Das ist schon erstaunlich. Auf einmal entfaltet die Europäische Zentralbank ein grösseres Engagement als die amerikanische. Im März haben die Europäer zum sechsten Mal in Folge die Zinsen gesenkt. Während die US-Notenbank mit weiteren Zinssenkungen noch abwartet, ergreift Europa die Initiative. Das hat natürlich einen handfesten Hintergrund. Während sich nämlich die US-Wirtschaft immer noch relativ robust entwickelt, schwächelt die europäische. Im vierten Quartal 2024 etwa legte das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone im Quartalsvergleich nur noch um 0,1 Prozent zu. Das entspricht quasi einer Stagnation, der die EZB mit Zinssenkungen begegnen will.
Doch Zinssenkungen stimulieren auch den Aktienmarkt. So konnte der Euro Stoxx 50 seit Jahresanfang um beinahe zwölf Prozent zulegen (Stand 19.03.2025). Das ist ordentlich, auch im internationalen Vergleich. Der Dow Jones etwa, Leitindex an der Börse in New York, verzeichnet im gleichen Zeitraum gar ein Minus.
Europäische Aktien sind günstig bewertet
Doch wie nachhaltig ist der Börsenaufschwung in Europa? Macht es Sinn, verstärkt in europäische Aktien zu investieren? Das ist durchaus möglich, denn die EZB hat bereits angekündigt, dass weitere Zinsschritte nach unten folgen werden. Nicht unbedingt Schlag auf Schlag, aber am Ende des Jahres könnten es unter dem Strich durchaus drei bis vier Schritte gewesen sein. Der Zinssatz läge dann im Bereich von zwei Prozent und aller Voraussicht nach deutlich unter dem Zinsniveau in den USA.
Für eine Fortsetzung des Aufschwungs europäischer Aktien spricht auch ihre Bewertung. Aktuell weisen die Euro-Stoxx-Papiere auf Grundlage der Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate ein durchschnittliches Kurs-Gewinn-Verhältnis von 17 auf. Amerikanische Aktien bringen es hier auf ein stolzes Verhältnis von 27. Sie sind also, was die Gewinnentwicklung anbetrifft, deutlich teurer als die europäischen Papiere.
In Europa winken Nachholchancen
Das allein würde allerdings noch nicht ausreichen, einen längeren Börsenaufschwung in Europa zu rechtfertigen. Eine niedrigere Bewertung ist ja nicht nur positiv zu sehen, sondern ist auch Ausdruck von Zweifel; Anleger trauen dem europäischen Markt halt weniger zu als dem amerikanischen. Doch mit den möglicherweise stärker fallenden Zinsen in Europa könnte sich die Sichtweise der Anleger ändern.
Erfolge an der Börse leben auch immer von Narrativen, von „Geschichten“. Bislang war klar, die USA sind erfolgreich, Europa schwächelt. Dementsprechend haben sich US-Aktien besser entwickelt. Doch Narrative lassen sich umschreiben. In den USA wachsen die Unsicherheiten, nicht zuletzt ausgelöst durch die eruptive Politik eines Donald Trumps. In Europa hingegen raufen sich die Länder aufgrund wachsenden Drucks von aussen zusammen, Gemeinsamkeiten werden herausgestellt. Das schafft Vertrauen, auch an der Börse. Aus dem Narrativ „Die USA sind besser“ könnte so das Narrativ „Europa hat tolle Nachholchancen“ werden.
Euro Stoxx 50 als Basisinvestment
Doch keine Empfehlung ohne negativen Beigeschmack. Das grosse Problem für Europa sind die stark gestiegenen geopolitischen Unsicherheiten. Es ist völlig unklar, wie Europas Beziehung zu den USA, immerhin einem der wichtigsten Handelspartner für die Eurozone, überhaupt noch zu definieren ist. Zudem, es ist durchaus zu befürchten, dass ein möglicher Frieden in der Ukraine die Sicherheit Europas einschränkt. Eine Destabilisierung dürfte aber auch an der Börse nicht positiv aufgenommen werden. Der bekannte Spruch „Politische Börsen haben kurze Beine“ zieht hier nicht mehr, da sicherheitspolitische Aspekte auch die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen. Ohne Sicherheit kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum.
Unter dem Strich sprechen einige Argumente dafür, dass Anleger den Anteil europäischer Aktien in ihren Depots erhöhen sollten. Doch dies immer nur vor dem Hintergrund eines gut und global diversifizierten Portfolios. Wer die Einzelauswahl scheut, kann auf den Euro Stoxx 50 als europäisches Basisinvestment setzen. Der Index ist breit aufgestellt und spiegelt die Entwicklung der europäischen Aktienmärkte wider.