Nach Schüssen auf ein UN-Fahrzeug erhöhen die USA derweil den Druck auf Israel. Der Verbündete habe den Vorfall mit einem Kommunikationsfehler zwischen den Streitkräften erklärt, sagte der stellvertretende amerikanische UN-Botschafter Robert Wood bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates.

Impfungen gegen Kinderlähmung sollen in Gaza beginnen

Nach der Entdeckung von Polio-Viren im Abwasser hatten die Vereinten Nationen entschieden, etwa 640.000 Kinder unter zehn Jahren im Gazastreifen zu impfen. In drei Teilen des abgeriegelten Küstenstreifens sollen hierzu ab diesem Sonntag nacheinander an jeweils drei Tagen die Kämpfe von morgens bis nachmittags eingestellt werden, sagte der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO in Gaza, Rik Peeperkorn. Er berief sich auf eine Zusage der für Palästinenserangelegenheiten zuständigen israelischen Behörde Cogat.

EU-Chefdiplomat Josep Borrell sagte nach einem EU-Aussenministertreffen in Brüssel: «Hoffen wir, dass es nicht zu spät ist. Hoffen wir, dass dieser Hoffnungsschimmer in einem Meer der Verzweiflung Leben retten und die Tragödie verhindern kann, dass Kinder an Polio erkranken.» Das Forum der Angehörigen der israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas drängte in einem Brief an die WHO darauf, dass auch die entführten Kinder geimpft werden.

Polio ist eine ansteckende Infektionskrankheit, die vor allem bei Kleinkindern dauerhafte Lähmungen hervorrufen und zum Tod führen kann. Eine Heilung gibt es bisher nicht.

USA erhöhen nach Schüssen auf UN-Fahrzeug Druck auf Israel

Nach Schüssen auf ein UN-Fahrzeug am Dienstag hatten die Vereinten Nationen Aufklärung von Israel gefordert. Das deutlich gekennzeichnete Fahrzeug sei Teil eines Hilfskonvois gewesen, dessen Fahrt mit der israelischen Armee koordiniert worden sei. Es sei zehnmal von israelischen Schützen beschossen worden. «Wir haben sie aufgefordert, die Probleme in ihrem System, die dies ermöglicht haben, unverzüglich zu beheben», sagte Wood.

Doch auch fast elf Monate nach Beginn dieses Konflikts seien solche Vorfälle «noch immer allzu häufig», sagte er in New York. Auch die scharfe Rhetorik aus Israel gegen die UN und humanitäre Helfer müsse aufhören.

In der EU werden unterdessen erstmals Sanktionen gegen israelische Regierungsmitglieder geprüft. Chefdiplomat Josep Borrell legte zu einem Aussenministertreffen in Brüssel einen Vorschlag für Strafmassnahmen gegen die rechtsextremen Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir vor.

Ihnen werden Menschenrechtsverletzungen und Aufstachelung zum Hass vorgeworfen. Ben-Gvir hatte sich zuletzt unter anderem dafür ausgesprochen, Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu stoppen, um die islamistische Hamas zum Aufgeben zu bewegen. Ähnlich äusserte sich Smotrich. Er bezeichnete eine mögliche Blockade von Hilfsgütern bis zur Freilassung aller israelischen Geiseln als moralisch und gerechtfertigt, selbst wenn dies den Hungertod von zwei Millionen Menschen im Gazastreifen bedeute. Zugleich räumte Smotrich ein, dass die internationale Gemeinschaft ein solches Vorgehen nicht zulassen würde.

Derweil hat Israels Armee den Einsatz im Flüchtlingsviertel Faraa im Norden des Westjordanlands nach eigenen Angaben beendet. Wie lange sie noch in den Orten Dschenin und Tulkarem gegen militante Palästinenser vorgehen wird, dazu machte die Armee zunächst keine Angaben. Israelischen Medienberichten zufolge könnte der Einsatz mehrere Tage andauern. Bislang wurden nach palästinensischen und israelischen Angaben mindestens 16 Menschen getötet. Israel hatte den Grosseinsatz in der Nacht zum Mittwoch begonnen.

Schon mindestens 16 Tote im Westjordanland

Ein israelischer Armeesprecher begründete das Vorgehen mit der deutlich gestiegenen Anzahl von Anschlägen auf Israelis. Zugleich hat auch die Gewalt extremistischer israelischer Siedler in dem besetzten Palästinensergebiet zugenommen. Die Lage hat sich seit Beginn des Gaza-Kriegs nach dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober deutlich verschärft. Seitdem wurden bei israelischen Militäreinsätzen, Konfrontationen oder eigenen Anschlägen nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Westjordanland 640 Palästinenser getötet.

Israels aktueller Grosseinsatz berge nach Ansicht von Militäranalysten strategische Risiken für Israel, schrieb das «Wall Street Journal». Israels Streitkräfte seien durch die seit fast elf Monaten andauernden Kämpfe gegen die Hamas im Gazastreifen und den Konflikt mit der ebenfalls vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz im Libanon stark belastet. Das Militär stütze sich in hohem Masse auf Reservisten, die von Israels längstem Krieg seit Jahrzehnten erschöpft seien, hiess es. Das Westjordanland drohe neben Gaza und dem Konflikt mit der Hisbollah-Miliz im Libanon zu einer dritten Front für Israels überlastetes Militär zu werden.

Israels Verteidigungsminister schlägt Erweiterung der Kriegsziele vor

Derweil sagte Israels Verteidigungsminister Joav Galant mit Blick auf die Lage im Grenzgebiet zum Libanon, es sei nötig, die Kriegsziele zu erweitern. «Wir müssen die sichere Rückkehr der nördlichen Gemeinden in ihre Häuser gewährleisten. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Ziele des Krieges erweitern», sagte er bei strategischen Beratungen mit Militärs. «Dies wird unser absolutes Engagement für die Zerschlagung der Hamas und die Rückkehr der Geiseln nicht schmälern», sagte Galant laut seines Büros.

Nach erneutem Beschuss durch die Hisbollah griff die israelische Luftwaffe in der Nacht mehrere Raketenwerfer der Miliz an, wie die israelische Armee am frühen Morgen mitteilte. Ein aus dem Libanon auf Israel abgefeuertes Geschoss sei auf offenem Gelände eingeschlagen. Es seien keine Verletzten gemeldet worden, hiess es. Die übrigen Geschosse seien nicht in israelisches Gebiet eingedrungen. Unabhängig liess sich das nicht überprüfen.

Israel und die vom Iran unterstützte Hisbollah liefern sich seit Beginn des Gaza-Kriegs nahezu täglich Gefechte. In Orten beiderseits der Grenze mussten rund 150.000 Menschen ihre Häuser deswegen verlassen. Die Schiitenmiliz handelt nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der Hamas. Israel will, dass sich die Hisbollah hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es eine UN-Resolution vorsieht./ln/DP/zb

(AWP)