Christian Angermayer (42), der zu den 1000 reichsten Personen Deutschlands gehört, ist Seriengründer und Investor mit Wohnsitz London. Seine Apeiron Investment Group ist Angermayers Family Office mit Investitionsschwerpunkten Europa und zunehmend auch Amerika. Der Fokus liegt auf Finanzdienstleistungen mit Schwerpunkt auf Fintech und Kryptotechnologien, neuen Technologien wie Raumfahrt und Künstliche Intelligenz, Biowissenschaften, Entertainment und Immobilien. Angermayer ist auch einer der grössten Investoren weltweit in der Erforschung von medizinischer Psychedelika mit dem Ziel, diese kommerziell unter ärztlicher Aufsicht nutzbar zu machen. Er ist in der internationalen Startup-und Investoren-Szene gut vernetzt und ist ein Freund von Silicon-Valley-Ikone Peter Thiel, einem der ersten Facebook-Investoren.
cash.ch: Die Corona-Krise rüttelt an den Fundamenten der wirtschaftlichen und politischen Ordnung. Sind Sie über das Ausmass der Krise überrascht?
Christian Angermayer: Mich überraschte vor allem das Ausmass der Panik und gleichzeitig die politische Unfähigkeit, dieser Panik entgegenzuwirken. Was mir bei all dem Notstands-Aktivismus fehlt, ist zumindest der Versuch, der Vernunft eine Stimme zu geben. In Ländern mit einem vernünftigen Gesundheitssystem, wie es Deutschland hat, ist Covid-19 für die allermeisten Menschen eine relativ harmlose Erkrankung.
Was ist die grösste Herausforderung der Corona-Epidemie?
Das Hauptproblem ist: Wir haben null Grundimmunität. Das wirkliche Risiko ist daher vor allem die Überlastung des Gesundheitssystems, weil extrem viele Menschen zur gleichen Zeit krank werden. Die absolute Zahl der Kranken und auch der Toten ist natürlich höher als beispielsweise bei einer normalen Grippewelle, weil eben diese Grundimmunität fehlt. Trotzdem ist das Risiko für jeden Einzelnen von uns bei weitem nicht so hoch, wie es uns Politik und die Mehrheit der Medien glauben machen wollen.
Die Panik ist also massiv übertrieben?
Ja. Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen: Es ist die erste globale Massenhysterie, der fast alle Länder weltweit zum Opfer gefallen sind. In 20 Jahren wird dies ein geschichtliches Ereignis sein. Nicht weil es so schlimm war, sondern weil wir so schlecht damit umgegangen sind. Und der panische Umgang mit der Krankheit wird indirekt mehr Kranke und Tote erzeugen als Covid selber.
Was schlagen Sie vor?
Schweden geht genau den richtigen Weg. Das Virus wird und muss durch die Gesellschaft gehen. Und man kann diese Ausbreitung durch vernünftige und gleichzeitig einfache Massnahmen wie Mundschutz, verstärkte Hygieneanstrengungen, keine Massenveranstaltungen und vor allem durch – gegebenenfalls freiwillige - Isolierung und besonderen Schutz der Risikogruppen, aber eben ohne "Shutdown" und ohne Panik verlangsamen und managen. Denn bis zum Impfstoff wird es dauern, und ein Erfolg ist bei weitem nicht sicher. Virale Impfstoffe sind unglaublich kompliziert. Bei HIV und Hepatitis versuchen wir seit Jahrzehnten vergeblich einen Impfstoff zu finden, und es gibt noch überhaupt keinen zugelassenen Impfstoff gegen irgendeinen der vielen Viren der Corona-Familie. Ich frage mich, mit welcher Begründung das jetzt auf einmal sicher klappen sollte.
Wurde nur die Wirtschaft beschädigt?
