cash.ch: Herr Kaufmann, haben Sie schon Hinweise darauf, in welcher Form die Firmen ihre Generalversammlungen in diesem Jahr durchführen?

Vincent Kaufmann: Es gibt bislang unterschiedliche Informationen dazu. Die UBS hat mich vor ein paar Monaten informiert, dass sie die Absicht hat, eine physische Generalversammlung durchzuführen. Es ist die letzte GV von Präsident Axel Weber. Die Credit Suisse hat uns dagegen bereits signalisiert, dass es unmöglich sein werde, Ende April eine physische GV durchzuführen. Ich habe den Eindruck, einige Firmen nehmen die Pandemie immer noch als Anlass dafür, physische Generalversammlungen und damit die Fragen von Aktionären zu vermeiden. 

Sie hatten bereits Roche dafür kritisiert, dass die Firma im letzten Herbst an der ausserordentlichen GV den Aktionären die Möglichkeit nicht liess, Fragen zu stellen…

Ja. Mit den Covid-Zertifikaten war es auch möglich, grosse Messen zu organisieren und durchzuführen. Da erstaunt mich die Haltung der Firmen manchmal. Nach dem neuen Obligationenrecht können die Firmen durchaus Generalversammlungen virtuell durchführen, aber die Aktionäre müssen während dieser GV Fragen stellen können. Das ist jetzt nicht möglich.

Die Credit Suisse wird wohl im Zentrum bei den GV stehen. Letztes Jahr empfahlen Sie den Aktionären, gegen die Décharge des Verwaltungsrates und gegen die Bonusanträge des Managements zu stimmen. Haben Sie sich schon Gedanken gemacht für die GV Ausgabe 2022?

Wir waren vor einige Wochen sehr überrascht, als die Bank bekannt gab, dass sie den internen Bericht zur 'Greensill'-Affäre nicht veröffentlichen will. Dabei hatte die Bank auf unsere Frage hin an der GV im letzten Jahr geantwortet, dass sie die Ergebnisse der Berichte zu Greensill und Archegos der Öffentlichkeit zugänglich machen will. Das steht im GV-Protokoll. Ich verstehe ja, dass der Greensill-Bericht wegen der vielen vertraulichen Informationen nicht so einfach zu publizieren ist wie derjenige von Archegos. Aber wenn wir die Schlussfolgerungen zu Greenshill nicht haben, dann können wir dem Verwaltungsrat die Décharge nicht gewähren. Wir erwarten also mehr Transparenz zu Greensill. Zentral ist die Frage, welche Verantwortung jetzige und ehemalige Verwaltungsräte und Mitglieder der Geschäftsleitung tragen.

Sie sagten bereits, sie wollten rechtliche Schritte prüfen für die Veröffentlichung des «Greensill»-Berichtes. Was meinen Sie damit?

Das war nicht juristisch gemeint, sondern wir erwägen eher, Auskunft gemäss Artikel 697 OR zu verlangen und eventuell eine Sonderprüfung zu beantragen. Wenn wir als Aktionäre an einer GV mit den Antworten zu bestimmten Fragen nicht einverstanden sind, dann können wir eine Sonderprüfung beantragen. Dies hatten wir auch bei der UBS im Jahr 2008 im Zusammenhang mit der Hypothekenkrise gemacht.

In der Kritik steht auch Roche-CEO und CS-Vizepräsident Severin Schwan in seiner Rolle im Risiko- und Nominierungsausschuss der Bank. Werden Sie Schwan wiederwählen, sollte er nochmals antreten?

Da müssen wir unsere Meinung noch bilden, auch mit Blick auf die neuen Enthüllungen zu den problematischen Kunden in den letzten Jahrzehnten. 

Sollte Severin Schwan überhaupt nochmals zur Wahl antreten?

Er sollte zumindest aus dem Risiko- und Nominierungsausschuss zurücktreten, falls er sich nochmals zur Wiederwahl stellt. Das könnte ein Argument für seine Wiederwahl sein. Aber wie gesagt, ohne Erkenntnisse aus dem Greensill-Bericht ist das heikel. Wir wissen ja nicht, ob die Mitglieder des Ausschusses auch eine Verantwortung tragen.

Kritisiert wird auch Schwans Doppelrolle als CS-Vize und Roche-CEO. Das ist kein Einzelfall. Warum sehen wir in der Schweiz noch immer solche Doppelämter?

Das ist ja nicht nur in der Schweiz so. In den USA, Deutschland oder Frankreich ist das schon fast üblich. Der CEO von Adidas ist zum Beispiel auch VR-Mitglied von Siemens oder Nestlé. Aber wir sehen diesbezüglich eine Verbesserung über die letzten Jahre, gerade auch bei Firmen wie Nestlé oder Novartis. Wir von Ethos akzeptieren maximal ein externes Mandat für einen CEO bei einer anderen börsenkotierten Gesellschaft. Denn solche Kombinationen können positive Effekte für die Unternehmen bringen, ein CEO einer anderen Firma kann im VR auch unabhängiger auftreten. Ein Präsidentenamt bei einer anderen Firma zählt für uns übrigens als doppeltes Mandat.

