Die Futures-Kurven für Rohöl befanden sich im vergangenen Jahr meistens im Rückwärtsgang, was den Anlegern eine Rendite bei der Verlängerung ihrer Kontrakte einbrachte – zusätzlich zu den Gewinnen, die sie aus den Spotpreisbewegungen beim Öl erzielt haben. "Ein Anleger hätte 44% durch die Preisentwicklung und 9% an Rollrenditen gewonnen, wenn er für ein Jahr bis September 2018 in eine Front-Month-Brent-Strategie investiert hätte", analysiert Nitesh Shah, Director Research bei WisdomTree. Die Backwardation sei durch die kurzfristig als knapp wahrgenommene Angebotslage angetrieben worden.
OPEC hält Quoten zuverlässig ein
Herbeigeführt sei die Backwardation weitgehend von der Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC), denkt Shah. Seit Januar 2017 beschränkt das Ölkartell die Ölversorgung, indem es seinen Mitgliedern und Partnern ein Kontingent für die von ihnen produzierte Ölmenge zuweist. "Zwar hat das Kartell in der Vergangenheit Quoten schlecht eingehalten; aber diesmal geht es ausserordentlich zuverlässig damit um", erklärt er. Ein Grund dafür sei der wirtschaftliche Zusammenbruch in Venezuela. Dessen Öl-Produktion gehe stark zurück, während andere OPEC-Mitglieder ihre Produktion bis vor kurzem nicht erhöht hätten. Im Moment glaubt Shah, dass der globale Ölmarkt im Gleichgewicht ist. Doch obwohl die OPEC die Produktion ausbaue und die Förderung von US-Schieferöl weiter zunehme, sei dieses Gleichgewicht fragil. "Es braucht nach Libyen und Kanada nur einen weiteren Angebotsschock, um die Versorgung in Frage zu stellen", konstatiert er.
Sanktionen könnten globale Ölversorgung erschweren
Eine potenzielle Quelle der Verschärfung seien die Sanktionen der USA gegen den Iran. Die USA haben den anderen Ländern eine Frist bis Anfang November gesetzt, um sich dem Embargo bei der Einfuhr von iranischem Öl anzuschliessen. Zwischen 2016 und 2017 trug der Iran einen grossen Teil zum Wachstum der OPEC-Förderung bei. In den letzten Monaten ist die Produktion allerdings zurückgegangen. "Die iranische Produktion könnte weiter zurückgehen, wenn die Sanktionen streng durchgesetzt werden", meint Shah.
Die iranischen Exporte nach Japan und Indien sind bereits rückläufig. Vorerst erwartet Shah aber, dass die chinesischen Behörden die Sanktionen der USA weitgehend ignorieren. Allerdings könnte sich auch China als grösster Importeur von iranischem Öl veranlasst sehen, das Land abzuschotten. "Ein Handelsabkommen mit den USA könnte die Einhaltung der Sanktionen als Voraussetzung beinhalten", folgert der Director Research. Selbst wenn es kein Handelsabkommen gäbe, wäre der Einflussbereich der USA gross. Sinopec – eine chinesische staatliche Ölraffinerie – hat Berichten zufolge auf Druck der USA die iranischen Importe reduziert. "Um die Situation zu verschärfen, könnte der Iran den Transportweg durch die Meerenge von Hormus blockieren, was die globale Ölversorgung weiter erschweren würde", befürchtet Shah.
Wachstum wird durch Infrastruktur begrenzt
Obwohl die Handlungsweise der OPEC schwer vorhersehbar sei, bezweifelt er, dass die Gruppe in einen Zustand ohne Quoten, wie zwischen 2014 und 2016, zurückkehren werde. Keines der Mitgliedsländer wolle eine Situation wie im Jahr 2014, als der Ölpreisverfall so stark war, dass die wirtschaftliche und finanzielle Verfassung der OPEC-Staaten gefährdet war. Ein Zuschauer der Situation in Venezuela zu sein, sei schon schmerzhaft genug.
Der Hauptteil des globalen Angebotswachstums liege im US-Tight Oil, meint Shah. Aber auch mit dieser Quelle gebe es Grenzen des Wachstums. Die Infrastruktur müsste im Gleichschritt mit dem Wachstum der Ölproduktion wachsen. "Der hohe Preisnachlass, den WTI Midland auf WTI Cushing gewährt, zeigt, dass es in den Produktionsregionen ein Überangebot an Öl gibt, das aber nicht schnell genug an die richtigen Orte gelangt", erläutert Shah. Die limitierte Infrastruktur könnte das Tempo verlangsamen, mit dem die US-Schieferölproduktion zur Deckung des globalen Ölbedarfs beitragen kann.