Ich hatte vor einiger Zeit das Vergnügen, in einer deutschen Fachpublikation das Drei-Säulen-System der Schweiz zu erklären. Ob es wirklich ein Vergnügen war? Mit Sicherheit war es eine Herausforderung, obschon ich 10'000 Zeichen dafür zur Verfügung hatte. Zum Vergleich: Die «Gopfried Stutz»-Kolumne hat rund 2700.
Wenn man sich über 20 Jahre eifrig mit dem Vorsorgesystem befasst, besteht das Risiko, das Wesentliche und vor allem das Besondere aus den Augen zu verlieren.
Es war deshalb hilfreich, mit den verantwortlichen Redakteuren – so nennt man Redaktoren im Nachbarland – ein Vorgespräch führen zu können, ein sogenanntes Briefing. Zwei schweizerische Besonderheiten fielen den deutschen Kollegen auf, auf die ich doch ein besonderes Augenmerk richten möge.
Zum einen ist das die Finanzierung der AHV, der ersten Säule. Das Besondere besteht darin, dass die Lohnabzüge auf dem ganzen AHV-Lohn berechnet werden. Für uns Eidgenossen mag das selbstverständlich sein. Doch es ist ein Unikum und für eine Sozialversicherung untypisch.
Der Beitragssatz beträgt 10,6 Prozent; je zur Hälfte durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu bezahlen. Verdient eine Person eine Million Franken pro Jahr, so fliessen insgesamt über 100'000 Franken in die AHV. Grossverdiener werden später nicht annähernd so hohe Renten ausbezahlt bekommen, wie sie einbezahlt haben. Das kann man nicht oft genug wiederholen. Über diese Besonderheit können wir wahrlich stolz sein.
Die zweite Besonderheit heisst Demokratie. Ich sagte im Briefing, unser Sozialversicherungssystem wäre besser, einfacher, transparenter, wenn nicht das Volk stets das letzte Wort hätte. Worauf ein Redakteur meinte: «Mir war nicht bewusst, wie sehr das schweizerische System basisdemokratischen Sachzwängen unterliegt.»
Als erstes Beispiel nannte ich die AHV-Abstimmung von 2004. Hätte hier das Volk nicht das letzte Wort gehabt, hätten wir schon seit bald 20 Jahren auch für Frauen Rentenalter 65. Witwen, die nie Kinder hatten, hätten beim Tod des Gatten keinen Anspruch auf eine Hinterlassenenrente, wie es heute immer noch der Fall ist. Ob wir auch darauf stolz sein sollen?
Ich erwähnte auch die Abstimmung «Altersvorsorge 2020», die im September 2017 an der Urne gescheitert war. Das AHV-Alter ist zwar inzwischen angepasst worden, aber zu einem hohen Preis. Derweil die BVG-Revision noch immer nicht gesichert ist.
Ja, unser Sozialversicherungssystem ist das Ergebnis «basisdemokratischer Sachzwänge», wie es der Redakteur formulierte. Ob wir auch das gut finden sollen? Ansichtssache.
2 Kommentare
"Wer nichts heiratet und nichts erbt,
bleibt ein armes Luder, bis er sterbt."
Deutsches Sprichwort
'Ab 1. Januar 2023 gelten neue Rechengrößen in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung. Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung steigt auf 59.850 Euro im Jahr (monatlich 4.987,50 Euro) und die Versicherungspflichtgrenze steigt auf jährlich 66.600 Euro (monatlich 5.550 Euro)."
Neue Beitragsbemessungsgrenzen für 2023
Seit dem 1. Januar 2023 gelten neue Rechengrößen in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung. Sie werden wie jedes Jahr an die Einkommensentwicklung angepasst. Damit wird gewährleistet, dass die soziale Absicherung stabil bleibt.
Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg…
Bessere Illustration - die Abstimmung vom Sept. '22: die Frauen-Altersgrenze wurde erhöht, massiv mit Subventionen versüsst, aber das Volk musste, wenn es wollte, beides zusammen annehmen: die Erhöhung und die MWST-Finanzierung dazu. Das Volk bestellte und bezahlte - gleichen tags.