"Denn bei den Vorbereitungen zeigte sich, wie schwierig es ist, eine EU-Beitrittsperspektive überhaupt noch beizubehalten", sagt Nicolai von Ondarza, Europa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zu Reuters. Trotz früherer Beitrittszusagen und ständiger Hinweise von Kanzlerin Angela Merkel auf die grosse geopolitische Bedeutung der Region musste die Bundesregierung darum kämpfen, dass das Versprechen eines späteren EU-Beitritts noch erwähnt wird. Die Bereitschaft zu einer erneuten EU-Erweiterung sinke in der EU eben immer mehr, betont der Balkan-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Milan Nic, gegenüber Reuters. Das hat mehrere Gründe.

Merkels Abgang schwächt Erweiterungs-Befürworter

"Mit Merkel tritt eine der Verfechterin des Berlin-Prozesses ab, der die Westbalkan-Staaten näher an die EU bringen sollte", meint Ondarza mit Blick auf Serbien, Montenegro, Albanien, Nord-Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Zwar habe auch die Kanzlerin einen Beitritt nicht massiv vorangetrieben, aber sie habe das Thema zumindest oben auf der Agenda gehalten. "Nach Merkels Abgang wird die fehlende Führung für eine Erweiterung im EU-Rat offensichtlich werden", meint auch DGAP-Experte Nic. Er erwartet eine Spaltung. Länder wie Österreich, Griechenland, die Osteuropäer und Italien würden weiter für eine Annäherung der Westbalkan-Staaten arbeiten - andere aber offener dagegen. Daran ändere nichts, dass sowohl Merkel als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerade demonstrativ die Region besuchten.

Problemfall Macron

Ohnehin gehören die Niederlande und Frankreich aus innenpolitischen Gründen wegen ihrer starken nationalistischen Rechtsparteien zu den am wenigsten begeisterten EU-Ländern für einen Beitritt. Nun kommt dazu, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich im April 2022 der Wiederwahl stellen muss - dann folgen die französischen Parlamentswahlen. Immer wieder hatte es in der Bundesregierung in den vergangenen Wochen Klagen gegeben, dass die französischen Partner dieses unpopuläre Thema nicht mehr anfassen wollten. "Bis Mitte kommenden Jahres wird deshalb nicht mehr viel passieren können", meint von Ondarza. Denn auch auf der Agenda der neuen Bundesregierung werde der Westbalkan nicht gerade Priorität geniessen.

"Allerdings muss man sagen, dass sich die Stagnation im Erweiterungsprozess bereits seit längerem abzeichnete", betont DGAP-Experte Nic. Das wird vor allem Auswirkungen auf Länder wie Albanien und Nord-Mazedonien haben, die nach der Erfüllung der EU-Vorgaben nun gerne mit offiziellen Beitrittsgesprächen beginnen wollen. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama verglich die Situation bereits mit dem absurden Theaterstück "Warten auf Godot".

Dazu kommt Widerstand von ganz anderer Seite: Nachdem Griechenland im Namensstreit mit Nord-Mazedonien die Annäherung der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik lange verzögert hatte, sperrt sich nun das EU-Mitglied Bulgarien wegen eines Sprachenstreits.

Spannungen zwischen Westbalkan-Ländern

Aber auch in der Region sind die Fortschritte nicht sehr gross, auch wenn Merkel vor wenigen Wochen bei einem Westbalkan-Gipfel lobte, dass die Ländern nun untereinander reden würden. Aber vor wenigen Tagen drohten die seit dem Bürgerkrieg und dem Zerfall Jugoslawiens schwelenden Spannungen zwischen Serbien und der ehemaligen serbischen Provinz Kosovo erneut zu eskalieren. Im Streit um die gegenseitige Anerkennung von Nummernschildern vermittelte zwar die internationale Gemeinschaft erfolgreich, die im Kosovo immer noch die Schutztruppe KFOR stationiert hat. "Letztlich ging es aber gar nicht um Autokennzeichen", meint Nic. Er verweist auf ein Paradox: "Neue Krisen und Spannungen sind programmiert, gerade weil die neue Regierung im Kosovo die Normalisierung und den Dialog mit Serbien selbstbewusster vorantreibt." Im Gegenzug verteidige die serbische Führung aggressiv die alte Agenda und eskaliere die Spannungen. Auch im Vielvölkerstaat Bosnien-Herzegowina brechen immer wieder Spannungen mit serbischen Nationalisten aus.

Als Merkel die albanische Hauptstadt Tirana besuchte, wurde sie deshalb offen angesprochen, ob es nach dem Ende ihrer Amtszeit noch Hoffnung gebe. "Der westliche Balkan hat viele Freunde in Europa, das darf ich Ihnen versichern", machte sie den Albanern Mut. Das Prinzip Hoffnung bedienen auch andere: Der Gipfel in Slowenien sei das "klare Signal, dass Europa ein Interesse an einem europäischen Balkan hat", sagte etwa der neue Bosnien-Sonderbeauftragte Christian Schmidt zu Reuters.

(Reuters)