Hintergrund der Beschwerde ist eine seit dem 1. Juli geltende Neuerung im nördlichen Nachbarland. Seit Beginn des Monats können Patienten in Deutschland nämlich ihr E-Rezept deutlich vereinfacht einlösen. Aber eben nur in stationären Apotheken, wie DocMorris moniert. Sie brauchen dazu einfach nach dem Arztbesuch in der stationären Apotheke ihrer Wahl ihre digitale Versichertenkarte (eGK) in ein Gerät stecken und schon erhalten sie ihr Medikament. Eine PIN wird zur Identifizierung nicht benötigt.
Komplizierter ist es, wenn sie das Medikament über ein E-Rezept direkt von ihrem Arzt via App über eine Versandapotheke nach Hause geliefert bekommen wollen. Um ein E-Rezept bei einer Online-Apotheke vollständig digital einzulösen, braucht es nämlich die App von der für die Einführung des E-Rezepts zuständigen Gesellschaft Gematik. Zudem benötigt der Versicherte eine PIN zur eGK und die Funktion des kontaktlosen Datenaustausches über die Nahfunktechnik NFC.
Vielen Versicherten ist dies offenbar zu kompliziert und DocMorris sieht sich benachteiligt. Ein Sprecher der Thurgauer Gruppe verwies im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP auf die "verschwindend kleine" Zahl der App-Nutzer gemessen an allen Versicherten in Deutschland. Die Downloadzahlen der Gematik-App würden dies klar belegen.
Beschwerde eingereicht
Das Ostschweizer Unternehmen sieht sich in Deutschland also strukturell klar benachteiligt. Dazu kommt, dass beim nördlichen Nachbar ein Verbot für Preisnachlässe bei verschreibungspflichtigen Medikamenten herrscht.
Versandapotheken sei es also nicht möglich, die durch den Versand entstehenden Mehrkosten durch Preisnachlässe auf rezeptpflichtigen Medikamente zu kompensieren, so der DocMorris-Sprecher. Dabei sei ein solches Verbot (Bonusverbot) in der EU gar nicht zulässig. Man habe dieses in Deutschland einfach in einen Gesetzesbereich verortet, wo die EU keinen Zugang habe.
In einem entsprechenden Verfahren erkannte EU-Kommission denn auch an, dass das Bonusverbot gegen EU-Recht verstösst. Dennoch wurde ein entsprechendes Verfahren eingestellt. Die EU forderte dafür bei der Einführung des E-Rezepts einen diskriminierungsfreien Zugang zur entsprechenden Infrastruktur für Online-Apotheken. Es sei also ein Deal gemacht worden, der den Nachteil von Versandapotheken durch das Bonusverbot hätte wettmachen sollen, sagte der Sprecher weiter.
Mit der gesetzlichen Anpassung vom 1. Juli sieht DocMorris nun aber diesen Deal gebrochen und hat daher mit dem grössten Konkurrenten Redcare Pharmacy (ehemals Shop Apotheke) eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Entweder müsse das Bonusverbot fallen oder der Zugang zum volldigitalen Arztrezept erleichtert werden, sagte der DocMorris-Sprecher. Auch beim deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach sei eine entsprechende Beschwerde deponiert worden.
Offene Fragen
Spätestens zum 1. Januar 2024 erhofft sich DocMorris damit ein vereinfachtes Einlöseverfahren des E-Rezepts auch für Online-Apotheken. Ab dann soll in ganz Deutschland das E-Rezepts verpflichtend kommen. Zwar gibt es ein entsprechendes Gesetz bereits seit 2022. Die Ärzte in Deutschland können sich aber noch darauf berufen, dass ihnen für das E-Rezept die technische Ausrüstung fehlt. Ab 2024 sind sie dann aber verpflichtet, eine solche zu haben.
Aber auch das biete noch keine Garantie. Denn die Ärzte könnten sich auch dann noch auf technische Probleme berufen, die eine Verschreibung des E-Rezepts gerade verunmöglichten, erklärte der DocMorris-Sprecher. Noch gibt es also viele offene Fragen um das E-Rezept. Die ZKB spricht im Hinblick auf den 1. Januar 2024 gar von "unkontrollierbaren Risiken".
Die aktuell noch herrschende Benachteiligung der Online-Apotheken werde mit der Beschwerde verdeutlicht, so der zuständige ZKB-Analyst. In einem Basis-Szenario geht er davon aus, dass das Papierrezept erst 2025 vollständige durch das E-Rezept abgelöst werde. Dann rechnet er allerdings für DocMorris mit einem Umsatzanstieg von 50 Prozent gegenüber 2023. Den Aktienkurs sieht er für die kommenden Monate weiterhin volatil.
Am Donnerstag um 10.55 Uhr notieren die DocMorris-Aktien 1,8 Prozent höher auf 43,26 Franken. Damit knüpfen sie an die bisherige Erholung im laufenden Jahr von gut 66 Prozent an. Im Vorjahr verloren die Aktien aber auch fast 90 Prozent.
jl/jb