Nein, wir haben nicht nur die Wirtschaft geschädigt, sondern en passant viele unserer Freiheitsrechte eingeschränkt. Ich glaube, man hat hier einen Präzedenzfall gesetzt, den in Zukunft jemand ausnutzen kann und vermutlich auch wird. Derjenige könnte dann vielleicht aber nicht so ehrbare Absichten haben wie die Politiker heute. Auch wirtschaftlich gesehen ist der Schaden immens. Einerseits durch die eingeführten Restriktionen, aber viel mehr noch durch das Signal der Panik, das der Staat aussendet.
Die Verunsicherung ist hoch.
Das wird das grosse Problem werden: Wir reden jetzt alle davon, die Wirtschaft wieder hochzufahren. Aber wir müssen vor allem auch das Sentiment und die Emotionen der Leute wieder hochfahren, und das könnte der deutlich schwierigere Teil sein. Und leider bedingen sich Wirtschaft, Freiheit und Gesundheit deutlich mehr als viele wahrhaben wollen. Wir haben ungewollt und ohne Not einen sehr explosiven Cocktail produziert.
Ist es nicht etwas übertrieben, gleich von einer Zerstörung der freiheitlichen Grundordnung zu sprechen?
Die liberale Demokratie ist doch schon seit Jahren auf dem Rückzug und wird von vielen Seiten beschnitten. Da brauchen wir nur nach Ungarn schauen. Aber auch bei uns gibt es Gefahren. Unter dem Druck von 'Virtue Signalling', wie es die Amerikaner bezeichnen, und 'Political Correctness' schlittern wir schrittweise in eine praktische und mentale Verbotskultur. Ich finde es erschreckend, mit wie vielen hochkarätigen und renommierten Ärzten und Wissenschaftlern ich die letzten Wochen gesprochen habe, die sagen: 'Ich sehe das alles deutlich weniger schlimm als die Medien, aber ich kann das nicht öffentlich sagen, weil ich Repressalien befürchte und als Virusleugner abgestempelt werden würde'. Doch die freie Meinungsäusserung ohne Repressalien ist die Grundlage jeder liberalen Demokratie. Vor allem die sozialen Medien haben zu einer Verrohung und Verkürzung der Diskussion beigetragen.
Man könnte Ihnen entgegenhalten, dass Sie das nur so sehen, weil Unternehmer wie Sie durch die aktuellen Massnahmen schwer geschädigt werden.
Selbstverständlich habe auch ich Federn lassen müssen. Aber Krisen offenbaren auch stets Möglichkeiten. Und gerade Tech-Unternehmer und Investoren wie ich werden mittelfristig hiervon profitieren. Ich schaue eher mit Sorge auf Selbständige und kleine und mittelständische Unternehmen in meist traditionellen Branchen, die immer noch unser Rückgrat sind. Der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat es sehr klug formuliert: Das deutsche Grundgesetz stellt auf die Würde des Menschen ab, die unantastbar ist. Dazu gehört die Gesundheit, aber ebenso andere Aspekte.
Die wären?
Was passiert mit der Würde eines Vollblutgastronoms, dessen Restaurant für immer schliessen muss? Wir reden abstrakt immer von der Wirtschaft und den Unternehmern. Dahinter stehen aber Millionen ganz normaler Menschen, die jetzt oft vor den Scherben ihrer Existenz stehen. Und nochmal: Am Schlimmsten finde ich, dass es gar nicht um ein Aufrechnen 'Gesundheit gegen Wirtschaft' gehen muss, sondern dass man mit weniger Panik und mehr Pragmatismus den gleichen Effekt erreichen könnte, ohne diese massive Zerstörung.
Ein Phänomen der Corona-Krise ist der Vormarsch des Onlinehandels. Wo sehen Sie sonst noch einen beschleunigten Strukturwandel?
