Die Masseneinwanderung ist eines der brisantesten Themen weltweit. Nicht nur in der Schweiz erhitzt die Einwanderungsproblematik die Gemüter. In den USA war die Immigration das Hauptthema im Wahlkampf. Donald Trump wurde von vielen vor allem deshalb gewählt, weil er versprach, die illegale Einwanderung wirksam zu bekämpfen.
Nahezu überall in Europa steht die Einwanderungsproblematik an der Spitze der Wahlkampfthemen. Viele Bürger haben Angst vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze und einer zunehmenden Überfremdung im eigenen Land. Andererseits fühlen sich viele Bürger aus humanitären Gründen dazu verpflichtet, Flüchtlingen aus Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan zu helfen.
Wenn man die Migrationsströme der letzten Jahrzehnte analysiert, wird deutlich, dass humanitäre Krisen die Migrationsströme zwar kurzfristig erhöht haben. Langfristig lassen sich Masseneinwanderungen aber in erster Linie auf ökonomische Ursachen zurückführen. Es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Landeseinkommen und dem Bevölkerungsanteil, der im Ausland geboren wurde. In der Schweiz und Australien, zwei der reichsten Länder, beträgt dieser Anteil über 25 Prozent, während er beispielsweise in Rumänien, Bulgarien oder Mexiko nahezu bei null liegt.
Aber mit Einkommensunterschieden allein lässt sich nur ein Teil der Migrationsströme erklären, wie Gordon Hanson und Craig McIntosh von der University of California in San Diego in ihrem jüngsten Beitrag für das Journal of Economic Perspectives nachweisen. Beispielsweise ist der durchschnittliche Lebensstandard in Deutschland und Japan nahezu identisch. In Deutschland wurden aber rund 13 Prozent der Bevölkerung im Ausland geboren, in Japan weniger als 2 Prozent. Andere Länderpaare mit identischen Durchschnittseinkommen aber unterschiedlichen Migrationsanteilen sind Estland (15.9 Prozent) und die Slowakei (0.3 Prozent), Slowenien (11.2 Prozent) und Südkorea (2 Prozent) sowie Belgien (14.9 Prozent) und Dänemark (7.7 Prozent).
Auch wenn man neben den Einkommensunterschieden noch die geographische und kulturelle Distanz berücksichtigt, lassen sich nicht alle Migrationsströme schlüssig erklären. Hanson und McIntosh analysieren deshalb die bilateralen Migrationsströmungen zwischen Ländern. Dabei konzentrieren sie sich auf die arbeitsfähige Bevölkerungsgruppe der Menschen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren.
Absolut gesehen sind die USA das grösste Einwanderungsland für diese Bevölkerungsgruppe. Gemäss OECD Statistik leben über 40 Prozent aller weltweiten Immigranten im arbeitsfähigen Alter in den USA. Grossbritannien kommt auf knapp 8 Prozent; Spanien, Kanada und Frankreich auf jeweils rund 6 Prozent.
Interessanterweise stammt fasst ein Drittel der US-Immigranten aus Mexiko. Aber auch in anderen Ländern ist die Herkunft der Immigranten im arbeitsfähigen Alter auf wenige Länder konzentriert. In Grossbritannien kommen 24.2 Prozent dieser Immigranten aus Polen, Indien oder Pakistan; in Spanien 26 Prozent aus Rumänien oder Marokko; in Frankreich 28 Prozent aus Algerien oder Marokko und in Deutschland 27.4 Prozent aus der Türkei oder Polen. Umgekehrt verkörpern die in Italien und Spanien lebenden Rumänen 10 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Rumäniens und die in den USA lebenden Mexikaner fast 14 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Mexikos.
Um die bilateralen Migrationsströme besser erklären zu können, vergleichen Hanson und McIntosh das Bevölkerungswachstum in den betroffenen Ländern. Beispielsweise war das Bevölkerungswachstum in den USA und Mexiko zwischen 1940 und 1960 infolge des US-amerikanischen Babybooms vergleichbar. Zwischen 1960 und 1980 nahm die Geburtenrate in den USA jedoch stark ab, während sie in Mexiko bis 1970 weitgehend konstant blieb und erst danach zu sinken begann. Hierdurch verringerte sich das Angebot an einheimischen Arbeitskräften in den USA. Obwohl das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den USA bereits 1960 dreimal so gross war wie in Mexiko, kam es deshalb erst in den siebziger Jahren aufgrund des Überangebots an Arbeitskräften infolge des schnelleren Bevölkerungswachstums in Mexiko gepaart mit dem Rückgang an einheimischen Arbeitskräften in den USA zu den grossen Migrationsströmen über den Rio Grande.
Diese Migrationsströme sind mittlerweile versiegt. 2013 betrug die Geburtsrate in Mexiko nur noch 2.3 und in den USA 1.9. Folglich wird das Angebot an Arbeitskräften in den nächsten beiden Jahrzehenten in beiden Ländern keine allzu grossen Unterschiede aufweisen und deshalb auch keine weiteren Migrationsströme nach sich ziehen. Trotz der hohen Einkommensunterschiede ist die Nettoimmigration von Mexiko in die USA bereits seit 2007 negativ.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen entwickeln Hanson und McIntosh ein Prognosemodell, das die künftigen Migrationsströme unter Berücksichtigung von Einkommensunterschieden, kulturellen und geographischen Einflussfaktoren, bestehenden Migrationsnetzwerken und des erwarteten (Über)Angebots an Arbeitskräften bis ins Jahr 2050 vorausberechnet. Für die USA prognostizieren die Wissenschaftler keine Veränderung der Nettoimmigration. Es werden demzufolge nicht mehr ausländische Arbeitskräfte in die USA einwandern als im gleichen Zeitraum aus dem Arbeitsleben ausscheiden.
Ganz anders sieht es in Europa aus. Hanson und McIntosh erwarten einen erheblichen Anstieg der Immigration in Grossbritannien, Spanien und Italien, während die Nettoimmigration in Deutschland bis 2050 stark zurückgehen wird. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass die Ursprungsländer der britischen, spanischen und italienischen Immigranten (Afrika und Indien) neben hohen Einkommensunterschieden auch ein hohes Bevölkerungswachstum aufweisen, während die Ursprungsländer der deutschen Immigranten (Türkei und Osteuropa) viel geringere Einkommensnachteile und Geburtsraten besitzen.
Gemäss dieser Prognose wird der Druck auf Donald Trump abnehmen, eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu errichten. In Zukunft wird die Masseneinwanderung vor allem ein europäisches Phänomen sein. Die meisten Immigranten werden bis 2050 das Mittelmeer und nicht den Rio Grande überqueren. Die Migrationsproblematik wird die europäischen Staaten in Zukunft noch stärker beschäftigen als bereits heute und die Politiker wären gut beraten, frühzeitig nachhaltige Lösungen auszuarbeiten.