Bei welchen anderen Firmen setzen Sie an den Generalversammlungen 2022 Schwerpunkte?

Bei Holcim gibt es mit ‘Say on Climate’ eine wichtige Abstimmung. Letztes Jahr war Holcim noch nicht bereit dafür. Und bei Novartis glauben wir, dass die variablen Vergütungen im Vergleich zur Performance und zu anderen Konzernen nach wie vor zu hoch sind. Dazu ist ‘Diversität’ bei einigen Firmen nicht sehr positiv, etwa bei Lindt & Sprüngli. Das Obligationenrecht verlangt, dass Firmen bis 2026 mindestens 30 Prozent der Verwaltungsratssitze mit Frauen besetzen müssen. Da wollen wir gerne Pläne sehen von den Unternehmen.

Wer hat in Sachen Nachhaltigkeit von den Firmen im Swiss Performance Index in letzter Zeit schlecht und gut abgeschnitten?

Swatch macht noch immer keine Fortschritte. Der publizierte Nachhaltigkeitsbericht war nicht gut, die Transparenz fehlt völlig. Auf der positiven Seite gibt es SIG Combibloc und Landis & Gyr zu erwähnen. Auch Swissquote, Romande Energie und Galenica haben Fortschritte gemacht.

Haben gute Nachhaltigkeitsberichte einen positiven Einfluss auf den Aktienkurs der Firmen?

Sagen wir es so: Firmen, die keine Informationen zu Nachhaltigkeit veröffentlichen, werden von Nachhaltigkeitsfonds immer weniger berücksichtigt werden, da Transparenz die Grundlage jedes Verbesserungsprozesses darstellt.

Sie verlangen ja auch, dass die Schweizerische Nationalbank bei Firmen wie Exxon ihre Aktionärsrechte mehr wahrnimmt und bei Nachhaltigkeitsthemen Druck ausüben sollte. Ist das nicht illusorisch, das gerade von der SNB zu fordern?

Nicht unbedingt. Es ist unklar, wie die SNB jeweils bei den Firmen abstimmt. Laut eigenen Aussagen stimmt sie bei europäischen Firmen ab, aber nicht in den USA. Wenn man sich wie die SNB als passiver Investor sieht, heisst das nicht, dass man seine Aktionärsrechte nicht aktiv wahrnehmen kann.

Ethos hat verschiedene Anlagefonds, darunter das Flaggschiff ‘Ethos Equities Swiss Mid &. Small’ bei Vontobel. In den drei Jahren von 2019 bis 2021 blieb der Fonds zweimal hinter dem Referenzindex SPI zurück.  

Im letzten Jahr blieben wir nur ganz knapp zurück, 2020 machte den Firmen im Anlagefonds das Corona-Jahr zu schaffen. Der Anlagefonds ist langfristig orientiert und die Positionen bleiben auch lange im Fonds. Auf Sicht von drei und fünf Jahren wurde der Referenzindex ja auch geschlagen. Man darf auch nicht vergessen, dass das Anlageuniversum mit den Ethos-ESG-Ratings eingeschränkt ist. 

Es überrascht auch etwas, dass Lindt & Sprüngli grösste Position im Fonds ist. Das Unternehmen hat, wie Sie vorher selber erwähnt haben, noch Probleme bei der Diversität, auch die Governance wird immer wieder bemängelt.

Die Governance bei Lindt hat effektiv Verbesserungspotenzial. Aber Governance ist ein Aspekt unserer ESG-Ratings, und Lindt punktet bei den Themen ‘Umwelt und Soziales’. Der Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens ist gut. Die Lieferketten bei Kakao beispielsweise werden seit langem auf die Achtung von Menschenrechten geprüft. 

Vincent Kaufmann (geb. 1980) ist seit 2015 Direktor der Ethos Stiftung und der Gesellschaft Ethos Services. Die 1997 in Genf gegründete Ethos umfasst heute mehr als 220 Schweizer Pensionskassen und andere steuerbefreite Institutionen. Kaufmann trat 2004 als Corporate-Governance-Analyst bei Ethos ein, wurde später Senior Analyst und Deputy Head Corporate Governance. Ab 2011 war er Mitglied der Geschäftsleitung und verantwortlich für die Vermögensverwaltung sowie ab 2013 stellvertretender Direktor. Seit 2014 ist er auch Mitglied im Verwaltungsrat des Stimmrechtsberaters Proxinvest SAS (Paris) und seit Juni 2019 Vorstandsmitglied von Swiss Sustainable Finance.

Vincent Kaufmann erwarb 2009 das eidgenössische Diplom als Experte in Rechnungslegung und Controlling. 2004 schloss er an der Universität Genf mit einem Master in Betriebswirtschaft ab.