"So viel ist sicher, an das Anlagejahr 2022 wird sich niemand gerne zurückerinnern." Das meint die St. Galler Kantonalbank auf der Einladung zum Medienfrühstück von vorletzter Woche. Ist das wirklich so sicher? Wirklich niemand? Mit Odysseus könnte ich nun sagen: Ich heisse Niemand.
Ich dürfte aber nicht der Einzige sein, der sich gerne ans Anlagejahr 2022 zurückerinnern wird. Viele andere Kleinanleger werden es auch tun: All jene, die auf die Korrektur gewartet haben, um sich mit Aktien einzudecken, die Monate zuvor noch 20 Prozent teurer waren.
Thomas Stucki ist Anlagechef bei der St. Galler Kantonalbank. An der Medienorientierung präzisiert er die eingangs zitierte Aussage: Ein Schock wie 2008 beim Konkurs von Lehman Brothers sei ausgeblieben, sagt er. Die Verluste bei den Aktien hielten sich im Rahmen. Schmerzhafter sei die Korrektur am Obligationenmarkt gewesen.
Obligationen? Hat ein Kleinanleger wie ich Obligationen im Portefeuille? Selber schuld. Ich habe wiederholt behauptet, im Umfeld von negativen Zinsen seien Obligationen für Privatanleger nicht interessant. Für institutionelle Anleger wie Pensionskassen und andere Grossinvestoren mag das anders sein.
Ja, wer an der Jahresperformance gemessen wird und diese dem Stiftungsrat oder dem Verwaltungsrat rechtfertigen muss, wird sich nicht gerne ans Anlagejahr 2022 zurückerinnern. Aber eben: Kleinanlegern kann die Jahresperformance egal sein. Sie müssen sich höchstens ärgern, wenn sie nach der Korrektur ihre Aktien abgestossen haben, statt welche zu kaufen und von den tieferen Kursen zu profitieren.
Gewiss: Es kann wieder hinuntergehen. Vor einem Börsencrash ist man nie gefeit. Sollte aber die St. Galler KB recht behalten, so stehen die Zeichen gut. In der zweiten Jahreshälfte 2023 dürfte sich die Konjunktur erholen, und die Aktienmärkte werden diese Erholung vorwegnehmen. Mit dieser Einschätzung sind die St. Galler nicht allein. Das ist Mainstream.
Und was ist jetzt mit der Inflation? Ist diese nicht Gift für Aktienmärkte? Die Antwort lautet Jein. Nicht die Inflation ist das Problem, sondern die Inflationserwartung. Und schlecht sind vor allem steigende Inflationsraten.
Hohe Inflationsraten von über 3 Prozent, die weiterhin im Steigen begriffen sind, bekommt den Aktienmärkten nicht gut. Das haben wir im zu Ende gehenden Jahr gesehen. Doch bei hohen Inflationsraten, die sich tendenziell zurückbilden, beginnen Anleger Aktien zu kaufen. In der Vergangenheit war das mehrheitlich der Fall, wie aus einer Datenanalyse der britischen Vermögensverwaltungsgesellschaft Schroders hervorgeht. Heute haben wir diese Konstellation: Hohe Inflationsraten, bei denen die Beobachter davon ausgehen, dass sie sich – wenn auch nur leicht – zurückbilden dürften. "Die Inflation ist kein Killerkriterium", sagt Thomas Stucki.
Zum Schluss noch ein Gedanke, der abgegriffener nicht sein könnte: Es kommt meist anders, als man denkt.