cash: Herr Bloom, der Franken hat gegen den Euro Anzeichen einer Abwertung gezeigt. In einem derart unsicheren Umfeld wie in den letzten Wochen und Monaten hätte er sich erfahrungsgemäss aber aufwerten müssen. Weshalb hat er das nicht getan?

David Bloom: Ich würde es nicht Abwertung nennen, das ist ein etwas zu starker Ausdruck. Etwas scheint sich beim Franken geändert zu haben. Nach den massiven Interventionen, nach der Kursuntergrenze der SNB und der Art und Weise der Aufhebung dieser Untergrenze muss man sich die Frage stellen: Hat sich der Reaktionsmechanismus der Leute gegenüber dem Franken geändert? Es scheint so. Während der ersten sechs Wochen dieses Jahres wäre der Franken traditionellerweise die bevorzugte Währung der Investoren gewesen.

Was geschah also?

Beim Euro konnten wir während dieser Zeit ein dauerndes Auf und Ab beobachten, so dass sich die Leute nicht zum Kauf entscheiden konnten. Der japanische Yen verhielt sich so wie immer, trotz der signifikanten geldpolitischen Beschlüsse der Bank of Japan. Die Frage ist, weshalb der Franken in dieser Zeit nicht auch so reagierte wie immer. Ich habe keine eindeutige Antwort darauf. Aber für uns ist es schwierig, Anhaltspunkte zu finden, dass dies ein permanenter Wandel darstellen sollte. Die Schweiz ist ein manierliches, gut aufgestelltes Land mit hohem Bildungsstandard und guten Beziehungen zur Europäischen Union, sie ist kein EU-Mitglied, sie ist politisch stabil, sie hat einen Leistungsbilanzüberschuss und einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Weshalb sollte die Währung eines solchen Landes über die Zeit nicht stärker werden? Wir gehen davon aus, dass sich der Franken sowohl gegen den Euro wie gegen den Dollar im Lauf dieses Jahres aufwerten wird. Aber es ist sehr interessant, dass sich der Franken zuletzt nicht so verhielt wie üblich.

Was sind Ihre Prognose?

Wir sehen den Euro bei 1,02 Franken im Lauf dieses Jahres.

Letztes Jahr lagen Sie mit Ihrer Prognose von 92 Rappen pro Euro bei Jahresende 2015 ziemlich daneben. Der Kurs lag dann tatsächlich bei 1,08.

Wir hatten ja die Situation mit der Aufhebung des quasi festen Wechselkurses der SNB. Nun, vielleicht habe ich meine Lektionen nicht gelernt. Aber ich finde es schwierig, nicht 'bullish' auf sichere Länder zu sein, die einen Leistungsbilanzüberschuss und einen ausgeglichenen Staatshaushalt ausweisen. Klar lag ich falsch im letzten Jahr. Aber ich gebe meine Haltung nicht auf, 'bullish' auf den Franken zu sein. Wenn ich mich in der Welt herumschaue, stelle ich mir die Frage: Weshalb sollte man nicht Schweizer Franken besitzen?

Die SNB beansprucht für sich, dass ihre Negativzinsen nun wirken und Franken-Investoren abschreckt. Sind Sie gleicher Meinung?

Da bin ich völlig anderer Meinung.

Warum?

Weil die Zinsertragskurve negativ ist. Im Jahr 2012 intervenierte die SNB in vier Monaten im Umfang von etwa 150 Milliarden Franken an den Märkten. Damals war die Zinsertragskurve schon über Jahre negativ bei einem Leitzins von null. Es funktionierte schon damals nicht, und warum sollte es jetzt funktionieren? Es geht nicht um Negativzinsen. Es geht um die Frage, ob die SNB den Reaktionsmechanimus der Märkte ändern konnte. Falls ja, dann muss man das der SNB anrechnen. Loben muss man sie auch dafür, dass sie die Volatilität aus dem Franken gebracht hat.

Also Zinssenkungen und Negativzinsen bringen Ihrer Meinung nichts, um eine Währung zu schwächen?

Schauen Sie: Als die Europäische Zentralbank im Dezember die Strafzinsen senkte, stieg der Euro von etwa 1,0550 bis auf 1,12 Dollar. Die kürzlich erfolgte Leitzinssenkung der Bank of Japan war ein Misserfolg. Schweden senkte die Zinsen dreimal, ebenfalls ein Misserfolg. Und Wochen bevor die SNB die Kursuntergrenze aufhob, hatte sie Negativzinsen angekündigt. Die Franken zeigte keine Reaktion. Überall werden die Zinsen gesenkt, und daher müsste der Franken eigentlich an Wert gewinnen. Das passiert aber nicht. Wir beobachten also eine neue Entwicklung, und ich würde jetzt noch keine Schlüsse daraus ziehen wollen. Aber es ist sicher fair zu sagen, dass die Interventionen und der Kurswechsel der SNB die Leute skeptischer werden liess, ob sie nun in den Franken hinein und wieder hinaus hüpfen sollen.

