Nach tagelangen Verhandlungen haben die Regierungschefs der EU-Länder diese Woche ein milliardenschweres Hilfspaket verabschiedet. Mit insgesamt 750 Milliarden Euro soll in Form von Zuschüssen und Krediten vor allem süd- und osteuropäischen Ländern geholfen werden, die konjunkturellen Folgen der Coronaviruskrise zu überwinden.
Laut Thomas Gitzel, Chefökonom der Liechtensteiner VP Bank, wird dies die EU und vorallem die Eurozone stabilisieren. "Ich mache dies am Beispiel Italiens und Spaniens fest: Beide Länder bekommen jeweils mehr als 170 Milliarden Euro, das sind, wenn man es auf die Wirtschaftleistung überträgt, mehr als zehn Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt - und das ist gewaltig." Ab 2021 werde das positive Folgen auf das Wachstum haben, sagt Gitzel im cash-Börsen-Talk.
«Schritt in Richtung EU-Fiskalunion»
Die Hilfen waren alles andere als unumstritten: Der Gipfel der 27 Regierungsoberhäupter der EU-Mitglieder dauerte fünf Tage und war geprägt von einem heftigen Streit um das Verhältnis von Zuschüssen und Krediten. Die "Sparsamen Vier" - Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden - stemmten sich gegen ein System hoher Transfers. Am Ende einigte sich die EU, wie meistens, auf einen Kompromiss.
Die Coronahilfen werden aber tiefgreifende Veränderungen der EU und der Eurozone bringen, wie Gitzel sagt: Die EU erhalte einen eigenen Fiskalrahmen, könne im eigenen Namen Steuern in Anspruch nehmen und viel stärker Schulden aufnehmen: "Wir sind de facto einen Schritt in Richtung Fiskalunion gegangen."
Für spätere, ähnliche Situationen habe die EU Mechanismen der Umverteilung von reichen zu armen Ländern definiert. Gitzel kommt daher zum Schluss: "Dies führt zu Stabilität und ein Zusammenbruch der Eurozone - ein Teil der EU - wird dadurch ein Stück unwahrscheinlicher."
Der Kurs Euro-Franken in den vergangenen zwölf Monaten (Grafik: cash.ch.)
Die Gipfeleinigkeit in Brüssel hat den Euro gestärkt. Vor allem zum Dollar, aber auch zum Franken ist die Einheitswährung im Wert gestiegen. Gegenwärtig wechselt das Währungspaar Euro-Franken im Verhältnis von etwa 1 zu 1,0730, nach einem Level von 1,0614 vor zwei Wochen.
Gitzel sieht starken Rückenwind für den Euro, vor allem dank der beschlossenen Milliardenhilfen: "Es ist durchaus möglich, dass der Euro in den kommenden Wochen über die Marke von 1,10 geht." Dies würde auch bedeuten, dass die Schweizerische Nationalbank ihre - international umstrittenen - Interventionen zurückfahren oder ganz einstellen könne.
Franken-Interventionen - Auch die UBS warnt nun die Nationalbank vor US-Vergeltung https://t.co/AkKpEEAgTO pic.twitter.com/fyuRrVz9Ky
— cash (@cashch) July 23, 2020
Etwas ruhiger angehen können es laut Gitzel die Notenbanken generell. In den ersten Wochen der Coronaviruskrise waren die Währungshüter noch stärker ins Bild gerückt. Mit eilig verfügten, neuerlichen Zinssenkungen und weiteren Anleihkaufprogrammen ist ihre Rolle für die Konjukturentwicklung, für Staatshaushalte von Regierungen und auch für die Anlagewelt noch wichtiger geworden.
"Phase Eins war, das Feuer zu löschen, jetzt geht es darum, den Schwelbrand zu kontrollieren und mögliche Glutnester zu löschen", sagt Gitzel. Die Situation werde nun analysiert. Die immensen Massnahmen der Notenbanken aus der Coronakrise würden sich kurzfristig nicht wiederholen. In der Schweiz, Europa und den USA sei "die erste Bugwelle" erst einmal vorbei.
Im cash-Börsen-Talk gibt Thomas Gitzel auch eine Einschätzung ab, wie lange die Zinsen noch tief bleiben werden. Er äussert sich auch zu den Aussichten von Aktien und rät Anlegerinnen und Anlegern, wie sie ihre Investments am Markt gewichten sollten.