Laut Medienberichten soll Professor Jean-Pierre Danthine in seinem – vermutlich – letzten Referat als SNB-Vize erklärt haben, warum die Nationalbank Mitte Januar den Mindestkurs fallen liess. Wer das Referat liest, merkt schnell, dass Danthine gar nichts erklärt hat.
Der meist zitierte Satz war der: «Die Fiktion, dass eine unbegrenzte Erhöhung der SNB-Bilanz risikolos ist, widerspricht dem gesunden Menschenverstand und ist vor allem in Akademikerkreisen anzutreffen.» Und ein weiterer Kernsatz: «Die Fortführung der Mindestkurs-Politik hätte eine permanente, möglicherweise unkontrol- lierbare Ausweitung der SNB-Bilanz bedeutet.»
Im weiteren Verlauf des Referats hat Danthine diese Behauptung immer wieder variiert. Etwa so: Eine Normalisierung der Geldpolitik mit einer Bilanz, die sich auf ein Mehrfaches des BIP beläuft, wurde bisher noch nie durchgeführt und dürfte alles andere als ein Spaziergang sein. Ein Ausstieg, der nicht optimal kontrolliert werden kann, birgt erhebliche Risiken für die Preisstabilität und könnte mit geldpolitischen Ausschlägen verbunden sein, die sich für die Schweizer Volkswirtschaft als äusserst kostspielig erweisen dürften. Oder so: «Alles in allem ist es klar, dass eine unkontrollierbare Ausweitung der Bilanz die SNB in der langen Frist ernsthaft in der Fähigkeit eingeschränkt hätte, ihre Geldpolitik wirksam zu führen und ihr Mandat zu erfüllen, Preisstabilität zu gewährleisten.»
Angstmacherei statt Erklärung
Mit Verlaub, das ist keine nachvollziehbare Erklärung, sondern Angstmacherei. Zunächst fällt auf, dass in Danthines Logik, die Gegenseite gar nicht vorkommt. Die SNB erhöht ihr Bilanz nicht unilateral, sondern deshalb, weil ihr Spekulanten Wertpapiere gegen Franken anbieten und auf eine weitere Kurssteigerung hoffen. Für Sie ist eine Erhöhung ihrer Position auch nicht risikolos. Der gesunde Menschenverstand, den Danthine anspricht, müsste auch dies verstehen.
Wie riskant die Position für die eine oder andere Seite ist, hängt nicht zuletzt davon ab, auf welcher Höhe die SNB den Mindestkurs fixiert. Es muss ja nicht unbedingt 1.20 Franken sein. Auch ein Kurs von 1.10 wäre für die Schweizer (Export)Wirtschaft mit viel weniger Risiko verbunden gewesen als die Freigabe. Schliesslich kommt es auf das Gesamtrisiko, nicht bloss auf das der SNB. In Danthines Referat kommt die Option, einen tieferen Mindestkurs zu fixieren, bezeichnenderweise nicht vor. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es das Direktorium sträflicherweise unterlassen hat, diese Möglichkeit überhaupt in Erwägung zu ziehen. Die Frage wird vermutlich noch die Historiker beschäftigen.
Doch kommen wir auf den Danthines gesunden Menschenverstand zurück. Der sagt uns, dass das Risiko für die Gegenpartei bei einem realistischen Mindestkurs viel höher ist. Sie verlieren nicht nur den Strafzins, sondern auch den Ertrag auf den Wertschriften, die sie der SNB verkaufen müssten. Zusammen sind das gut 2,5 Prozent jährlich. Das rechnet sich auch dann nicht, wenn die SNB den Franken in zwei Jahren erneut um 5 Prozent aufwertet, bzw. den Mindestkurs auf 1.048 senkt.
Aus dieser Optik ist eine Bilanzsumme, «die sich auf ein Mehrfaches des BIP beläuft», reine Angstmache. Und selbst, wenn die SNB dereinst eine Bilanzsumme von 1000 Milliarden Franken abtragen müsste, wo ist das Problem? Theoretisch könnte die Spekulanten ihre Frankenguthaben gegen Schweizer Ware oder Immobilien tauschen damit Inflation auslösen. Dies aber würde den Franken schwächen. Die SNB könnte dann ihre Devisenguthaben mit Gewinn verkaufen und damit die Geldmenge wieder verringern. Zu einfach gedacht? Kann sein, aber dann hätte uns Danthine erklären müssen, wo denn die Gefahr liegt.
Gegen Ende des Referats sagte Danthine auch noch dies: «Das aktuelle Umfeld und die geldpolitischen Entscheide der SNB in den letzten Jahren haben das Informationsbedürfnis der politischen Behörden, der öffentlichkeit und der Finanzmärkte deutlich vergrössert; dies erfordert von Seiten der SNB mehr Erklärungen und eine erhöhte Transparenz.»
Wir warten. Aber vielleicht müssen wir bloss deshalb so lange auf Transparenz warten, weil das SNB-Direktorium selbst den Durchblick längst verloren hat.