Ich sehe zwei grosse Effekte: Einerseits die Verlagerung vom Offline- zum Onlinehandel, die schon vor der Krise im Gange war. Dieser Wandel hat sich massiv beschleunigt. Die Mehrzahl meiner Portfoliofirmen profitiert von dieser Entwicklung. Andererseits werden Geschäftsreisen tendenziell weniger werden. Viele Meetings kann man beispielsweise genauso angenehm über Zoom erledigen. Und ich glaube, Unternehmen werden den Nutzen von Office-Fläche überdenken. Was sich nicht verändern wird: Die Menschen werden nach so einer Krise das Leben noch mehr geniessen wollen. Branchen wie Tourismus oder Live Entertainment sollten genauso stark wie zuvor oder noch stärker wieder zurückkommen.
Wie soll sich ein Anleger in dieser Krise positionieren?
Generell ist jetzt die Zeit für reale Vermögenswerte. Also Firmen, Immobilien, sogar Kunst. Denn bei der Behebung der Krise wird die Politik wiederum nicht ehrlich sein: Das ganze Geld, was jetzt links und rechts verteilt wird, wird ja nicht herbeigezaubert, sondern es ist das Geld der Bürger. Beziehungsweise die Schulden, die jetzt gemacht werden, sind die Schulden von uns allen. Irgendwann wird jeder einzelne Bürger diese Party bezahlen müssen. Weil man sich aber so weit wie möglich vor dieser unangenehmen Wahrheit wird drücken wollen, wird man dieses Problem geschickt durch Gelddrucken und Geldentwertung lösen. Und weil die Technologisierung des Alltags eher deflationär wirkt, wird man das auf der Konsumgüterebene nicht so sehr merken. Ich erwarte keine Hyperinflation bei den Konsumgütern, aber eben bei den Vermögenswerten. Wir werden spätestens ab 2021 den Börsenboom 2009-2019 'reloaded' sehen und vermutlich sogar noch deutlich stärker als beim letzten Mal.
Wird in diesem Umfeld auch der Bitcoin stark zulegen?
Ja, ich bin extrem bullish auf Bitcoin. Ich bin mir sicher, in fünf Jahren wird Bitcoin um ein Vielfaches höher stehen als heute.
Warum dominiert Bitcoin bei den Kryptowährungen?
Bitcoin ist die einzige legitime Kryptowährung, wobei ich es nicht einmal Währung nennen würde. Der Begriff ist irreführend, weil eine Währung immer das Hoheitsthema eines Staates sein wird. Bitcoin ist vor allem digitales Gold. Es ist inzwischen so im kollektiven Bewusstsein angekommen, dass es von den jüngeren Generationen eher als Wertspeicher gesehen wird als Gold. Wenn man das Fiat-Geld entwertet, erhöht sich der Wert des Wertspeichers automatisch relativ gesehen.
Worin liegt der Hauptunterschied zwischen Bitcoin und den anderen Token? (Eine Kryptowährung, die auf einer vorhandenen Blockchain oder einem bestehenden Protokoll aufgebaut ist, wird als Token bezeichnet, Anm. der Red.)
Man muss unterscheiden zwischen dem, was man gemein als 'Währung' beziehungsweise als Wertspeicher bezeichnet – und das ist dann am Ende nur Bitcoin – und Plattform-Token wie EOS oder Ethereum, die ja eine Entwicklerplattform repräsentieren. Bei den Plattformen favorisiere ich naturgemäss EOS, weil ich einer der grösseren Gesellschafter der Technologiefirma Block.One bin, die EOS entwickelt und auf den Markt gebracht hat.
An was wird denn bei Block.One gearbeitet?
Wir werden hier noch viele positive Überraschungen in den nächsten 12 Monate sehen. Insbesondere was das Social Media Projekt 'Voice' von Block.One anbelangt. Noch nie war eine Weiterentwicklung von Social Media wichtiger als heute, wenn ich sehe, dass Twitter & Co. anfangen, Meinungen zu zensieren, die der WHO-Meinung widersprechen. Übrigens die gleiche WHO, die immer noch das Tragen von Masken als nicht notwendig erachtet. Das Ziel von 'Voice' ist eine kryptobasierte Social Media Welt, die niemandem gehört und damit nicht manipuliert werden kann. Diese wird direkt in Konkurrenz stehen zu Twitter, aber auch Facebook.
