Das Wachstum der gesamten EU-Wirtschaft bleibt der Prognose zufolge in diesem Jahr zunächst stabil. Für 2023 korrigierte die Kommission ihre Vorhersagen jedoch deutlich nach unten. Auch für Deutschland revidierten die Ökonomen in Brüssel ihre Erwartungen.

Die deutsche Volkswirtschaft werde dieses Jahr voraussichtlich nur um 1,4 Prozent wachsen statt 1,6 Prozent, wie noch im Mai angenommen. Im kommenden Jahr werde sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,3 Prozent erweitern statt 2,4 Prozent. Grund sei, dass sich Haushalte wegen der hohen Preise weniger leisten könnten, hiess es. Ausserdem leide die Industrie unter Handelsengpässen. Ein möglicher russischer Gas-Lieferstopp sei zudem ein erhebliches Risiko für die deutsche Wirtschaft, schreiben die Ökonomen.

Mit den Zahlen schneidet Deutschland schlechter als viele andere Länder ab, etwa Frankreich mit einem voraussichtlichen Wachstum von 2,4 Prozent in diesem Jahr oder Griechenland mit 4 Prozent.

Gentiloni zeigte sich bei der Präsentation der Ergebnisse in Brüssel grundsätzlich besorgt. Risiken, die bei der Prognose im Mai identifiziert wurden, seien teils real geworden - etwa Schocks wegen Ungewissheit am Energiemarkt und ein schwächeres Wachstum der Weltwirtschaft. "Man kann sagen, dass sich die europäische Wirtschaft von einer Phase des verlangsamten Wachstums hin zu einer Phase des Bremsens bewegt", sagte der italienische Politiker.

Am stärksten wurden die Vorhersagen bei der Inflation korrigiert. Bei ihrer Frühlingsprognose war die Kommission noch von 6,1 Prozent Inflation für die Euro-Länder in 2022 ausgegangen - nun hob sie die Prognose um 1,5 Punkte auf 7,6 Prozent an. Den Höhepunkt werde die Inflation im dritten Quartal erreichen mit einem Rekordwert von 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. 2023 rechnet die Brüsseler Behörde damit, dass die Teuerung im Euro-Raum wieder auf 4 Prozent im Jahresdurchschnitt fällt. Dieser Trend hänge allerdings von den Preisen für Energie und andere Rohstoffe ab, sagte Gentiloni.

Die Europäische Zentralbank (EZB), die für die Geldpolitik im Euro-Raum zuständig ist, strebt eigentlich eine Inflation von 2 Prozent an. In der gesamten EU erwartet die EU-Kommission in diesem Jahr eine Preissteigerung von 8,3 Prozent und 4,6 Prozent im kommenden Jahr. Am höchsten ist die Inflation in den östlichen EU-Staaten.

Beim Wirtschaftswachstum geht die EU-Kommission nach wie vor von einem Anstieg von 2,7 Prozent in der EU aus. Im Euro-Raum wird ein Plus von 2,6 Prozent erwartet, ein Minus von 0,1 Punkten im Vergleich zur Mai-Prognose. Grund für die stabilen Werte seien ein restlicher Puffer durch die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr und ein starkes erstes Quartal, erklärte Gentiloni. Ausserdem sei die Tourismussaison im Sommer vielversprechend.

Für das nächste Jahr musste die Kommission ihre Vorhersagen nun jedoch deutlich anpassen. Sie geht nur noch von 1,5 Prozent Wachstum in der gesamten EU und 1,4 Prozent im Euro-Raum aus. Im Mai sprachen die Ökonomen noch von 2,3 Prozent sowohl in der EU als auch in der Eurozone. Gentiloni hob die hohen Energiepreise hervor: Der Gaspreis im Grosshandel habe sich im Vergleich zu 2021 mehr als versechsfacht und steige weiter.

Die Aussichten für die Wirtschaft hängen der EU-Kommission zufolge stark von der Entwicklung des Kriegs in der Ukraine und von der Energieversorgung ab. "Eine weitere Reduktion der Gas-Lieferungen würde die Preise weiter hochtreiben und den Druck einer Stagflation erhöhen", sagte Gentiloni. Bei einer Stagflation schrumpft die Wirtschaft, obwohl die Preise steigen. Gentiloni sagte zudem, das Risiko eines Gas-Lieferstopps von Seiten Russlands sei nun kein hypothetisches Szenario mehr, und man müsse sich vorbereiten. Auch eine neue Pandemie-Welle könnte Auswirkungen für die Wirtschaft haben. "Ein Sturm ist möglich. Aber so weit sind wir noch nicht."/dub/DP/jkr

(AWP)