Frau Leuthard – wir treffen uns bei den Pitches für den Green Business Award. Ein Herzensprojekt von Ihnen?
Doris Leuthard: Ja, denn in der Politik hatten wir immer die Vorstellung: Wir machen die Gesetze und dann geht alles automatisch. Die Leute befolgen, was wir gerne hätten. Das ist aber nicht immer so. In der Wirtschaftswelt braucht es Leute, die vorangehen. Gerade in Bezug auf Green Business gab es in der Schweiz lange Vorurteile: zu grün, zu viele Kostenfaktoren, nicht profitabel. Mit diesem Award beweisen wir das Gegenteil: Wir suchen innovative und zukunftsfähige Lösungen.
Gibt es Lieblinge?
Nein – und ich möchte auch keine. Auch heute haben wir komplett unterschiedliche Lösungen dabei, von der Verpackungs- bis zur Betonindustrie, von Drohneneinsätzen in Bezug auf Pestizide bis zu Lösungen für meteorologische Voraussagen. Die Themen sind so divers und zeigen, dass wir eigentlich in jedem Bereich der Wirtschaft und des Lebens etwas optimieren können.
Die Finalisten des Green Business Award:
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Was braucht es also, dass man überzeugen kann?
Unseren Award gibt es nicht einfach so. Unsere nominierten Unternehmen sind auf dem Markt, ihre Produkte sind beim Kunden. Sie haben bewiesen, dass sie nachhaltig und profitabel sind. Das ist die grosse Leistung, und das wollen wir honorieren.
Nachhaltige Ideen brauchen Zeit und Mut. Sie benötigen Investitionen und sie sind ein Kostenfaktor. Wie können Unternehmen hier ein Gleichgewicht erreichen?
In der Schweiz sind wir nicht so risikofreudig. Das macht beispielsweise das Silicon Valley vorbildlich. Wir beharren auf unserer Versicherungsmentalität. Viele Unternehmer merken das bereits bei der Bank, wenn sie sich klassisch finanzieren lassen möchten – und keine Finanzierung erhalten. Dann rühren sie ihr Pensionskassenkapital an und gehen so ein Risiko für sich ein. Was Innovatoren brauchen, sind Beziehungen in die Wirtschaft.
So wie Ihre Jury?
Ja. Hier in unserer Jury haben wir spannende Leute – auch Leute mit Geld. Das ist ein Netzwerk, das wir zur Verfügung stellen. Und die drei Finalisten können sich dann am Swiss Sustainability Forum vorstellen, das eröffnet neue Möglichkeiten. Aber es stimmt schon, alleine ist es sehr schwierig, eine tragbare Lösung zu finden und sich am Markt zu etablieren.
Wie viel macht da die Politik? Bräuchte es harte Regeln für die Förderung des grünen Bereichs?
Der Bund hat Innosuisse, welche Forschung mitfinanziert und mit der Maschinenindustrie gross geworden ist. Sie ist noch immer recht klassisch unterwegs, erschliesst aber auch langsam den digitalen und den Bereich der Umweltlösungen. Es hatte aber bis jetzt nicht Priorität. Innosuisse ist in Bezug auf Umweltlösungen oft auch nicht das richtige Instrument. Es bleibt also bei den Banken und Versicherungen.
Jury Green Business Award
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Also keine politische Lösung?
Es ist wirklich schwierig. Es gibt etwa den Umwelttechnologiefonds, eine gute Lösung, nicht mit allzu vielen Ressourcen ausgestattet. Aber da müssen die Unternehmen etliche Voraussetzungen erfüllen. Wir liefern mit dem Fonds zwar Unterstützung, aber keine grossen Beiträge. Es ist schlicht so, die Anfangszeit für neue innovative Umweltprodukte ist einfach hart. Obwohl viele Menschen umweltsensibel sind, entscheidet man sich allzu oft für ein günstigeres, konventionelles Produkt.
Stichwort Energie und gegebene Aktualität in Bezug auf den Krieg in der Ukraine und eventuellen Strommangel – stehen die Teslas im Winter still?
Aktuell fliesst das Gas noch. Aber bei Putin weiss man nie, was noch kommt. Es ist natürlich ein blöder Zufall, dass in Frankreich gerade viele Atomkraftwerke stillstehen – das kann im Winter effektiv in einem Strommangel enden. Ich finde es deshalb gut, ruft der Bund dazu auf, sparsamer mit dem Strom umzugehen, und erstellt Notfallszenarien. Schlussendlich muss die Industrie laufen. Strom ist wichtig und wir müssen priorisieren.
Atom wird wieder lauter gefordert – gar als grün eingestuft von den EU-Kommissionen.
Wissenschaftlich gesehen ist Atomstrom nie grün. Es ist besser als Kohle, weil praktisch kein CO2 freigesetzt wird. Aber über Kosten müssen wir nicht reden. Ich bin froh, haben wir seinerseits entschieden, unsere AKW laufen zu lassen. Heute hilft jedes Jahr, in denen sie aktiv sind. Aber ich glaube nicht, dass Atom wiederkommt.
Das heisst, aus heutiger Sicht würden Sie die gleichen Entscheidungen treffen?
Der Bau eines AKW war damals teuer und kostet heute noch mehr. Wir müssen uns also keine Illusionen machen. Ausserdem: Hätten wir uns damals für ein Atomkraftwerk entschieden, dann wären wir heute in der Baubewilligungsphase. Also ja, ich bin überzeugt, es war richtig für die Schweiz. Andere Staaten haben eine andere Ausgangslage – aber kostenmässig und angesichts der Alternativen ist und war das die richtige Lösung. Aber es stimmt schon, es ist jetzt gerade wirklich unglücklich mit der gesamten Situation.
Mit dieser unangenehmen Situation: Fördert das die Innovationskraft oder bremst es sie und werden Stimmen laut, die wieder Kohle und Atom fordern – und nachhaltige Ideen verteufeln?
Wer so denkt, denkt nur kurzfristig. Jede Krise stärkte die Innovationskraft – auch die Finanzkrise. Wir haben ganz viele Unternehmen, die genau dann nachdenken und tüfteln, denn Not macht erfinderisch. Die Bevölkerung und das Unternehmertum werden sensibel. Beispielsweise möchten jetzt viele Eigenheimbesitzer eine Wärmepumpe. Es ist halt einfach immer teurer in einer Krise, als wenn man es vor zwei oder drei Jahren angegangen wäre. Typisch Schweiz: Man schiebt es so lange auf, wie es geht – stellt dann aber meist schnell um, selbst wenn es teurer ist.
Dieses Interview erschien zuerst in der "Handelszeitung" unter dem Titel: "In der Schweiz sind wir nicht so risikofreudig"