cash: Herr Chu, die Börsen in China liefen im letzten Jahr ausserordentlich gut, viel besser noch als anderswo. Warum?
Victor Chu: Das globale Wirtschaftswachstum hat an Fahrt gewonnen, und die chinesischen Märkte haben dies abgebildet wie viele andere Börsen auch. Die chinesische Wirtschaft ist mit 6,9 Prozent aber besser gewachsen als erwartet.
Haben die Risiken an den Märkten zugenommen?
Ja, und wir sind an einem Zeitpunkt angelangt, wo man vorsichtig sein sollte. Meiner Ansicht nach sind die Bewertungen auf langfristige Sicht nicht nachhaltig.
Aber die US-Steuerreform hat den Börsen nochmals Schub verliehen.
Das wird den Aktienmärkten für eine Weile Schub geben. Langfristig müssen Sie vorsichtig sein und die Risiken im Auge behalten: Es lauern politische und militärische Risiken auf der Korea-Halbinsel und im Mittleren Osten. Das macht mir Sorgen.
Wie nehmen Sie die Situation rund um Nordkorea wahr?
Die Gefahr ist wirklich die Unvorhersehbarkeit, wie die involvierten Persönlichkeiten handeln und reagieren. Niemand will natürlich einen Konflikt. Die Teilnahme von nordkoreanischen Athleten an den Olympischen Spielen in Südkorea ist zumindest ein gutes Zeichen. Der Norden beginnt sich zu engagieren. Jetzt müssten die Parteien an einen Tisch kommen. Die Schweiz und andere europäische Ländern könnten mithelfen und vermitteln.
Erwarten Sie eine Korrektur an den Börsen?
Der Aktienmarkt ist reif für eine Pause. Nach einer Konsolidierung müssen wir schauen, inwiefern sich die geopolitischen Risiken nachlassen.
Wann würde die Korrektur eintreten?
Ich denke, der Markt wird eine Korrektur haben auf fundamentaler Basis. Diese sehe ich in den nächsten drei bis sechs Monaten.
Was könnte eine solche Korrektur auslösen, wenn es nicht geopolitische Gründe sind?
Die Zinsen in den USA und Europa werden steigen, andere Länder werden folgen. Die Investoren werden auch zu Gewinnmitnahmen schreiten. Die Bewertungen einiger Technologie-Aktien sind nicht aufrechtzuerhalten. Gerade bei diesen Aktien müssen die Fundamentaldaten wieder in den Vordergrund rücken.
Was sollten Anleger nun tun?
Viele Investoren sitzen auf vielen Buchgewinnen. Da sollte man ruhig einige Gewinne mitnehmen. Es ist nicht die Zeit, Aktien zu jagen. Aber ich kann auch falsch liegen. Es ist mein persönliches Gefühl.
Investieren Sie derzeit noch?
Ja, in erneuerbare Energien und Impact Investments. Ich lege das Geld auch im Wellness-Bereich an und in Unternehmen, die von der wachsenden Mittelklasse profitieren.
Global gesehen oder in Asien?
Global. Es gibt nicht mehr so viele Unterschiede zwischen dem chinesischen Markt und anderen Handelsplätzen. Die grossen kotierten chinesischen Firmen in Hongkong sind die in globale Entwicklung eingebunden.
Viele Experten sagen, dass die Verschuldung in China könnte eine neue globale Finanzkrise auslösen. Einverstanden?
Diese Bedenken teile ich nicht. Der Grossteil der chinesischen Schulden beschränkt sich auf den Heimmarkt. Die äusseren Schulden sind mehrheitlich unter Kontrolle, wegen der Anti-Korruptionsmassnahmen und wegen der genaueren Überprüfung von Fremdinvestitionen der chinesischen Gesellschaften. Die Regulatoren in verschiedenen Ländern, wo China-Firmen investieren, haben diesbezüglich die Aufsicht verschärft. Das hat die chinesischen Investitionstätigkeiten gebremst, was wiederum die Verschuldungssituation der Firmen verbessert hat.
Victor Lap Lik Chu ist seit 1988 CEO und Chairman der First Eastern Investment Group in Sitz in Hongkong. Sie ist eine der führenden Investmentgesellschaften in China, die sich auf Venture Capital und insbesondere auf die Finanzierung von Unternehmensexpansionen spezialisiert. Chu wurde 1957 in China geboren und kam in Alter von vier Jahren nach Hongkong. Er besitzt die britische Staatsbürgerschaft. Von 2008 bis 2014 war Chu Verwaltungsrat bei der Zurich Insurance Group.