Sie sind auch stark im Bereich Fintech engagiert. Welches sind hier momentan die wichtigsten Entwicklungen?
Ich bin nach wie vor sehr bullish auf Retail-Online-Broker. Die Negativzinsen drücken die Privatanleger in Aktien, und das sieht man seit Ende des letzten Jahres auch im traditionell aktienfeindlichen Deutschland. Und die Corona-Krise hat das nochmals verstärkt. Denn die Leute sind zu Hause und handeln mehr mit Aktien. Auch nach der Krise wird dieser Trend Bestand haben.
Inwiefern ist das traditionelle Bankgeschäft durch diese Entwicklung bedroht?
Die Antwort hat zwei Seiten: Die erfolgreichen Fintech-Unternehmen wie Online-Broker schneiden sich Marktanteile raus. Bei den Banken bleibt nur ein Rumpfgeschäft zurück. Aber es gibt auch die Entwicklung, dass aus Fintech-Unternehmen Banken und aus Banken Fintech-Unternehmen werden. Goldman Sachs ist eigentlich mittlerweile mehr ein Fintech-Unternehmen als eine Bank im althergebrachten Sinne. Die Fintech-Unternehmen liquidieren daher die Banken nicht, sondern die Unternehmenslandschaft verändert sich. Die Banken, die den Anschluss verpassen, werden schlussendlich in die modernisierten Unternehmen eingegliedert werden.
Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Investments liegt auf Biotech-Themen wie Anti-Aging und Neuroscience. Was überzeugt Sie an diesen Themengebieten?
Wir haben das Altern und den Tod aus unserer Gesellschaft und aus unseren Köpfen verdrängt. Corona führt uns gerade vor Augen, dass wir sterben können. Und, wie gesagt, ist Corona dabei nicht mal besonders riskant. Was es gefühlt erst schlimm macht, ist die reisserische Medienberichterstattung in der 24/7-Dauerschleife. Wenn die wirklich grossen gesundheitlichen Probleme die gleiche Medienaufmerksamkeit bekämen, würden wir alle verrückt werden. Beispiel: Etwa 50 Prozent aller Menschen werden im Laufe ihres Lebens Krebs bekommen. 50 Prozent! Und Krebs ist deutlich tödlicher als das Corona-Virus, vermutlich zirka 50-100 Mal so tödlich. Und die schlimmste Krankheit, der wir am Ende alle erliegen, ist das Altern und der Tod.
Wie meinen Sie das?
Ich bin mir sicher: Wir können und werden irgendwann in der Lage sein, Altern und Tod massiv aufzuschieben. Wenn wir die Milliarden, die wir gerade für nichts aus dem Fenster werfen, in Forschung gegen die wirklich grossen Killer unserer Zeit investieren würden, hätten wir innerhalb von 10 -20 Jahren Forschung die beste Rendite von allen: eine Lebensverlängerung von 5-10 Jahren bei bester Gesundheit für die ganze Menschheit.
Mit ihrer Biotech Firma ATAI konnten Sie neuerdings auch Ihren Freund Peter Thiel an Bord holen. Wie haben Sie ihn vom Marktpotenzial medizinischer Psychedelika überzeugen können?
Die Zahlen sprechen leider für sich. Mehr als 300 Millionen Menschen haben Depressionen, und es gibt aktuell kein Medikament, was wirklich dagegen hilft. Alles Vorhandene betäubt den Patienten lediglich, um es vereinfacht auszudrücken. Und mit Psychedelika haben wir zum ersten Mal ein potenzielles Heilmittel. Wir wollen schlussendlich alle ein glückliches, gesundes und langes Leben führen.