Die Konsequenzen aus dieser bundesrätliche Führungsschwäche heissen beispielsweise EU-Strategiepapier (SP), Resolution Schweiz-EU (Mitte) oder 3-Säulen-Aktionsplan (FDP).
Ausserdem will die politische Bewegung "Operation Libero" zusammen mit den Grünen eine Europa-Initiative lancieren und die Grünliberalen fordern ein Institutionelles Rahmenabkommen 2.0 oder einen EWR-Beitritt.
Für den Politologen Fabio Wasserfallen wurde jedoch die Führungsschwäche des Bundesrates im Europa-Dossier bereits im November 2018 offensichtlich. Damals habe die Landesregierung das praktisch fertig verhandelte Rahmenabkommen in die Konsultation geschickt und mit diesem Schritt das Heft aus der Hand gegeben.
Eine grosse Koalition nötig
Da habe es bereits angefangen, "dass jeder und jede Teile des Rahmenabkommens kritisierte", stellte Wasserfallen, Professor an der Universität Bern, fest. Nach dem Verhandlungsabbruch im Mai 2021 seien die Parteien und Interessenverbände dann dazu übergegangen, eigene Vorschläge und Ideen zur künftigen Beziehung mit der EU zu lancieren.
"Problematisch ist, dass dadurch die Bildung einer 'grossen Koalition' in der Schweiz mit allen grösseren Parteien - ausser der SVP - erschwert werden dürfte", sagte Wasserfallen gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Zwar sei die Paket-Idee des Bundesrates - also die Verhandlung von mehreren Dossiers wie beispielsweise Strom, Gesundheit und die institutionellen Fragen gleichzeitig - vernünftig. Denn dies mache es dem Bundesrat leichter, den Nutzen für die Schweiz herauszustreichen, sagte der Politologe weiter.
Doch das reiche nicht aus. Alle wüssten, dass eine Erweiterung der Beziehung mit der EU von einer sehr breiten innenpolitischen Koalition unterstützt werden müsse, "damit schlussendlich ein Verhandlungsergebnis zwischen der Schweiz und der EU bei einer Volksabstimmung eine Chance hat".
Ein innenpolitisches Problem
Eigentlich sei es ja die Aufgabe des Bundesrates, diese Koalition zu schmieden. "Doch, wenn im Vorfeld alle eigene Vorschläge präsentieren, wird es für die Parteien später schwieriger, sich mit Überzeugung hinter ein Verhandlungsergebnis zu stellen, welches nur teilweise ihren Vorstellungen entspricht."
Die Führungsschwäche des Bundesrates sei damit aber vor allem ein innenpolitisches Problem. Aussenpolitisch ist nach Meinung des Politologen die Kakophonie in der Schweiz beim Europa-Dossier hingegen kaum relevant.
Dies schwäche die Position des Bundesrates nicht, wie man vielleicht glauben könnte, "denn für die EU-Kommission ist nur die Schweizer Regierung ihr Ansprechpartner - niemand anders".
(AWP)