Freie Marktwirtschaft und Taxi – das ist wohl ein grundlegender Widerspruch. Als ehemaliger Taxifahrer in studentischen Tagen sowohl in Paris als auch in London und Bern kann ich davon ein Liedchen singen. Danach als Konsument erst recht. Das Wort Mafia will ich nicht in den Mund genommen haben, aber von einer gut organisierten, verschworenen Taxihaltergemeinschaft darf man doch wohl in einem Land der Pressefreiheit noch schreiben.
Wo immer ich also ein Taxi nehme, rede ich mit dem Taxichauffeur nicht zuvörderst mit der von Journalisten so gerne zitierten Stimme des Volkes sondern quasi von Berufsmann zu Berufsmann. Ob in Asien, Europa, Amerika oder erst recht in der Schweiz beklagen sich alle über die langen Arbeitszeiten und den schlechten Verdienst. Auch die alten Tricks werden noch immer mit mehr oder weniger Glück und beruflichem Knowhow angewendet. Der ultimative Trick besteht darin, den Gast auf langen Umwegen zum Ziel zu führen, ohne dass er es merkt. Im Zeitalter des GPS ist das natürlich schwieriger geworden. Wem es trotzdem gelingt, ist wahrlich ein Könner. Einen solchen – allerdings im vor-digitalen Zeitalter – traf ich in Washington D.C. Vom tags zuvor bezogenen Hotel steuerte er mich ins Büro bei angeregter Konversation unter Taxikumpeln. Die Fahrt dauerte 40 Minuten. Der Tarif war dementsprechend hoch. Was solls, einerlei. Ein schönes Trinkgeld war selbstverständlich. Abends vor dem Büro besteige ich wieder ein Taxi und will zurück ins Hotel. "Sir", lächelte der Taxi-Driver, "das Hotel liegt gleich um die Ecke". Auch er erhielt ein schönes Trinkgeld.
Die heutige Taxiwirklichkeit an meinem Wohnort Peking ist prosaischer geworden. Vor über einem Jahrzehnt durchpflügten 68'000 Taxis das Dickicht der Hauptstadt. Heute sind es nach offiziellen Zahlen noch immer exakt gleich viel. Im gleichen Zeitraum allerdings hat sich die Bevölkerung fast verdoppelt, von 12 auf 20 Millionen. Nicht genug damit. Heute können sich im Gegensatz zu früher dank dem rasanten Wirtschaftswachstum sehr viel mehr Chinesinnen und Chinesen ein Taxi leisten. Während man früher zu jeder Tages- und Nachtzeit überall ohne Schwierigkeiten ein Taxi anhalten konnte, ist das heute ein Ding der Unmöglichkeit.
Heute wählen in Peking nicht mehr die Kunden das Taxi sondern umgekehrt. Nach städtischer Vorschrift ist es einem Taxifahrer verboten, jemanden ohne driftigen Grund zurückzuweisen oder mit leerem Auto einfach nicht anzuhalten. Doch niemand kümmert das. Die Pekinger Taxichauffeure sind wählerisch. Dabei haben es einige Bevölkerungsgruppen besonders schwer, bei den Shifus, den Taxifahrern, in die Kränze zu kommen. Zum Beispiel Ausländer, Eltern mit Kindern, Alte mit oder ohne Hund, jedermann mit Gepäck und – besonders stossend – Behinderte. Auch eine zu kurze oder zu lange Distanz gilt unter Taxichauffeuren als Ablehnungsgrund.
Oft wird, und das hat das städtische Wirtschaftsamt ausdrücklich verboten, auch der Taxameter nicht eingeschaltet, vielmehr wird ohne jede falsche Hemmung um den Fahrpreis gefeilscht. Der Grund dafür liegt bei den nun wirklich extrem illegalen "schwarzen Taxis". Davon gibt es je nach Schätzung zwischen 50'000 und 100'000 im Zentrum des Pekinger Regierungsbezirks. Sie warten an Kreuzungen, an Strassenecken, Bahnhöfen, Untergrundbahnstationen, in der Nähe von Hotels und Haupteinkaufsstrassen und locken Kunden an. Jedermann und jede Frau ist im Bilde. Kein Taxameter natürlich, sondern verhandeln und feilschen. Natürlich sind die "Schwarzen" teurer. Aber das ist eben Angebot und Nachfrage. Das funktioniert in der "sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung" ebenso gut wie in der "kapitalistischen Marktwirtschaft".
Als Ehemaliger muss man die Pekinger Taxichfahrer ein wenig in Schutz nehmen. Sie arbeiten hart. Zwölf Stunden pro Tag und mindestens sechs Tage die Woche. Nur so kommen sie im inzwischen teuren Peking einigermassen über die Runden. Pro Monat bezahlen sie bei der Taxifirma, bei der sie arbeiten, rund 9000 Yuan (rund 1350 Franken) Wagenmiete und "Management-Gebühr". Dazu kommt das Benzin. Auf der Einnahmeseite stehen 2 Yuan bei Beginn der Fahrt auf dem Zähler. Die ersten drei Kilometer kosten 10 Yuan, jeder weitere Kilometer bringt 2 Yuan. Am Ende der Fahrt darf auf die Gesamtsumme ein Treibstoffzuschlag von 2 Yuan draufgeschlagen werden. Mit solchen Ansätzen Geld zu verdienen, ist extrem anspruchsvoll, zumal in den Verkehrsstaus vor, während und nach den Rushhours. Warten in der Blechlawine verbraucht teures Benzin, und pro zehn Minuten Wartezeit werden nur 3 Yuan berechnet.
Guter Rat allerdings ist nicht teuer. Peking wie andere chinesische Grossstädte verfügen heute über ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz, das ständig und zwar in hohem Tempo erweitert wird. Das Metronetz in Peking beispielsweise ist bereits auf 450 Kilometer angewachsen und soll bis ins Jahr 2020 mindestens verdoppelt werden. Zudem gibt es in der chinesischen Hauptstadt rund 800 Buslinien. Mit etwas Geschick und einem Smartphone erreicht man praktischen jeden Punkt der Stadt. Der ÖV ist billig, ein Metro-Ticket kostet lediglich 2 Yuan, Einheitspreis für jede Distanz.
Am besten aber hält man sich einen quasi persönlichen Taxichauffeur. Man handelt einen guten, etwas über der Taximeternorm liegenden Preis aus. So bin ich über die Jahre mit Xiao Zheng in jedem Sinne des Wortes gut gefahren. Ich spreche ihn artig immer mit Shifu, Meister an. Selbst bei Regen, Schnee und brütender Hitze ist der Meister zur Stelle. Anruf auf sein Handy genügt.