Auf der Welle nachhaltiger Investments wollen auch die Börsenbetreiber reiten. Der Wahlsieg von Joe Biden in den USA dürfte den Run der Anleger auf Unternehmen, die in Sachen Environment, Social, Governance (ESG) gut abschneiden, noch verstärken. Deutsche Börse, Nasdaq & Co wollen von diesem Trend profitieren und legen bei ihrem ESG-Engagement noch eine Schippe drauf.
Vor allem beim Thema Transparenz dürften die Börsen eine Schlüsselrolle spielen. Denn sie offerieren Datenprodukte, die Investoren helfen sollen, die von einem ESG-Investment ausgehenden Risiken zu durchschauen. Die Unternehmen sollen ihre internen Prozesse analysieren und eigene Praktiken offenlegen und somit für Kapitalgeber interessanter werden.
Ausserdem legen die Handelsplätze auf ESG-Kriterien basierende Indizes und Derivate auf, um Investments zu erleichtern. "Die Börsen sitzen an dieser einzigartigen Schnittstelle zwischen Anlegern und Unternehmen und Aufsichtsbehörden", sagt Evan Harvey, der das Thema Nachhaltigkeit bei der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq verantwortet. "Und da alle drei dieser Gruppen nach einem Konsens bei der ESG-Berichterstattung, der Transparenz und der Leistungsmessung suchen, müssen die Börsen eine Rolle spielen."
ESG gewinnt in Coronakrise an Gewicht
An dem Thema ESG kommt in der Investmentbranche keiner mehr vorbei. Gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften und fair mit ihren Anteilseignern umgehen, stärker von Investoren nachgefragt werden. "ESG hat den Krisentest bestanden und ist in kurzer Zeit das wichtigste Element für jeden Investor geworden", konstatieren die Experten des Finanzdienstleisters State Street.
In den USA flossen nach Daten des Analyseunternehmens Morningstar nachhaltigen Aktienfonds im dritten Quartal 3,8 Milliarden Dollar zu, verglichen mit Abflüssen von insgesamt 118,5 Milliarden Dollar bei anderen Aktienfonds. Mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 16 Prozent könnten ESG-mandatierte Vermögen bis 2025 die Hälfte aller verwalteten US-Vermögen ausmachen, sagen die Experten des Beraters Deloitte. Auch in Deutschland ist der Trend laut Fondsverband BVI ungebrochen.
Per Ende September lag das verwaltete Vermögen offener Nachhaltigkeitsprodukte bei 129 Milliarden Euro. Allein seit Ende Juni entspricht das einem Wachstum von 27 Prozent, seit Ende März sogar von 44 Prozent.
Biden dürfte den Run verstärken
Die Aussicht auf eine US-Regierung unter dem Demokrat Biden hat bereits eine Reihe von Aktien und börsennotierte Fonds (ETFs) beflügelt, von Solar bis hin zu sauberer Energie. "Die Aufmerksamkeit ist da, und sie wächst, und ich wäre nicht überrascht, wenn sie sich weiter beschleunigt, wenn wir eine neue Administration und einen neuen Kongress bekommen", sagt Angelo Evangelou, leitender Manager bei der Cboe, zu der die Rohstoffbörse Cboe und die Handelsplattform Bats gehören. Auch Mitbewerber wie die Nasdaq und der Mutterkonzern der New York Stock Exchange, Intercontinental Exchange, warten begierig auf Sigale des neuen Präsidenten.
Biden werde sehr wahrscheinlich eine Lanze für ESG brechen. Wie sich das auf den Markt auswirke, sei aber noch nicht klar zu erkennen, sagt Lynn Martin, die bei der ICE für festverzinsliche Wertpapiere und Datendienste verantwortlich ist. "Sie müssen immer noch eine organische Nachfrage vom Markt haben, und es ist klar, dass die Fähigkeit, Erträge zu generieren, bei der organischen Nachfrage hilft", sagt sie.
So sei der ESG-Boom beispielsweise von einer grösseren Nachfrage nach grünen Anleihen befeuert worden. Ein von der ICE aufgelegter Index sei deutlich gestiegen, weil grüne Anleihen sich in diesem Jahr besser als andere Schuldverschreibungen entwickelt hätten. Auch ein zunehmendes Datenangebot und Produkte zur Absicherung von Portfolien gegen Kursverluste (Hedging) trugen Martin zufolge dazu bei.
Kein Tabak, Waffen oder Minen
Der Aktienindex S&P 500 ESG-Index stieg in diesem Jahr um 15,4 Prozent und übertraf damit den regulären S&P 500-Index, der 13,7 Prozent zulegte. Die ESG-Version schliesst unter anderem Firmen aus, die Dinge wie Tabak und umstrittene Waffen wie Landminen und chemische Waffen herstellen.
Auch die Deutsche Börse hat eine ESG-Version des deutschen Leitindex Dax im Angebot und will ihre Position mit der Übernahme des auf ESG spezialisierten Anbieters ISS stärken. Dadurch wolle die Deutsche Börse zu einem führenden globalen Anbieter von ESG-Daten werden, heisst es bei den Frankfurtern. Diesen Anspruch haben im Rennen um Liquidität allerdings auch die Konkurrenten Cboe, Nasdaq und ICE, die sich jeweils auf ihre eigenen Produkte und Daten verlassen. "Wir wollen tonangebend sein", sagt Cboe-Manager Evangelou.
Auch die Nasdaq will mit dem Handel von ESG-Staatsanleihen, grünen Anleihen und ihrer ESG-Index-Plattform kräftig wachsen. Bis 2025 sollen die ESG-Erlöse insgesamt auf 150 Millionen Dollar von derzeit fünf Millionen steigen.
(Reuters/cash)