In der Schweiz steht ein Mindestlohn von 4000 Franken monatlich oder rund 20 Franken pro Stunde zur Diskussion. In Deutschland sammeln die Gewerkschaften Unterschriften für eine Petition, die einen Mindestlohn von 8,50 Euro fordert. Das entspricht etwa 10,50 Franken – rund die Hälfte des schweizerischen Mindestlohns. Frage: Kann die Schweiz kostenmässig noch mithalten? Antwort: Ja, denn die Differenz muss der deutsche Staat mit höheren Steuern wieder reinholen.
In Deutschland verdient heute fast ein Viertel der Beschäftigten weniger als die offizielle Niedriglohnschwelle von 9,14 Euro. Im Schnitt kassiert dieses untere Viertel rund 6,50 Euro die Stunde. Doch um mit diesem Stundenlohn über die Runden zu kommen, müsste man pro Jahr weit über 2000 Stunden arbeiten können. Doch der deutsche Arbeitnehmer bringt es im Schnitt nur auf 1396 Stunden. Bei den unteren Lohnkategorien sind es gar weniger als 1000 Stunden. Das ergibt ein monatliches Einkommen von 540 Euro. Das reicht auch dann kaum für die laufenden Ausgaben, wenn zwei Löhne zusammenkommen. Für die Altersvorsorge, für Kinder und für andere Wechselfälle des Lebens ist erst recht kein Geld übrig.
Da hilft der Staat: Richtlinie sind die Regelsätze nach Hartz 4. Das Wohngeld eingerechnet hat man als Arbeitsloser Anspruch auf rund 780 Euro pro Kopf und Monat. Davon 90 Prozent für den Ehegatten und je 70 Prozent für die Kinder. Wer arbeitet, aber weniger verdient, dem wird der Lohn auf Hartz-4-Niveau aufgestockt. Daneben hat man Anspruch auf Einmalleistungen bei Erstausstattung, Klassenfahrten, kostenaufwändige Ernährung usw. Bei Arbeitslosigkeit kommt man in den Genuss von "aktivierenden Leistungen" usw. Nach der Pensionierung geht es weiter mit Sozialhilfe, die sich ebenfalls nach den Ansätzen von Hartz 4 richtet, dazu kommt noch Mehrbedarf, Sonderbedarf usw. Kurz: Die Niedriglöhne ziehen einen ganzen Rattenschwanz von Staatsbürokratie und staatlichen Ausgaben mit sich.
Ich habe versucht, die entsprechenden Leistungen auf einen Stundenlohn herunterzubrechen. Dabei bin ich von folgenden Annahmen ausgegangen: Ehepaar mit zwei Kindern, die mit 17 das Elternhaus verlassen, jährliches Arbeitspensum je 1396 Stunden. 46 Arbeitsjahre (20 bis 67) 17 Rentenjahre. Der karge private Konsum entspricht den Leistungen nach Hartz 4 (4 Euro täglich fürs Essen, 1,03 Euro für Kleider und Schuhe, 0,51 Euro für Restaurants und Hotel). Dazu kommen die üblichen Steuern und Lohnprozente für die Krankenversicherung.
Ergebnis: Um mit einem Normalpensum (von 1396 Stunden) weder in der aktiven Zeit noch als Rentner auf staatliche "Aufstockungen" angewiesen zu sein und seine Steuern zahlen zu können, braucht der deutsche Arbeitnehmer einen Stundenlohn von 18,40 Euro. Das entspricht in etwa dem für die Schweiz geforderten Mindestlohn von 4000 Franken. Man kann diese Berechnung auch so interpretieren: Selbst bei dem von den deutschen Gewerkschaften geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro muss der Staat mehr als die Hälfte der Lebenshaltungskosten übernehmen.
Aus der Sicht des Standortwettbewerbs gesehen ist also Deutschland mit einen Mindestlohn von 8,50 Euro nicht besser dran als die Schweiz mit ihren rund 4000 Franken monatlich. Allerdings hat die Schweiz den grossen Vorteil, dass die Zuteilung der Kaufkraft weitgehend über den Markt erfolgt, während Deutschland zu diesem Zweck eine teure Bürokratie aufgebaut hat. Gesamtwirtschaftlich gesehen dürften die Arbeitskosten in Deutschland deshalb tendenziell höher sein. Bleibt die Frage, inwieweit es der deutschen Exportindustrie gelingt, die Kosten auf den Staat abzuwälzen bzw. sich um die entsprechenden Steuerlasten zu drücken.