Der US-Dollar ist stark zurückgekommen. Weshalb?

Die Dollarrallye beruhte auf der Annahme einer grösser werdenden Divergenz zwischen den Währungsräumen, also zwischen dem Dollarraum einerseits und Währungen wie dem Euro oder Yen andererseits. Man war davon ausgegangen, dass die EZB im Dezember den Leitzins senken und ein neues Programm zur quantitativen Lockerung ankündigen würde. Und dass die USA in diesem Jahr die Zinsen viermal erhöhen würde. Der Markt glaubt nicht mehr an letzteres. Das ist auch der Grund, weshalb der Euro so steigt. Europa befindet sich zudem auch nicht mehr in einer permanenten Krise. Wir gehen davon aus, dass der Euro zum Dollar bis Ende Jahr auf 1,20 steigen wird.

Im Zug von neuen Rezessionsängsten wird gar darüber spekuliert, ob die US-Notenbank nun nicht auch noch Negativzinsen einführen könnte. Wie wahrscheinlich ist das?

Das Risiko hat sich sicher erhöht. Die USA befindet sich bereits im achten Jahr einer wirtschaftlichen Erholung, das ist länger als üblich. Der Ölpreis sagt uns, dass das globale Wachstum ein Problem ist. Wir haben verängstigte Märkte und Notenbanken, die nur noch über wenig Munition verfügen. Ich sage nicht, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession fällt. Aber man fühlt die Furcht davor. Die Märkte fühlen auch, dass die Reaktionsmechanismen der Zentralbanken nicht mehr funktionieren und dass wir ein neues Territorium betreten könnten. Nämlich die Welt der Negativzinsen, die in noch negativer werden könnten als wir vor einiger Zeit noch angenommen hatten.

Was würden die Märkte denn gerne sehen?

Die Märkte haben gerne eine spezielle Lösung für ein spezielles Problem. Was sie nicht gerne sehen, sind vier oder fünf Zentralbanken mit verschiedenen Lösungen für ein Problem. Dann wissen wir nämlich, dass es keine Lösung gibt.

Wie soll es denn weitergehen in einer Welt von möglicherweise jahrelanger Stagnation?

Unser Chefökonom hat eine theologische Lösung, die heisst: Beten (schmunzelt). Im Ernst: Weil die Arbeitslosenzahlen relativ tief sind, könnte man einfach jahrelang so weitermachen wie jetzt und sich durchwursteln. Es gibt eine Lösung bei den Währungen: Man wertet alle Währungen gleichzeitig zu bestehenden Kursen ab. Das heisst Inflation. Sie wäre Teil einer Lösung. Aber wenn die USA die Zinsen wie angekündigt erhöht, ist diese Möglichkeit weg. Es gibt keine einfachen Lösungen.

Die Zentralbanken wehren sich gegen den Ausdruck 'Währungskrieg'. Aber fast jede Zentralbank versucht, die eigene Währung zu schwächen. Alle schauen auf den eigenen Vorteil.

Deshalb nennen wir es auch Währungskrieg. Die meisten Kriege haben es an sich, dass am Ende alle verlieren. Es gibt keine Gewinner. Währungskriege sind zum Scheitern verurteilt. Kennen Sie die Metapher der 'Unsichtbaren Hand' des Ökonomen Adam Smith? Demnach steigert sich das Gemeinwohl automatisch, wenn sich ein Einzelner primär um das eigene Wohl kümmert. Bei Währungskriegen ist es genau das Gegenteil. Schaut man hier nur auf sich selbst, schädigt man andere. Ich sehe nicht, dass sich die Positionen auf absehbare Zeit ändern und sich alle an einen Tisch setzen.

Welche attraktive Währungen sehen Sie dieses Jahr?

Auf den Punkt gebracht: Wenn Sie Öl und Lachs haben, dann mag ich das. Kanada, Norwegen und Schottland haben beides. Bloss können Sie keine schottische Währung kaufen. Also der kanadische Dollar und die norwegische Krone. Die beiden Währungen wurden stark getroffen vom sinkenden Ölpreis und steigenden Notierungen beim Lachs. Beide Währungen sind überverkauft. Die Volkswirtschaften sind nicht dermassen abhängig vom Ölpreis. Und wenn sie mehr 'Sex and Violence' wollen…

…das heisst die riskanten Währungsanlagen…

…dann empfehlen wir den mexikanischen Peso. Die Währung betrachten wir ebenfalls als überverkauft. Investoren könnten ebenfalls die türkische Lira in Betracht ziehen, weil sich die Lage im Land beruhigt hat.

Der brasilianische Real?

In Brasilien gibt es zu viele Sorgen politischer und wirtschaftlicher Art, dazu kommen Inflationsprobleme. Klar locken dort auch hohe Renditen, aber die zeigen auch die Höhe des Risikos an.

Im cash-Video-Interview äussert sich David Bloom auch einem möglichen "Brexit" und dessen Folgen für das britische Pfund sowie zum chinesischen Yuan.