Geld, das in ESG- Fonds fliesst - auch die Explosion von Meme-Aktien wie GameStop wurde durch eine Art Quasi-Populismus vorangetrieben, bei dem der Kauf von Aktien zu einem Mittel des persönlichen Ausdrucks wird, einer Möglichkeit, es dem Establishment zu zeigen.

Heutzutage drehe sich fast alles um Politik, also warum nicht auch ETFs, argumentiert Grant. Grant gründete 2ndVote Advisers zusammen mit dem Ehepaar David und Diane Black im Jahr 2020. Kurz nach dem Wahlsieg von Joe Biden im vergangenen November begannen sie, ETFs anzubieten, um, so Grant, "verärgerten Anlegern einen Mechanismus zu bieten, sich zu wehren" - und um zu versuchen, etwas Geld zu verdienen. Kleinanleger sind bisher allerdings nicht in Scharen zu ihnen geströmt. Neben den Problemen des parteiischen Brandings kämpfen sie auch mit anderen Trends im Fondsmanagement, etwa dem Trend zu passiven, indexnahen Portfolios.

Hohe ETF-Gebühren

Auch sind die Gebühren der 2ndVote-Fonds mit 0,75 Prozent des Vermögens pro Jahr hoch, verglichen mit nur 0,03 Prozent für den weit verbreiteten passiven Vanguard S&P 500 ETF. Seit ihrer Auflegung vor fast einem Jahr haben die beiden bestehenden 2ndVote-Fonds allerdings den breiten S&P 500 geschlagen – einer um Haaresbreite und der andere um mehr als 10 Prozentpunkte. Viele Berater möchten jedoch mindestens drei Jahre Performance sehen, bevor sie einen Fonds bewerten. Für Grant sollen die Fonds ein "Gegengewicht" bilden zu dem, was viele Konservative als elitären Liberalismus von Corporate America und der Wallstreet betrachten.

So hatten etwa Citigroup und Bank of America nach den Schiessereien an einer High School in Parkland, Florida, erklärt, dass sie bestimmte Bankdienstleistungen für einige Unternehmen, die mit Waffen zu tun haben, nicht mehr anbieten würden. Konzernchefs, die noch vor wenigen Jahren in republikanischen Kreisen als "Arbeitsplatzbeschaffer" gelobt wurden, tauchen in der neuen Erzählung als Bösewichte auf. "Sie können mit dem Geld anderer Leute eine linke Agenda verfolgen", sagt Grant. Republikanische Gouverneure, von denen einige ein Auge auf das Weisse Haus geworfen haben, verstärken diese Stimmung.

Der Texaner Greg Abbott etwa verbietet per Gesetz staatliche Investitionen in Firmen, die ihre Verbindungen zur Öl- und Gasindustrie abbrechen, und nimmt Banken ins Visier, die Kredite an Waffenhersteller drosseln. Sein Kollege aus Florida, Ron DeSantis, prangerte in einer flammenden Rede vor der Handelskammer des Bundesstaates den "Aufstieg des woken Kapitalismus" an und sprach eine Drohung aus: "Wenn Sie Ihre Macht als Unternehmen nutzen, um irgendeine Ideologie voranzutreiben", so DeSantis, "halte ich das für sehr gefährlich für dieses Land, und ich werde dem nicht tatenlos zusehen." 

(Bloomberg/cash)