Viele Kommentatoren und sogar westliche Politiker sind seit Wochen der russischen Propaganda-Maschinerie erlegen. Eigentlich sei ja der Westen mit seiner aggressiven Osterweiterungs-Strategie schuld am ukrainischen Drama.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe Russland doch schon soviel geopolitische Macht verloren: Bulgarien, Estland, Lettland, Polen, Rumänien, die Slowakei, Tschechien und Ungarn.

Jetzt dürfe man doch Wladimir, dem armen Kerl, nicht auch noch die Ukraine wegnehmen! Er habe recht, wenn er sich wehre.

Aber, wie war das jetzt schon wieder? Haben wir nicht alle mitgelitten, damals, als 1953 ostdeutsche Arbeiter in Berlin und anderen Städten demonstrierten und von russischen Panzern vertrieben wurden? 1956, als Volk und Armee von der Partei Ungarns verraten wurden und russische Panzer die erhoffte Freiheit niederwalzten? 1968, als Volk und Partei der Tschechoslowakei gemeinsam auf einen warmen Frühling hofften und von russischen Panzern in den sibirischen Winter verjagt wurden?

Wir feiern anfangs November das 25. Jubiläum des Berliner Mauer-Falles. Seither haben sich die genannten Länder vom staatsterroristischen Joch der von Moskau geführten Sowjetunion befreien können. Sie haben sich inzwischen zu einigermassen demokratischen, selbständigen Nationen entwickeln können.

Russland hat sie zurecht aus seinem Machtbereich entlassen müssen. Das darf nicht als Alibi für ein Eingreifen Putins in der Ukraine pervertiert werden. Die Ukraine ist ein Land Europas. Weissrussland übrigens auch. Und Russland sowieso.

Die neue Freiheit der Länder Osteuropas ist wichtiger und wertvoller als das angeblich notwendige Gleichgewicht der Macht.

Gospodin Putin: Sie haben ja immer noch Ihr eigenes Land mit 17 Millionen Quadratkilometern, 143 Millionen Menschen mit 160 verschiedenen Ethnien. Und Einfluss auf die Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten GUS: Armenien, Aserbeidschan, Weissrussland, Kasachstan, Kirgistan, Moldawien, Tadschikistan und Usbekistan. (Die Ukraine ist am 19. April ausgetreten, nachdem Ihr Statthalter in Kiew fortgeschickt wurde.)

Weiss Gott, nicht alle sind Musterbeispiele für lupenreine Demokratien. Da harrt doch viel Arbeit auf Sie. Und einen Gruss noch an Geri Schröder, VR Ihrer Gazprom.